Review Dream Theater – Dream Theater

Manche Bands verlieren mit der Zeit ihren Zauber. DREAM THEATER sind so eine Band: Kommerziell auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, gehörigen sie zwar immer noch zur Speerspitze des Progressive Metal, können aber schon länger nicht mehr an ihre wahren Großtaten aus den 90ern, „Images And Words“, „Awake“ oder „Scenes From A Memory“, anknüpfen. Das zeigt sich vor allem daran, dass durchaus gute Platten der letzten zehn Jahre, wie z. B. „Octavarium“ (2005), mit der Zeit stark an Reiz verloren haben und im Regal verstauben. Zugegeben: Mit ihrem letzten Album „A Dramatic Turn Of Events“ und dem neuen Drummer Mike Mangini meldeten sich DREAM THEATER vor zwei Jahren ziemlich eindrucksvoll und frisch zurück. Leider können sie mit ihrem neuen, selbstbetitelten Werk daran nicht anschließen.

DREAM THEATER wissen genau, was man von ihnen erwartet. Sie erfüllen diese Erwartungen mit der Routine eines eingespielten Teams. Das Ergebnis ist stets vorhersehbar, höchstens die Gewichtung einzelner Stilmittel bleibt offen – und so enthält auch „Dream Theater“ wieder jede Menge guter DREAM-THEATER-Musik, die hervorragend unterhält, der aber das gewisse Etwas fehlt. Woran das liegt? Schwer zu sagen, aber es gibt einige Punkte, die sich mit der Zeit herauskristallisieren:

Erstens: Jordan Rudess, zu Zeiten von „Scenes From A Memory“ noch für seine tollen und damals innovativen Keyboardspielereien als neuer Heilsbringer gefeiert, stopft die Musik von DREAM THEATER mittlerweile an jeder Ecke mit Streichern zu. Dieses Mal ist in der „False Awakening Suite“ und dem 22-minütigen Longtrack „Illumination Theory“ sogar ein echtes Streicher-Ensemble dabei. In den Songs passiert aber in der Regel genug, der Sound ist auch ohne Streicher schon dicht. Ihr dauerhafter Einsatz ist schlichtweg nicht nötig und macht DREAM THEATERs Musik unnötig zäh, aufgeblasen und klebrig.

Zweitens: Die übertriebene Theatralik führt meist zu episch angelegten, langsamen Refrains, die insbesondere die schnelleren Nummern regelmäßig ausbremsen. Gut zu hören z. B. in „The Enemy Inside“. So gut die Band das Schreiben und Spielen von atemberaubenden Instrumentalpassagen (auch hier) beherrscht, so wenig Gespür haben sie oft für passende, hochwertige Refrains.

Drittens: Es besteht immer die Gefahr, dass die Band vor lauter virtuosen Instrumentalpassagen und Opulenz den eigentlichen Song aus dem Blick verliert. Ein gutes Beispiel hierfür ist das völlig zerfahrene „Surrender To Reason“, das aus viel zu vielen Einzelteilen besteht und einfach nicht weiß, wo es hinwill oder was es sein soll. Beim Longtrack am Ende der Platte blendet sich die Band im Mittelteil völlig aus und gibt das Zepter dem Streicher-Ensemble in die Hand, das einen waschechten Filmscore spielt. Das ist für Dream Theater tatsächlich neu – letztendlich ist es aber nur ein schlecht integriertes Zwischenspiel, das den Fluss des Tracks völlig zerstört und wohl besser in einen Roland-Emmerich-Blockbuster gepasst hätte. Entsprechend hölzern klingt dann auch der Wechsel zurück zur Rockband, die das Stück pathetisch zu Ende führt.

Auf dem Vorgänger „A Dramatic Turn Of Events“ haben es DREAM THEATER geschafft, diese Kritikpunkte größtenteils zu umschiffen. Auf „Dream Theater“ gelingt Ihnen das leider nicht. Das Album gehört zu den schwächeren ihrer Karriere und ist eigentlich nur im Mittelteil wirklich stark:

„The Looking Glass“ – mit unter fünf Minuten einer der kürzeren Songs – ist mit seinen charmanten Spätachtziger-Keyboards und den Rush-Remiszenzen erfrischend oldschoolig und der eigentliche Hit der Platte. Das Instrumental „Enigma Machine“ zeigt die Band gewohnt virtuos, ohne so überkandidelt zu sein wie z. B. ein „Dance Of Eternity“. Die Atmosphäre ist düster, die Riffs stark. Epische Halbballaden wie „The Bigger Picture“ schreibt die Band in den letzten Jahren ja gern – diese hier ist allerdings wirklich brillant und hätte auch hervorragend auf „A Dramatic Turn Of Events“ gepasst. Die zweite saustarke Nummer der Scheibe, auf der sich Sänger James LaBrie überragend in Szene setzt und die allem Pathos zum Trotz lebt, atmet und funktioniert. Mit „Behind The Veil“ überführt die Band den schwülstigen Ansatz von „The Bigger Picture“ in einen flotteren Track, der viel Spaß macht.

Von „The Looking Glass“ bis „Behind The Veil“ präsentieren sich DREAM THEATER in betörender Topform. Hätte das ganze Album das Niveau dieser vier Tracks, würde ich es als kleine Sensation abfeiern. Leider hat die Band mit „Surrender To Reason“ und „Along For The Ride“ auch zwei wirklich durchschnittliche Nummern draufgepackt, langweilt mit der immer gleich gestrickten Single „The Enemy Inside“ und lässt den epischen Longtrack „Illumination Theory“ an seiner eigenen Opulenz zerbrechen. Der 22-Minüter kommt zu keinem Zeitpunkt kompositorisch an ebenso lange Brecher wie „A Change Of Seasons“, „Octavarium“ oder „The Count Of Tuscany“ heran.

Was am Ende übrig bleibt? Das was drauf steht: DREAM THEATER. Mit all den Vorzügen und Nachteilen, die Ihnen seit mehr als einem Jahrzehnt anhaften. Klar, die Jungs können spielen. Das beweisen sie auch hier wieder nachdrücklich – insbesondere John Petrucci beeindruckt mit wunderbaren Soli. Aber irgendwie ruhen sie sich zu sehr darauf aus, verwalten ihr Erbe ein wenig zu selbstbewusst. Wer schon zahlreiche Alben der Band hat, braucht dieses hier objektiv betrachtet eigentlich nicht. Aber irgendwie kauft man es ja doch, in der Hoffnung die alte Magie wieder zu entdecken. Immer und immer wieder. Was man liebt, lässt einen eben nicht kalt.

Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von

6 Kommentare zu “Dream Theater – Dream Theater

  1. Es wird immer von einem gewissen „Zauber“ früherer VÖs geschrieben den Dream Theater heute so angeblich nicht mehr hinbekommen. Ich glaube eher das sich der eigene Musikgeschmack vieler Fans mit der Zeit verändert/erweitert hat. Klar ist die Musik von Dream Theater nicht mehr „neu“ und klar ist daher fast jedes neue DT Album in gewisser Art „vorhersehbar“. Aber seien wir mal ehrlich, wenn Bands wie Metallica Sachen wie St. Anger ausprobiert haben, gab es auch jede Menge Kritik von allen Seiten. Und wenn Dream Theater beim nächsten Album nahezu komplett ihre Wurzeln verlassen würden, würde es auch jede Menge Kritik geben. Ich habe das Gefühl das eine so ausgereifte Band wie Dream Theater machen kann was sie will, es wird nach jedem neuen Album negative wie positive Kritik geben und daher ist es nur vernünftig bei den eigenen Wurzeln zu bleiben und mit den eigenen „Zutaten“ bei jedem neuen Album bestmöglich zu spielen. Alles andere wäre wahrscheinlich musikalischer Selbstmord und das die Herren von DT das jetzt nicht riskieren werden, kann ich gut verstehen. Ich denke zudem, dass jedes Album seine Stärken wie auch Schwächen hatte, auch Images&Words ;-) Fazit: Ich finde das neue Album großartig und ich höre es immer wieder sehr gerne!

  2. warum bei dem text dann 7.5 punkte? es ist ein eigenartiges phänomen, dass große bands, die man ja eigentlich an ihrem eigenen schaffen messen könnte, bei mittelmäßigen reviews es gern über die 7 punkte schaffen, während kleine bands, denen man vorwirft, nicht ausgegoren zu sein, mit schlechten wertungen bestraft werden. dabei bräuchten wir neue bands mit ideen dringender als diese vor sich hin gammelnden quarktaschen von dream theater, die seit scenes nur noch eine coverband ihrer selbst sind.

  3. Das mit der persönlichen emotionalen Komponente kann ich gut nachvollziehen, weil ich zB das letzte Album gerad auf Grund einer damals persönlich schwierigen Zeit absolut nicht objektiv beurteilen kann. Außerdem gestehe ich mir selbst, als DT-Fan von den ersten Tönen an, ein, dass mich der Ausstieg von MP schon irgendwie sehr getroffen hat & er mir in der emotionalen Ausendarstellung (musikalisch ist MM grandios) fehlt & das meine persönliche Verbindung zu Dt verändert hat.
    Allgemein ist das neue Album natürlich in jeden Falle sehr gute Musik auf hohem DT-Niveau, auch wenn ich zB den Longtrack etwas sehr ‚zerstückelt‘ finde, mir da der Fluss fehlt, der solche Langtracks zu den von uns so geliebten musikalisch-emotionalen Abfahrten machen.

  4. Ich kann das mit dem „Reiz verloren“ nachvollziehen. Es fehlt den Alben seit Six Degrees ein gewisser Zauber. Die Musik ist sehr gut, manche Momente haben diesen Zauber, erreichen aber trotzdem etwas nicht, was es vorher gab. Genaueres kann ich da auch nicht sagen. Das letzte Album hatte aber viele dieser Momente.

    Zu dem neuen Album: für mich geht die Bewertung so in Ordnung. Es zieht mich nicht in den Bann, wirkt teilweise sehr konstruiert. Was mir bei dem Album auch noch sehr sauer aufstößt, ist dass teilweise schon arg kopiert wird. Die False Awakening Suite klingt nach Hall Of The Mountain King von Grieg, Enigma Machine nach Inspector Gadget und der Orchesterteil in Illumination Theory nach Tschaikowskys erstem Klavierkonzert. Insgesamt wirkt der Longtracks sehr zusammenhangslos, die 15 Sek. Stille vor dem Klavieroutro verstehe ich sowieso nicht.

    Schade, hätte mir mehr erwartet.

  5. Natürlich! Wie gut Musik beim Hörer ankommt, hängt auch immer vom Hörer – also seinem Geschmack und seiner aktuellen Gemütslage – ab. Beim Schreiben einer Rezension kann man das nie ganz ausblenden, muss es meiner Meinung nach auch nicht. Eine Kritik ist immer eine Mischung aus möglichst objektiven und völlig subjektiven Eindrücken und Abwägungen. Insofern gebe ich dir recht, finde das aber nicht schlimm. :)

  6. Zum ersten Absatz: Ohne je großer DT Fan gewesen zu sein, meinst du nicht, es kann auch einfach an dir liegen? Musik ist immer ganz stark von den persönlichen Umständen und den damit verbundenen Emotionen verbunden.

    Evtl. war für dich zu jener Zeit als du DT und den derzeitigen Backkatalog kennengelernt hast die Zeit einfach „reif“ für DT, während zu dem Zeitpunkt von Octavarium du dem ganzen einfach nicht mehr dauerhaft soviel abgewinnen konntest.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert