Review Frank Turner – Tape Deck Heart

Manche Musik verbindet man mit einer ganz bestimmten Zeit im eigenen Leben, sei es ein bestimmter Moment oder eine gewisse Zeitspanne. Gleichzeitig passiert es, dass manche Lieder, obwohl sie in der Relation erst seit einer kurzen Zeit Teil des eigenen Lebens sind, so wirken, als wären sie schon immer darin vorhanden gewesen. Man wird gemeinsam mit Künstlern älter und schaut schließlich zurück auf das, was alles passiert ist, seit man diese Band oder diesen Musiker kennt. Man hat ein mehrmals gebrochenes Herz, ein komplettes Studium, durchgefeierte Nächte und belanglose Tage hinter sich gebracht, man ist gereift und hat sich verändert – doch irgendwie ist alles doch noch ein bisschen so, wie es früher war, ohne dass es gleich wäre. Ohne das man noch einmal dorthin zurück könnte. Ohne, dass man etwas ändern könnte.
Was diese Aussage mit dem hier besprochenen Album zu tun hat? Nun, als mir Anfang 2008 ein guter Freund einen Myspace-Link schickte, ich zum ersten Mal ein Lied namens „Worse Things Happen At Sea“ von einem gewissen FRANK TURNER hörte, wusste ich noch nicht, welchen Platz diese Musik in meinem Leben einnehmen würde. Als ich eben diesen FRANK TURNER Anfang 2009 als Support-Act für The Gaslight Anthem in München sehen durfte und mir das zweite Album dieses englischen Folk-Sängers, der im Herzen immer noch Punkrocker ist, zulegte, hätte ich nicht erwartet, dass ein paar Jahre später eben dieser Musiker 1000er Hallen in Deutschland ausverkaufen würde und von der gesamten Presse und einem weltweiten Publikum geliebt wird.

Angekommen in der Gegenwart des Jahres 2013 erscheint mit „Tape Deck Heart“ FRANK TURNERs fünftes Studioalbum, das den Spagat zwischen dem einfachen und ehrlichen Folk der frühen Tage mit den großen Stadiongesten des letzten Albums „England Keep My Bones“ verbindet. Die Unbeschwertheit, welche auf den früheren Alben zumindest musikalisch noch dominierte, ist nun allerdings nahezu vollständig einer sehnsüchtigen Stimmung und einer melancholischen Wehmut gewichen, was sich sowohl textlich als auch musikalisch niederschlägt. Das Ergebnis ist das reifste, ruhigste, einfachste und dabei doch sperrigste Werk eines Musikers, der nie zur Ruhe kommt und sich stetig weiterentwickelt.

Zwar finden sich beispielsweise mit „Recovery“, „Losing Days“ und „Four Simple Words“ Lieder auf diesem Album, die mit ihrem beschwingten und mitreißenden folkigen (Punk-)rock aus musikalischer Sicht auf den vorherigen Alben nicht herausgestochen wären. Da die nachdenkliche Stimmung des Vorgängeralbums hier konsequent fortgeführt wird und diese Songs quantitativ gegenüber den melancholischen und nachdenklichen Songs das Nachsehen haben, fallen sie hier allerdings umso stärker auf – ja, man könnte sogar soweit gehen, die Punkrockhymne „Four Simple Words“, so großartig diese auch ist, als unpassend auf einer Ansammlung derart intimer Songs zu bezeichnen. Auf der anderen Seite stehen eben Lieder wie das atemberaubende „The Way I Tend To Be“, das mit seinen sehnsüchtigen und weichen Tonfolgen zum Nachdenken anregt, das an Americana-Sound erinnernde „The Fisher King Blues“ oder der wütende, nahezu verzweifelte Rocksong „Plain Sailing Weather“. Gemeinsam mit emotionalen, einfach gehaltenen Nummern wie „Oh Brother“ oder „Good & Gone“ hört man hier der Musik die zunehmend nachdenklichen Gedanken FRANK TURNERs an. Die Akustikgitarre dominiert über weite Strecken des Albums mit einfachen Mollakkorden und Tonfolgen das Klangbild, Soli oder unnötiger Ballast wurde vollständig gestrichen.
Besonders deutlich wird diese Tendenz auf musikalischer Seite in den zwei auffälligsten Songs auf „Tape Deck Heart“, „Anymore“ und „Broken Piano“. Der erste dieser Songs liegt auf einem von einer kaum hörbar gespielten Akustikgitarre getragenen Fundament, über das sich ein gleichzeitig geflüsterter und energisch vorgetragener Gesang legt, der so klingt, als würde FRANK TURNER das Mikrophon so nah an seine Lippen legen, um alles sagen zu können, ohne es wirklich sagen zu müssen. Der Abschlusssong „Broken Piano“ wird zunächst nur von einem leisen Rauschen und einem stets kurz in Falsetthöhen ausbrechenden, gewöhnungsbedürftigen Gesang dominiert, bevor der Song gemeinsam mit einem einfachen, dennoch sehr intensiven Schlagzeug den Hörer am Ende mit der ganz großen Geste entlässt.

Das ist allerdings nur die musikalische Seite – was FRANK TURNER auf seinem fünften Album textlich präsentiert, trifft den Nerv der Generation zwischen Mitte 20 und Anfang 30 so punktgenau und direkt, wie es kein mir bekannter Musiker bisher geschafft hat. Zwar sind Themen wie vergangene Liebe, verlorene Jugend und Selbstzweifel nicht neu – die Wortwahl und die Bilder im Zusammenspiel mit der getrübten Musik erzeugen dabei aber eine bittere, packende Stimmung, der man sich nicht entziehen kann. Der Verzicht auf leere Worthülsen und versteckte Anspielungen fällt hier im Gegensatz zu oft gezwungen intelligent klingenden Bands absolut positiv auf. Auf Textbeispiele soll an dieser Stelle bewusst verzichtet werden, da Erläuterungen aufgrund der brutalen Ehrlichkeit in diesen Texten schlicht nicht nötig sind und beim Hören ununterbrochen eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagen (ganz zu Schweigen davon, dass ein Überangebot an zitierwürdigen Zeilen besteht).

Ist „Tape Deck Heart“ also das beste Album in der bereits beeindruckenden Diskographie von FRANK TURNER? Das ist schwer zu sagen. Jedes Album dieses Ausnahmekünstlers besitzt einen ganzen eigenen Charakter, einen ganz eigenen Stil und eine stets vorherrschende Stringenz. An manchen Stellen sind die Songstrukturen hier zu ähnlich und ein wenig zu einfach gehalten, was zwar die großartigen Texte in den Vordergrund stellt, je nach Stimmung aber auch für Längen sorgen kann. Während sich viele andere Künstler mit einem derartig authentischen und ehrlichen Album angreifbar machen könnten, gelingt FRANK TURNER allerdings den Hörer mitzunehmen und stets eine Verbindung zwischen sich und seinem Publikum aufrechtzuerhalten. Demnach ist auch das fünfte Album in sechs Jahren ein kleines, ungeschliffenes Juwel in der alternativen Musikszene, welches eine weitere Nuance zum Soundtrack des Lebens vieler hinzufügen wird. Jeder Freund nachdenklicher, emotionaler und ehrlicher Musik kann mit „Tape Deck Heart“ keinen Fehler machen – und selbst Fans komplexer, harter oder wie auch immer gearteter Musik sollten hier ein Ohr riskieren. Man weiß vorher einfach nicht, an wen man sein Herz verliert.

Anspieltipps: Recovery, The Way I Tend To Be, Plain Sailing Weather, Polaroid Picture, Anymore

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