Review In Extremo – Sterneneisen

Nachdem IN EXTREMO mit „Sängerkrieg“ vor zwei Jahren überraschend Madonna von der Spitze der deutschen Albencharts verdrängen konnten, gelang ihnen mit „Sterneneisen“ dieses Kunststück erneut – allerdings war dieses Mal Deutschlands Grandprix-Darling Lena das berühmte Opfer, welches sich zumindest in Sachen Verkaufszahlen geschlagen geben musste. Doch worin liegen die Gründe für diese doppelte Sensation am Chartolymp? Und wie schaffen ausgerechnet IN EXTREMO das Kunststück, die meisten Käufer für ihre CDs zu begeistern, obwohl sie von den klassischen Medien genau wie andere Szenegrößen des Folkrock seit Jahren ignoriert werden? Eine kleine Ursachenforschung.

Es gibt das Gerücht, dass ein großes Plattenlabel IN EX-Frontmann Micha Rhein das Angebot unterbreitet hatte, man könnte aus der Band die 2. Toten Hosen machen, wenn „nur diese elendigen Dudelsäcke und Pfeifen endlich verschwinden“. Erwartungsgemäß, heißt es weiter, lehnte der inzwischen in die Jahre gekommene Sänger ab, denn er wollte nicht als die 2. Toten Hosen, sondern als die 1. IN EXTREMO in die Musikgeschichte eingehen. Ein kühner Plan, der allerdings mit „Sterneneisen“ wieder einmal aufging. Und IN EXTREMO können sich mit Fug und Recht als „die Toten Hosen der Mittelalterszene“ feiern lassen, denn genau so klingt der Sängerkrieg-Nachfolger.

Natürlich wäre es töricht gewesen, nach dem riesigen Erfolg des Sterneneisen-Vorgängers musikalisch eine andere Richtung einzuschlagen. Insofern lässt sich bereits beim ersten Hördurchgang sagen: Wer „Sängerkrieg“ mochte, dem wird auch „Sterneneisen“ gefallen. Rein kompositorisch sind beide Alben echte Rockscheiben mit gelegentlichen Verschnaufpausen. Der neue IN EXTREMO-Sound ist dabei ebenso unverkennbar wie die Stimme von Micha.
Textlich darf man sich hingegen keine Meilensteine erwarten. Größtenteils finden sich dort fragwürdige Reime wie „Trumpf ist Trumpf, Herz, Kreuz, Sieben / ihr wisst, wir sind die Glorreichen Sieben“ („Zigeunerskat“) oder abgedroschene Floskeln wie „Es ist nicht alles Gold was glänzt“ („Gold“) bzw. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ („Auge um Auge“). Im beschwörungsartigen „Zauberspruch No. VII“ stört dies nicht weiter, doch besonders beim sehr schmalzigen und textbetonten Albenabschluss „Vermiss Dich“ hätte es mehr sein dürfen als „Zwei Herzen waren voller Glück / Unsere Zeit kommt nie zurück / So wie zwei Sterne in der Nacht /Ach, was haben wir gelacht“.
Sprachlich erinnert dies mehr an Unheilig. Apropos Der Graf: Dieser steuerte in „Hol die Sterne“ eine Strophe sowie den Refrain als Duett bei. Weitere prominente Unterstützung holten sich IN EXTREMO in Form von Kreator-Mastermind Mille Petrozza, der in „Unsichtbar“ ebenfalls zusammen mit Micha den Chorus schmettert. Allerdings fehlt beiden Stücken abseits der bekannten Duettpartner jeglicher Wiederkennungswert. Allgemein dürfte den alteingesessenen IN EXTREMO-Fans der neue Sound wenig schmecken, denn mit den musikalischen Anfängen oder auch „7“ hat dies hier nicht mehr viel am Hut. Die Ausrichtung ist generell viel moderner und weniger traditionell, dafür größtenteils musikalisch belangloser.
Da rettet auch die hochwertige Produktion wenig: Es ist zwar ein Genuss, wie herrlich ausdifferenziert Dudelsäcke, Gitarren und Gesang klingen, doch wenn am Ende die Substanz fehlt, ist das Gesamtprodukt musikalisch ähnlich kurzlebig wie viele andere Charterfolge. Selbst das neueste Bandmitglied in Form von Specki T.D. (Ex-Letzte Instanz) am Schlagzeug wirkt nicht so, als ob er sich beide Arme und Beine ausreißt. Dennoch ist z.B. sein getrommeltes Intro zu „Zigeunerskat“ absolut hörenswert. Ebenso gelungen wie die beinahe hypnotischen Beschwörungen im bereits angesprochenen „Zauberspruch No VII“ ist der vertonte Verfolgungswahn in „Stalker“. Das flüchtende Opfer, welches vom Täter immer weiter in die Enge getrieben wird, erscheint beinahe automatisch vor dem geistigen Auge. Und genau so sollten IN EXTREMO anno 2011 für mich klingen: Moderne Themen mit Tiefgang, aufbereitet mit mehr als nur Gitarren und Schlagzeug.
Doch diese Qualitäten zeigen sich zu selten, besonders wenn man einen Blick auf das gelallte Intro zu „Viva La Vida“ wirft. Natürlich ist dies ein Feiersong über exzessiven Alkoholgenuss, doch etwas mehr musikalischer Anspruch hätte es sein dürfen – auch der Titel erinnert spontan an Coldplay und auf diese Vergleiche dürften die Barden wohl ähnlich gerne verzichten wie auf jegliche Analogien zu den Hosen, Ärzten, etc.

Was bleibt zu sagen? Gemessen am Erfolg haben IN EXTREMO mit „Sterneneisen“ alles richtig gemacht und ihren Höhenflug fortgesetzt. Allerdings sind sowohl der neueste Longplayer als auch „Sängerkrieg“ musikalisch weit weniger zeitlos als einige der unbekannten Vorgänger. Micha Rhein und sein Gefolge haben sich musikalisch an die erprobten Gewohnheiten ihrer wachsenden Fanschar angepasst und sind im Zuge dessen stromlinienförmiger und berechenbarer geworden. Aber vielleicht ist es gerade das, was den Erfolg der Chartstürmer ausmacht: „Sterneneisen“ ist frei von musikalischen Überraschungen und mutigen Experimenten, sondern bis auf wenige Ausnahmen geradlinig durchstrukturiert und auch für die anspruchsloseren Ohren der weniger dudelsackaffinen Plattenkäufer geeignet. Allerdings scheitern viele Bands aus dem Genre des härteren Folks bereits daran, ihre musikalischen Qualitäten auf dem jetzigen IN EX-Niveau umzusetzen. Insofern nur ein deutlich erhobener Zeigefinger für zu viel „mittelalterliche Metal/Rock/Pop-Massenware“ und Texte zum Davonlaufen.

Wertung: 5.5 / 10

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