Konzertbericht: In Extremo

10.07.2021 Strandkorb Open-Air, Augsburg

„Frei zu sein bedarf es IN EXTREMO“: So stand es auf einem Transparent, das einige Fans zum Strandkorb Open-Air nach Augsburg gebracht hatten. Nach fast eineinhalbjähriger Bühnenabstinenz kehrten Micha und Co. nun zurück auf die Bühne und überraschen unter anderem mit ihrer Songauswahl.

Die Besuchermenge einer mittelgroßen Konzerthalle verteilt in einzelne Strandkörbe auf dem Parkplatz eines riesigen Messegeländes – Corona stellt Musiker wie Veranstalter immer noch vor große Herausforderungen. Die Strandkorb Open-Airs haben sich für Abstand, Hygiene und Sicherheit ein pfiffiges Konzept überlegt und direkt mehrere Konzertreihen mit Nordsee-Feeling in verschiedenen Städten Deutschlands hochgezogen. Zunächst ist alles etwas weitläufiger und übersichtlicher, vor Beginn mag zunächst keine richtige Konzert-Atmosphäre aufkommen: Die Bühne ist ebenso hoch wie weit entfernt, der Abstand unter den kleinen Besuchergruppen ungewohnt. Als IN EXTREMO zehn Minuten vor dem angekündigten Showstart mit „Sängerkrieg“ loslegen, ändert sich die Situation schlagartig: Glückliche Gesichter wohin man blickt. Die beiden Leinwände an den Seiten der Bühne erinnern an große Stadionshows und vermitteln, dass diese Show auch für die Szeneveteranen keine alltägliche ist. Viel gefeiert hätten sie letzte Nacht bei ihrem ersten Wiedersehen, erzählt Micha – wer mag es den Barden nach so langer Zeit verübeln. Etwas angeschlagen wirken sie, aber auch voll motiviert. Nicht dabei ist Boris Pfeiffer, der die Band nach fast 25 Jahren verlassen hat. Erwähnt wird dies nicht, die Melodiearbeit für die mittelalterlichen Instrumente liegt dafür nun vermehrt bei Flex dem Biegsamen und Dr. Pymonte.
Anfangs gleicht die Show einem Best-Of: Klassiker wie „Rasend Herz“, „Küss mich“ und „Liam“ werden lautstark gefeiert, besonders im vorderen Teil des Geländes, in dem die Besucher auch einander sehen und nicht nur auf die Rückseite von Strandkörben blicken. Dass mit „Kompass zur Sonne“ ein gesamtes Album auf seine Livepremiere wartet, ist anfangs eine Randnotiz. Die Fans nehmen bereitwillig alles an, was ihnen die Musiker kredenzen: darunter auch eher schwächere Nummern wie „Gaukler“ oder „Alles schon gesehen“. Den Bogen zur aktuellen Veröffentlichung schlagen InEx erst mit „Troja“ und dann mit dem Titeltrack, den Micha an diesem Abend seiner Crew widmet, die trotz Corona in voller Mannstärke erhalten geblieben ist. Zusammen mit dem politisch motivierten und überaus gelungenen „Saigon und Bagdad“ bleiben die drei Stücke die einzigen Vertreter von „Kompass zu Sonne“ – vermutlich verbunden mit der Hoffnung der Band, noch eine eigene Tour zum letzten Album spielen zu können. Selten Gespieltes wie „Siehst du das Licht?“ vermittelt den Eindruck, dass IN EXTREMO sich mit den besonderen Umständen der Strandkorb-Reihe auseinandergesetzt haben – oder in neuer Besetzung noch nicht auf ihr gesamtes Arsenal zurückgreifen können. Vereinzelt geht es etwas ruhiger zu, als man es von den Berlinern gewohnt ist. Dafür erkundigt sich Micha regelmäßig nach dem Wohlergehen der Zuschauer und improvisiert einige Sprüche aus längst vergangenen Marktzeiten. Von damals übrig geblieben ist auch sein Mikrofonständer, wie er später berichtet. Dieser hat aber nach 26 Jahren seine besten Zeiten hinter sich.

Insgesamt funktioniert die Kombination aus mittelalterlichen Melodien, einzelnen Pyroeffekten und einer gehörigen Portion Schlagzeug mit E-Gitarren im Strandkorb-Kontext erstaunlich gut. Zusammen mit ihren Fans lassen InEx die äußeren Umstände zumindest zeitweise aus den Köpfen verschwinden. Am Ende wird es mit „Rotes Haar“ und „Ai Vis Lo Lop“ überraschend traditionell und mittelalterlich, ehe „Pikse Palve“ den Abend beendet. Mit ihrer zweistündigen Show zeigen IN EXTREMO, wie Rockkonzerte auch aktuell funktionieren können – und ganz nebenbei ein bisschen Freiheit vermitteln.

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