Review Neal Morse – Sola Gratia

2007 veröffentlichte NEAL MORSE „Sola Scriptura“ – eines seiner besten Soloalben, das die Geschichte von Martin Luther erzählt. Jetzt fügt er diesem Werk ein Prequel hinzu: „Sola Gratia“ vertont die Wandlung Paulus’ vom Verfolger der Urchristen zum Apostel. Klingt nach trockenem Stoff? Nicht bei NEAL MORSE! Er macht daraus ein energetisches, progressives und emotionales Konzeptalbum.

Schon der erste Song „Preface“ greift eine der Hauptmelodien von „Sola Scriptura“ wieder auf, und auch im weiteren Verlauf gibt es immer wieder Bearbeitungen von Themen der Scheibe – sie ist ein Fan-Favorit, und das weiß der Prog-Tausendsassa genau. Schlimm ist das nicht, denn in den 65 Minuten und 14 Tracks stecken genügend neue und gute Ideen, die „Sola Gratia“ eine eigene Identität und Existenzberechtigung geben.

Die Platte entstand während des Lockdowns und ist – genau wie die 2019er Rockoper „Jesus Christ The Exorcist“ – ein reines NEAL-MORSE-Album. Der Zusatz „Band“ fehlt, was vor allem eines bedeutet: Alle Songs wurden von NEAL MORSE im Alleingang geschrieben und eingesungen. Er zeichnet sich auch für fast alle Gitarren und Keyboards auf dem Album verantwortlich. Bill Hubauer und Eric Gilette, seine Kollegen der Neal Morse Band, dürfen lediglich zwei Soli beisteuern. Neals treue Wegbegleiter Randy George am Bass und Mike Portnoy am Schlagzeug sind natürlich wieder mit von der Partie.

Was erwartet den Hörer auf „Sola Gratia“? Etwa typische NEAL-MORSE-Kost? Ja, durchaus! Der Amerikaner hat eine unverkennbare Handschrift. Dennoch setzt er auf jedem Album einen anderen Schwerpunkt, verändert stets Härte, Komplexität und Tonalität. Die neuen Songs wirken wie eine Kreuzung aus „Sola Scriptura“ und „Jesus Christ The Exorcist“. Von Letztgenanntem borgt sich die Scheibe nicht nur einen gewissen Musical-Touch, sondern auch den Hang zu einfach gestrickten Rocknummern wie „Building A Wall“, „Ballyhoo (The Chosen Ones)“ oder „March Of The Pharisees“. Das klingt nach Stadionrock, nach Haarfön und Spaß – auch wenn das nicht recht zum Text passen mag.

Für die nötige Portion Prog in bester „Sola Scriptura“-Tradition sorgen frickelige Instrumentaltracks wie „Overture“ und „Sola Intermezzo“ oder der Neunminüter „Seemingly Sincere“. Mit seinem düsteren Sound und den treibenden Synth-/Gitarren-Arpeggios klingt er tatsächlich zunächst wie nichts, was Neal bisher gemacht hat. Leider reißt der recht gewöhnliche Refrain den Hörer unsanft aus der aufgebauten Stimmung. Die epischen Instrumentalabfahrten im Anschluss entschädigen dafür, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der erste Teil des Songs etwas zu lang geraten ist.

Richtig stark ist das Album vor allem in den ruhigeren Momenten: Die beinahe zerbrechliche Pianoballade „Overflow“ entfaltet eine ungemeine Kraft, während „Never Change“ mit seinem wunderbaren Gitarrensolo und dem Chorgesang Erinnerungen an Pink Floyd weckt. Der Abschluss mit „The Glory Of The Lord“ sowie „Now I Can See/The Great Commission“ ist NEAL MORSE pur und berührt sehr.

Neals Konzeptalben folgen immer einem ähnlichen Aufbau, aber selten verging die Zeit beim Hören so schnell wie bei „Sola Gratia“. Grund dafür sind auch die (beinahe zu) einfach gestrickten Lieder in der ersten Hälfte. Auch wenn sie gut unterhalten und durchaus frischen Wind bringen, ist die zweite Hälfte ab „Overflow“ deutlich stärker und mitreißender. Die stilistische Bandbreite fällt dabei nicht so hoch aus wie auf den letzten Platten der Neal Morse Band.
Über 20 Jahre Musik in guter bis überragender Qualität zu produzieren, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. „Sola Gratia“ ist ein weiteres sehr ordentliches Album und reiht sich in Neals hochklassiger Diskografie im Mittelfeld ein.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert