Review Nocte Obducta – Galgendämmerung (Von Nebel, Blut und Totgeburten)

Mit ihrem vierten Album, „Galgendämmerung (Von Nebel, Blut und Totgeburten)“, beschließen NOCTE OBDUCTA das erste Kapitel ihrer Bandgeschichte. Fortan soll die Reise weg vom reinen Schwarzmetall, hin zu deutlich experimentelleren Gefilden führen. Doch zunächst perfektioniert die Band die musikalische Rezeptur ihrer Frühphase – und liefert so eine Scheibe ab, die mittlerweile als essenzieller Bestandteil mindestens des deutschsprachigen Black-Metal-Klassikerkanons gelten darf. Was die vorherigen Alben bereits in beeindruckender Qualität boten, findet hier seine Vollendung.

Wie bereits „Lethe“ und „Taverne“ bedient sich „Galdendämmerung“ an den Stilelementen des 90er-Jahre-Black Metals: Blastbeats, sinfonisch anmutende Keyboards, pfeilschnelle Tremolo-Gitarren und infernalische Screams geben noch immer den Ton an. Noch immer sind die Songs von zahlreichen Breaks durchsetzt, die zwischendurch getragenere Parts einleiten, nur um schließlich wieder zurück zur Raserei zu führen. Wieder weisen einzelne, kurze Gitarrenbreaks in Richtung Thrash und Death Metal. Und doch wirkt das Songwritung, trotz aller Vielfalt innerhalb der Songs, nun insgesamt runder, homogener, durchdachter. Im Vergleich zu den beiden ersten Alben gibt es insgesamt weniger ruhige Parts zur Auflockerung. Dennoch ist die herbstlich-fahle, schwarzromantische Atmosphäre auf „Galgendämmerung“ am dichtesten.

Der Titel-Zusatz „Von Nebel, Blut und Totgeburten“ gibt bereits einen Einblick, worum es hier inhaltlich geht: im Mittelpunkt stehen dunkle, teils makabre, Geschichten und Stimmungsbilder. Die bringt Bandkopf Marcel, als Lyriker nochmals gereift, mittlerweile deutlich erwachsener rüber als etwa noch auf „Lethe“, wenn auch noch immer manches Sprachbild etwas windschief daherkommt. Die bildhafte Sprache wirft unweigerlich das Kopfkino an: „Es formt der Dunst ein Meer, der Wald ein Bild des Hafens. Der lädt zu einer Überfahrt ins Land des ew’gen Schlafens. Es weiß das feuchte Gras um die, die hier begraben als Asche schwarz und alt wie das Gefieder toter Raben.“ (aus „Nebel über den Urnenfeldern“) Bei allem Ernst und aller Düsternis beweisen die Mainzer Humor, der sich jedoch nur dem offenbart, der das Booklet zur Hand nimmt: Dort posieren die Bandmitglieder mit Ananas – wohl um den Teil der Black-Metal-Community zu triggern, der, um den Punktestand auf seinem „Trveness-Konto“ besorgt, zum Lachen in den Keller geht.

Bereits das Intro „Fruchtige Fäulnis“ führt mit unheilvoll-atmosphärischen Synths gekonnt ein in die Nocte’sche Schattenwelt, ehe „Der Durst in meinen Augen“, typisch Blastbeat-lastig, schaurig die Perspektive eines Mädchenmörders einnimmt. Stimmung und musikalische Mittel wandeln sich im Verlauf der Platte kaum. Darin, trotzdem zu keiner Sekunde zu langweilen, liegt hier das Kunststück. Einzig „Der Sand des späten Winters“ fällt als Ruhepol inmitten der Tracklist aus dem Schema – tut das aber so eindrucksvoll, dass das kurze Intermezzo mit seinen schwelgenden Keyboards zu den einprägsamsten Momenten der Platte gehört. Drumherum tobt der Wahnsinn im besten Sinne. „Eins mit der Essenz der Nacht“ kleidet die Ambivalenz der dunklen Stunden zwischen Bedrohlichkeit und Verklärung perfekt in Töne. Der Titelsong „Galgendämmerung“, eine schaurige Traumvision, bleibt mit seinem eingängig als Chorus wiederholten Titel rasch im Gedächtnis. Mit „Wenn nur im Tod noch Frieden liegt“ beschließt ein gut zehnminütiger Höhepunkt das Album.

„Galgendämmerung“ darf sich somit neben Großtaten wie Naglfars „Hünengrab im Herbst“, Drautrans „Throne Of The Depths“ und Helrunars „Grátr“ einreihen und sollte zu den essenziellen Scheiben gehören, die Black-Metal-Fans hierzulande im Schrank stehen haben sollten. Mit der EP „Stille“ und den beiden „Nektar“-Alben wird die Band in der Folge gleich drei weitere Klassiker erschaffen, auf denen sie ein Stück ihrer Rohheit hinter sich lassen, dafür aber nochmals an Eigenständigkeit gewinnen wird.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Nico Schwappacher

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