Review Nocte Obducta – Lethe (Gottverreckte Finsternis)

Willkommen „Im Bizarren Theater“. Mit „Lethe (Gottverreckte Finsternis)“ legen die Mainzer Black Metaller NOCTE OBDUCTA im Jahr 1999 ihr erstes Langspielalbum vor. Dem war im Vorjahr lediglich das Demo „Doch lächeln die blutleeren Lippen“ vorausgegangen. Besonders für ein Debüt ist die Platte schon erstaunlich ausgereift und durchdacht – wenn auch die herausragende Eigenständigkeit, die die Band spätestens seit der „Stille“- EP und den beiden „Nektar“-Alben auszeichnen sollte, noch nicht in ihrer vollen Blüte steht. Wer mit diesen Alben zu NOCTE OBDUCTA gefunden hat, erkennt die Band hier kaum wieder. Und könnte trotzdem eine positive Überraschung erleben.

Das nach einem der Totenflüsse der griechischen Unterwelt benannte Erstlingswerk kann seine Einflüsse nicht leugnen. Der Blastbeat-lastige, von zahlreichen Breaks gekennzeichnete Stil erinnert teils frappierend an Emperor auf „In The Nightside Eclipse“ und „Anthems To The Welkin At Dusk“ (man höre nur auf das Zusammenspiel von Gitarren und sinfonisch anmutendem Keyboard in Titeln wie „Eine Teichoskopie“, „Honig der Finsternis/Phiala Vini Blasphemiae“ und „Solange euer Fleisch noch warm ist“).

Auch die frühen Cradle Of Filth in ihren rasenderen Momenten kommen hier und da in den Sinn – schon wegen des oft exorbitant hohen, heiseren Kreischens von Bandkopf Marcel Breuer, damals noch als „Marcel Va. Traumschänder“ agierend. Die frühen Dornenreich dürfen, der überbordenden Expressivität des Dargebotenen wegen, ebenfalls als Vergleich herhalten. Mit Agathodaimon, aus deren Umfeld NOCTE OBDUCTA einst entsprangen, und deren hochmelodischer, im Vergleich eher getragener Black-Metal-Interpretation hat das Material auf „Lethe“ hingegen wenig gemein: Es ist ungleich ungestümer, rauer und chaotischer.

Den Vorwurf des Epigonentums braucht sich Marcel, der „Lethe“ beinahe im Alleingang geschrieben hat, ohnehin nicht gefallen zu lassen. Eine eigene Note ist bereits herauszuhören. Denn was NOCTE OBDUCTA später, auf ihren stilistisch breiter aufgstellten Werken, ausmachen sollte, ist hier zumindest bereits angelegt. So macht etwa in „Begräbnisvermählung“ klirrende Raserei einem simplen, von Clean-Gitarren und Synthesizer getragenen Part Platz, der als Teppich für rezitativ geraunte Vocals dient. Auch das getragene „Der erste Frost“ – das den offiziellen Teil des Albums abschließt, bevor nur noch der Hidden Track folgt – gemahnt bereits an den melancholischen, bedachteren, etwas kompakteren Stil der „Stille“-EP. Ruhigere, geradezu gotische Töne schlagen auch die beiden auf Klavier und Synthesizer beruhenden Zwischenspiele „Lethe – Teil 1“ und „Lethe – Teil 2“ an.

„Gotisch“ ist bereits ein gutes Stichwort für die Betrachtung der Lyrics, die ohne Mitlesen allerdings kaum zu verstehen sind. Auch sie deuten schon Marcels ureigenen Stil an, der zu archaisierender Sprache und dunkelromantischen, teils kryptischen Bildern neigt. Und doch nötigen sie dem Hörer hier noch rasch ein Schmunzeln ab: Mancher Text behandelt Themen wie Lust und Tod, Perversion und Blasphemie in einer verquast-spätpubertären Art, die wohl in erster Linie edgy sein sollte. Hinzu gesellen sich gruftige Schlüsselworte rund um Blut, Gräber, Rosen und Dunkelheit.

Das hat einen eigenen, Charme von Sturm und Drang, erreicht aber nicht das spätere lyrische Niveau. Heraus kommen Texte, die mit anderer Vertonung auch auf einem Album der Neuen Deutschen Todeskunst kaum fehl am Platze wären. In „Honig der Finsternis“, der Beschreibung einer Orgie an sakraler Stätte, kulminiert all das: „Tempel prachtvoll finster. Im Spiegel aufgewühlter Himmel. Lästerlich entweiht sakralen Boden Opferblut. Verdunkelt die Gestirne in geronnener Begierde. Rausch, Ekstase, Sündenfall. Epos einer bittersüßen Nacht. Ein Weltbild stöhnt in Flammen. Scheiterhaufen fiebriger Unversöhnlichkeit.“

So ist „Lethe (Gottverreckte Finsternis)“ ein Album, dessen Neuentdeckung sich durchaus lohnt. Der NOCTE-OBDUCTA-Fan von heute darf dabei nur nicht das Gewohnte erwarten. Wer mit ungestümem, schwarzromantischen 90er-Jahre-Black-Metal etwas anfangen kann, macht hier nichts falsch und bekommt eine Platte ohne größere Schwachpunkte. Doch ist das im NOCTE-OBDUCTA-Kosmos eben noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Nico Schwappacher

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