Review Pain Of Salvation – Scarsick

Die Veröffentlichung eines neuen PAIN OF SALVATION-Albums ist in der Progszene ungefähr so etwas Besonderes wie die Fastenzeit in der Religion. Die schwedischen Progmetaller haben sich mit ihren bisherigen sechs Alben schließlich den Ruf einer innovativen, abwechslungsreichen, überaus ambitionierten und kreativen Band eingefahren und es als eine der ganz wenigen Bands des Genres geschafft, dem Dream Theater-Schatten gänzlich zu entspringen. Inzwischen gibt es sogar Nachwuchsbands, die sich nicht mehr darauf konzentrieren, das Traumtheater nachzuspielen, sondern die eben PAIN OF SALVATION nacheifern. So ganz weiß man nie, was einen erwartet, wenn man einen neuen Silberling von Gildenlöw & Co. in den Player einlegt, denn die Herren wissen durchaus zu überraschen und scheren sich nicht besonders um die Vorlieben ihrer Fans.

Das Adjektiv, welches wohl alle bisherigen Alben der Band gut umschreibt, ist „anspruchsvoll“, vor allem auch in textlicher Hinsicht. Die Band veröffentlicht im Grunde nur Konzeptalben, die meist ziemlich schwierige, heikle und unschöne, teils sogar autobiographische Themen behandeln. Diese hat die Band bisher in ein ziemlich düsteres, unbehagliches, oftmals gar erdrückendes musikalisches Kleid verpackt. Dieses Kleid konnte ich mir, um mal diese Metapher zu übertragen, gelegentlich anziehen, allerdings stand es mir auf Dauer nicht. Zu anstrengend, zu depressiv, zu verkopft kam mir die Musik der Band rüber. Überambitioniertes Seelenstriptease und Erlebniskino in einem.

Und nun kommt also „Scarsick“; es sind seit dem Erscheinen des Vorgängers „Be“ drei Jahre vergangen, in denen die Band nicht nur ihren Bassisten Kristoffer Gildenlöw rausschmiss, sondern auch einen neuartigen Sound entwickelte. Einen Sound, der immer noch klar PAIN OF SALVATION durchscheinen lässt, aber gleichsam so modern, vielseitig und gradlinig ist, wie niemals zuvor. Ohne alle Alben der Band zu kennen, lasse ich mich klar und deutlich zu dem Statement hinreißen, dass die Band mir persönlich nie besser gefallen hat. Warum?

Das ist recht einfach zu erklären: Man bleibt bei den kritischen, depressiven Themen, die sich dieses Mal beispielsweise mit körperlicher und seelischer Prostitution auseinandersetzen, doch hat den musikalischen Teil des Konzepts entschlackt, von allem unnötigen Ballast befreit, gibt der Musik Raum zum Atmen, zum Entfalten, zum Leben! Um es mit einfachen Worten zu sagen: Die Musik klingt so frisch, wie moderner Progmetal heute nur klingen kann – und zudem macht es erstmals sogar Spaß, ein PAIN OF SALVATION-Album zu hören; mehr noch: Man will es immer wieder hören. Kein Song, kein Teil des Puzzles überfordert den Hörer, kein Teil wirkt überambitioniert. PAIN OF SALVATION werden einfacher, kommen vom Trip runter, haben aber immer noch genug Überraschungen zu bieten.

Da sei z.B. der extrem zynische Text der Halbballade „Cribcaged“ genannt, wo Gildenlöw den Kampfspruch „You’re just people!“ propagiert. Der ein oder andere Fan des dunklen, alten Sounds wird zudem bei solchen Tracks wie „America“ mit seinem Alternative Rock/Emo-Beginn schlucken müssen, oder bei „Disco Queen“, in dem der ernste Text tatsächlich in einen Prog-Discosong verpackt wird und Gildenlöw es sichtlich genießt, den Fans einen DiscoPop-Refrain (inklusive Modern Talking-Vocals!!) um die Ohren zu knallen, den Schlagzeuger Johan Langell natürlich mit entsprechend poppigen Rhythmen untermalt. Diese Songs machen trotz ihrer bitterböse Texte tatsächlich eine Menge Spaß, was eben etwas völlig Neues für die Band ist. Man kann sich natürlich die Frage stellen, was die Jungs beim Songwriting und der Produktion eines solchen Songs geraucht haben, aber mit normalen Maßstäben war die Musik von Gildenlöw & Co. noch nie zu messen. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten. Auch der extrem an Rap- und NuMetal-erinnernde Gesang in „Spitfall“ weiß zu überraschen, ist aber ungemein gelungen, zudem der der sich anschließende Refrain absolut großartig und zudem noch radiokompatibel ist, ohne auch nur im Ansatz anzubiedern. Das zehnminütige „Enter Rain“ bietet gelungene, apokalyptische Endzeitstimmung par excellance.

Frickelpassagen kommen deutlich kürzer als auf anderen Releases der Band, stattdessen bemüht man sich durchgehend, mit jedem Song eine dichte und spezielle Atmosphäre zu schaffen, was auch vorzüglich gelingt. Hier verweise ich auf die Ballade „Kingdom Of Loss“ (Ähnlichkeiten zu dem Songtitel „King Of Loss“ vom Album „The Perfect Element“ sind mit Sicherheit Absicht!), die mit ihrem sanften Gesang und den stark eingesetzten Sprachsamples für Gänsehaut und innere Betroffenheit sorgt. Ganz großes Kino. Das Piano setzt in den ruhigen Momenten der Scheibe wie schon zuvor bei der Band großartige Akzente, berührt so den Hörer unmittelbar. Gildenlöw singt stark wie gewöhnlich, ohne das sein Gesang den Hörer unnötig strapaziert, wie es früher manchmal meiner Meinung nach der Fall war. Neu ist auch die Besinnung auf einfache, gradlinige, aber ungemein gut sitzende Riffs – die diesmal eben aufgrund des allgemein luftigeren Sounds auch atmen können.

Es gibt keinerlei Ausfall zu verzeichnen, anfänglich war ich der Meinung, dass der Opener und Titeltrack tatsächlich der schwächste Song der Platte ist, aber dieser Eindruck hat sich nach einigen Durchgängen revidiert. Produktion und Artwork sind auf typischem InsideOut-/Pain Of Salvation-Niveau, also großartig. Mein Fazit im noch recht jungen Musikjahr 2007 lautet: PAIN OF SALVATION überzeugen mich endlich auf ganzer Linie! Mit einem frischen, anspruchsvollen, aber nicht überambitionierten Album, dass auch aufzeigt, wie innovativ man im Progmetal noch sein kann. Ich ziehe vorerst im Punkteregister nur die „9“, weil das Jahr noch jung ist und man ja nicht wissen kann, was noch alles auf uns zukommt und auch die Langzeitwirkung der Platte noch abwarten muss, aber „Scarsick“ ist zunächst einmal das Album, an dem sich alle Progmetalbands dieses Jahr messen lassen müssen. Auch Dream Theater. Jungs, ihr habt einen Hörer mehr!

Wertung: 9 / 10

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