Review Transatlantic – The Whirlwind

Es grenzt schon an ein kleines Wunder: Nach sieben Jahren Funkstille findet sich die selbsternannte Prog-Supergroup TRANSATLANTIC wieder zusammen, um ein neues Album einzuspielen. 2002 hatte sich der ex-Spock’s Beard-Chef Neal Morse aus religiösen Gründen dazu entschieden, TRANSATLANTIC an den Nagel zu hängen. Da Neal einer der Hauptsongwriter der Band war, gab Mike Portnoy (Dream Theater) bekannt, ohne ihn das Projekt nicht fortführen zu wollen.

2008 schrieb Neal ein 40-minütiges Epic mit dem Titel „The Whirlwind“ und entschloss sich, Mike Portnoy und die beiden anderen TRANSATLANTIC-Kollegen Roine Stolt (Flower Kings) und Pete Trewavas (Marillion) zu kontaktieren. Ums kurz zu machen: Im April 2009 trafen sich die vier in Neals Studio in Nashville, um zusammen an dem Stück zu arbeiten und daraus das dritte Album der Band zu formen.

Nun ist die Combo ja ohnehin schon für bis zu 30-minütige Longtracks bekannt – schließlich gab es von der Art auf den beiden bisherigen Alben „SMPTe“ (2000) und „Bridge Across Forever“ (2001) schon einige. Es musste also „the epic to end all epics“ her, und so kommt es, dass „The Whirlwind“ zu einem 77-minütigen Monstertrack gewachsen ist, der in zwölf Parts eingeteilt ist.

Die Nachricht eines neuen TRANSATLANTIC-Albums war für die Prog-Gemeinde sicherlich ohnehin schon Sensation genug, also haben die vier Herren beschlossen, auf Experimente zu verzichten und stattdessen das abzuliefern, wofür sie bekannt wurden: Auslandenen, epischen Retroprog mit eingängigen Melodien und instrumentalen Glanzleistungen. Davon hat auch „The Whirlwind“ mehr als genug, dennoch haben die Jungs im Detail einiges verändert: Insgesamt kommt der Track weniger verspielt rüber, die Instrumente werden songdienlicher eingesetzt, sodass es außer der achtminütigen Overtüre, dem Instrumentalteil „Pieces Of Heaven“ und etlichen Gitarrensoli von Roine Stolt kaum bemerkbare instrumentale Achterbahnfahrten gibt. Am rasantesten wird es sicher am Ende von „Is It Really Happening?“, bei dem alle Beteiligten nochmal zeigen, wie schnell sie spielen können. Das tönt dann gut und gerne mal nach Neals Solowerk „Sola Scriptura“. Außerdem klingt das Stück nicht selten etwas poppiger als bisher von der Gruppe gewohnt. Rockige Parts wie „Hanging In The Balance (vom Longtrack „Stranger In Your Soul“ des Albums „Bridge Across Forever“) finden sich hier nicht. Mit dem Part „Lay Down Your Life“ versucht sich Neal zwar als Whitesnake-Sänger mit Hair-Rock-Attitüde, aber so wirklich zu ihm passen tut es nicht. Für den Löwenanteil des Songwritings dürfte er sich allerdings auch dieses Mal verantwortlich zeichnen, auch wenn einige Parts klar und deutlich die Handschrift von Roine Stolt tragen („A Man Can Feel“, „Evermore“, „Pieces Of Heaven“). Die Hauptmelodie lässt bereits nach zwei Sekunden keinerlei Zweifel daran, dass sie von Neal Morse stammt.

Lobenswert ist vor allem die ausgewogene Produktion, bei der der Bass erstaunlich weit vorn gelandet ist, sowie die Tatsache, dass der Vierer es geschafft hat, aus einzelnen – auch klar erkennbaren – Songs etwas homogenes Ganzes zu kreieren. Gelungene Übergänge und vielfältige Rückbezüge innerhalb der Tracks sorgen dafür, dass „The Whirlwind“ bis auf zwei, drei Momente wie aus einem Guss wirkt. Eine beeindruckende Leistung, wenn man berücksichtigt, dass das Album innerhalb von weniger als zwei Wochen konzipiert wurde und in dieser Zeit auch noch die Bass- und Schlagzeugspuren aufgenommen wurden. Apropos Schlagzeug: Mike Portnoy präsentiert auch hier wieder sein gewohnt ausgefeiltes, exaktes Drumming. Mittlerweile langweilen die immergleichen Fills und Grooves aber doch etwas. Vielleicht sollte er sich einmal ein bisschen mehr zurücknehmen und nicht alles unüberlegt zukleistern.

Angesprochen werden müssen natürlich auch noch die Texte: All diejenigen, die befürchteten, dass Neal auch TRANSATLANTIC von nun an mit Jesus-Lobeshymnen übergießen würde, dürfen erleichtert aufatmen. Das Konzept der Vorgänger, insbesondere das von „Bridge Across Forever“ wird im Grunde beibehalten: Sprituelle Lyrics. Es geht um die „Wirbelstürme“ unseres Lebens, darum wie wir und unsere Mitmenschen damit umgehen und wie wir uns aus den manchmal dunklen Momenten unserer Existenz befreien können. Dies alles wird mit einem Vokabular vorgetragen, das auch Hörern, die mit Religion Nichts am Hut haben, nicht sauer aufstoßen dürfte: Jesus wird gar nicht erwähnt, die Begriffe Gott und Satan fallen nur einmal und ansonsten werden vor allem Metaphern wie Licht, Hoffnung und Himmel benutzt. Wer Neals christlichen Hintergrund kennt, versteht zwar schon nach der Overtüre, wie der Hase läuft, aber insgesamt gestalten sich die Texte unaufdringlich. Lediglich im abschließenden „Dancing With Eternal Glory“ wird es ziemlich eindeutig.

Um dem neuen Werk der Supergroup einen entsprechenden Rahmen und ordentlich Publicity zu verschaffen, erscheint das Album auch noch als Special Edition mit Bonus-CD, sowie als Super Deluxe Edition mit Bonus-CD sowie Bonus-DVD mit 105-minütigem Making Of. Auf der Bonus-CD finden sich vier weitere neue TRANSATLANTIC-Kompositionen sowie Coverversionen von „The Return Of The Giant Hogweed“ (Genesis), „A Salty Dog“ (Procol Harum), „I Need You“ (America / The Beatles) und „Soul Sacrifice“ (Santana).

Insgesamt reiht sich „The Whirlwind“ ohne Zweifel qualitativ und stilistisch in die bisherigen Studio-Outputs von TRANSATLANTIC ein, ist dabei vielleicht musikalisch dem Erstling etwas näher als dem Zweitwerk, denn Beatles-Bezüge fehlen diesmal ebenso wie härter rockende Parts. Es ist ein stimmig arrangiertes Album geworden, dass zwar nicht ganz die stilistische Bandbreite eines Neal Morse-Soloalbums erreicht, aber dennoch hervorragend und ohne Längen unterhält. Für Fans der beteiligten Musiker ist die Anschaffung Pflicht, für TRANSATLANTIC-Anhänger sowieso. Bleibt noch die Frage, ob die Band dieses Mammutwerk auch auf die Bühne bringen kann und will, oder ob die neuerliche Kooperation der vier Herren bis auf Weiteres eine einmalige Sache war. Das wäre schade, denn Alben in der Qualität von „The Whirlwind“ hört man im Retroprog nicht alle Tage.

Wertung: 9 / 10

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