Interview mit Volkmar "Volk-Man" Weber von Die Apokalyptischen Reiter

DIE APOKALYPTISCHEN REITER sind seit über 25 Jahren eine Instanz. Mit „The Divine Horsemen“ steht aktuell die Veröffentlichung eines einzigartigen Projektes an. Zudem feierte die Band das 20-jährige Jubiläum von „All You Need Is Love“. Wir sprachen mit Volkmar „Volk-Man“ Weber über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Reiter und wie man aktuell die Zeit möglichst gut verbringen kann.

Hallo und danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Das Thema ist etwas leidig, aber Corona ist leider immer noch aktuell. Wie geht es euch mit der aktuellen Situation?
Wir sind, wie die meisten, ziemlich genervt von dem Thema. Zum einen, weil die Einschränkungen nun schon so lange dauern und weil man nicht das Gefühl hat, dass die Krise professionell gemanagt wird.

Wie verbringt ihr im Moment eure Zeit?
Wir stecken gerade bis zum Hals in Arbeit. „The Divine Horsemen“ wird am 2.Juli erscheinen und die Promo samt Vorverkauf hat bereits begonnen. Zusätzlich sind wir neben diesem Album auch seit Monaten mit den Aufnahmen für den Nachfolger von „Der rote Reiter“ beschäftigt, der im Moment gemixt wird. Trotz Beschränkungen im Reiseverkehr planen wir gerade Foto/Videosessions im Sommer im Ausland, was etwas dem Ritt auf einer Rasierklinge gleicht, weil sich dauernd etwas ändert.

Vielleicht kann man dem Ganzen auch etwas Gutes abgewinnen. Wie wirkt sich eine solche „erzwungene“ Pause auf die Kreativität aus? Siehst du hier positive Aspekte?
Positives zu finden, fällt schwer, aber es ist immerhin ein kleiner Trost, dass die Pandemie jeden einzelnen auf seine ganz spezifische Weise trifft. Das macht es leichter, die Opfer und Entbehrungen zu bringen. Der Leerlauf hat im philosophischen Sinne natürlich auf seine guten Aspekte: Zeit. Es gibt sie nun scheinbar in Hülle und Fülle und somit auch notgedrungen die Möglichkeit, das Sein selbst, sein Leben, das große Hamsterrad und Räderwerk, in dem man sich bewegt, kritisch zu hinterfragen. Da ich ein positiver Mensch bin, sehe ich in jeder Krise eine Chance und wenn sich eine Tür schließt, öffnen sich mitunter gleich zwei neue.

Apropos Kreativität. Ihr habt über Ostern ein neues Projekt geteasert und auch vorher schon bekannt gegeben wieder im Studio zu sein. Was hat es mit dem Namen „The Divine Horsemen“ auf sich? Wie entstand der Titel?
Fuchs kam diese Idee kurz nach der Session. Wir waren noch ganz benommen von den intensiven Erfahrungen dieser einmaligen Aktion und irgendwie hatten wir alle das Gefühl, von etwas überirdischem und göttlichem durchdrungen gewesen zu sein. Es war eine rauschhafte Trance, die noch Tage im Körper pulsierte, als hätten wir eine Energie freigelegt, die uns bis dahin nicht bewusst war. Die Idee, eine Platte in zwei Tagen aufzunehmen, haben wir schon über 10 Jahre. Eigentlich war es bereits eine Art Running Gag, doch 2020 schien die richtige Zeit gekommen zu sein, das Projekt anzupacken.

Stammt das Artwork wieder von Fuchs? Wie fiel die Wahl auf dieses Werk und welche Bedeutung liegt ihr inne?
Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Fuchs hat ein riesiges Holzrelief namens „Salus“ vor einiger Zeit erstellt. Dies diente als Vorlage für die Kollage, die auf dem Cover zu sehen ist. „Salus“ ist auch als Song Nummer 2 auf dem Album zu hören.

Schaut man genau auf die Lösung des Easter Eggs, findet man dort die Namen von fünf Loas, Geistwesen aus dem Voodoo. Was hat es mit genau diesen fünf Namen und Aspekten auf sich und in welchem Zusammenhang stehen sie mit „The Divine Horsemen“?
Wir, die auserwählten Sterblichen, gehörten zu einer kleinen Gruppe die weltweit agiert und noch Zugang zu ihrem Ich besitzt. Wir fünf stellten uns der Extase und dem blutigen Ritual und ließen uns besetzen. Mit Hilfe dieser mächtigen und zuweilen sehr ungehaltenen Geister war es nun die Aufgabe den Samen für die neue Zeit zu pflanzen, der Menschheit die Möglichkeit zur Heilung zu geben und sie auf den großen Sprung vorzubereiten.

Wie seid ihr auf die Thematik des Voodoo aufmerksam geworden?
Es gibt einen Film „Divine Horsemen: The Living Gods of Haiti“ aus dem Jahr 1954. Das Ding hat uns definitiv schon seit vielen Jahren im Kopf herumgespukt.

Welche Einflüsse hat „Der Rote Reiter“ auf „The Divine Horsemen“?
Keine.

Wenn du „Der Rote Reiter“ Revue passieren lässt und das Album im Nachhinein betrachtest: Wie hat es euch musikalisch vorangebracht und welche Lehren habt ihr daraus gezogen, um sie in zukünftige Projekte einfließen zu lassen?
Ich denke, „Der rote Reiter“ hat eine sehr experimentelle Phase von uns beendet, die mit „Moral & Wahnsinn“ und „Tief.Tiefer“ sehr ausgiebig zelebriert wurde. Nach „Tief.Tiefer“ und der 20Y Anniversary Show haben wir die Band ja ganz bewusst auf Eis gelegt, da wir nach 20 Jahren einfach das Gefühl hatten, dass ein Break sein muss. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass wir es nicht mal zwei Jahre ohne Band aushalten, dennoch war „Der rote Reiter“ wie ein Neustart. Ich denke, auch musikalisch haben wieder direkteren Zugang zu vielen Fans gefunden haben, die nicht jedes Experiment von uns mitgehen wollten. Speziell bei „Tief.Tiefer“ haben wir uns insgesamt zu sehr in Details verloren. Jeder in der Band war unheimlich kreativ und wir hatten gefühlt Material für 10 Alben, aber es blieb doch oft Stückwerk, weil sich kein richtig roter Faden durchs ganze Album zog. Bei „Der rote Reiter“ sind wir zur bewährten alten Arbeitsweise zurückgekehrt, wo Fuchs im wesentlichen erstmal ein Grundgerüst vorgibt und wir dann alle gemeinsam vorwärts gehen. Ich denke, eine Band braucht immer einen Kompass, an dem sie sich orientieren kann. „Der rote Reiter“ stand auch als Album-Titel schon ewig fest, jeder Song musste sich da einordnen oder einsortieren lassen. „Tief.Tiefer“ war diesbezüglich ganz anders, da fanden wir den Titel erst nach etlichen „Brainstorming“ Sessions, nachdem die Aufnahmen bereits komplett abgeschlossen waren.

Aktuell gibt es nicht nur Grund in die Zukunft zu schauen, was „The Divine Horsemen“ betrifft. Es gibt vor allem durch das Jubiläum von „All You Need Is Love“ und dessen XX Years Anniversary Edition die Möglichkeit, die letzten Jahre in den Fokus zu rücken. Wenn du dich an die Anfänge der Reiter erinnerst, wer waren die Reiter zur Jahrtausendwende zum Release von „All You Need Is Love“? Wer wart ihr persönlich und musikalisch?
Wir waren eine junge, extrem hungrige Band, die gerade zwei Alben veröffentlicht hatte und mit der Unterschrift bei Hammerheart Records auch das erste Mal ein nennenswertes Budget in die Hand gedrückt bekommen hatte. Vorher hatten wir ja alles mehr oder weniger in Eigenregie bei uns in Weimar aufgenommen, nun waren wir mehrere Wochen weg von zu Hause und in einem richtigen Tonstudio. Das fühlte sich extrem aufregend an, da man spürte, dass das Potential der Band, aus dem provinziellen Mief zu entfliehen, nicht nur ein Hirngespinst war. Wir hatten auch die erste personelle Veränderung hinter uns gebracht und unseren alten Drummer Skeletton gegen den damals noch keine 20 Jahre alten Sir G. getauscht. Das war auf jeden Fall eine Zäsur, da die Band größer und wichtiger wurde, und fühlte sich an wie eine Mission für eine größere Sache, die eben auch Opfer und Schmerz erforderten.

Und wie hat sich das konkret gewandelt? Wer sind die Reiter jetzt, nach mehr als 25 Jahren Bandgeschichte?
Ich denke, mit „All You Need Is Love“ und den ersten größeren Tourneen wurden wir letztlich auch für Nuclear Blast interessant. Für uns kam das Signing im Jahr 2002 zur perfekten Zeit, denn wir konnten einfach auf viele Jahre nun sehr konkret einen starken Partner hinter uns wissen und somit auch unseren bis dahin eingeschlagenen Lebensweg nochmal überdenken. Wir waren damals alle um die 25 Jahre, beschlossen, unsere Jobs zu kündigen und fortan nur noch Musik zu machen. Ich erinnere mich gut an ein Treffen mit den Jungs, wo wir uns geschworen haben, „dass wir es durchziehen werden“. Ich denke, das schönste über die Jahre war, dass wir beharrlich, loyal und clever waren. So blieben uns viele Blutsauger und Arschlöcher erspart, da wir windige Hunde schon von Weitem erkannten und wussten, mit wem wir arbeiten und mit wem besser nicht. Es geht Ratz Fatz, da flutschen dir von 10 verdienten Euro direkt 9 wieder durch die Finger. Beispiele gibt es genug. Wir kennen genug Bands, die riesige Touren gespielt haben und nach ein paar Jahren trotzdem pleite waren. Von all dem ahnt der Fan normalerweise auch nichts, was auch gut ist, aber das Showgeschäft ist am Ende des Tages eine knallharte Angelegenheit und wer sich nicht auskennt, fliegt schneller aus der Bahn, als er bis drei zählen kann.

Welchen Stellenwert hat „All You Need Is Love“ damit für dich persönlich?
Es war unser nationaler und internationaler Durchbruch und die rohe, unverstellte Energie ist auch jetzt, nach über 20 Jahren, immernoch greifbar.

Hast du einen persönlichen Lieblingssong auf der Platte? 
Das schwankt, ganz nach Stimmung. „Licked By The Tongues Of Pride“, weil er so erbarmungslos über einen hereinbricht, „Gone“, weil die Gitarrenmelodie übergroß ist und „Rausch“, weil er alle Facetten des musikalischen Reiterkosmos in wenigen Minuten verdichtet und dabei immer das Gefühl vermittelt, mit ausgebreiteten Armen auf einer riesigen Klippe zu stehen.

Hast du generell einen Song aus eurem sehr breiten Spektrum, der für dich das meiste Gewicht hat? Welchen Hintergrund hat der Song für dich?
„Der rote Reiter“, weil es ein sehr gewaltiger und sehr apokalyptischer Song ist, der auch gleichzeitig für den Neuanfang der Reiter steht. Ich kann seine Energie spüren und ich weiß auch, wie es in mir „Klick“ gemacht hat, dass die Geschichte der Reiter auch nach 2015 noch weitergehen sollte.

Mit „Wie der Weltuntergang Teil meines Lebens wurde“ habt ihr bereits zum 20-jährigen Bestehen der Band einen sehr umfangreichen Einblick in euren Werdegang gegeben. Hast du eine besondere Erinnerung der letzten fünf Jahre, die du ergänzen möchtest? Wenn ja, welche?
Es gab die Idee, noch etwas zu ergänzen, aber fünf Jahre sind nun auch etwas arg wenig, zumal die letzten Monate ja auch von Stillstand (zumindest Live) geprägt waren. Ich denke, vielleicht passieren ja jetzt mit „The Divine Horsemen“ und dem nächsten Studioalbum, welches Anfang 2022 erscheinen wird, noch einige sehr coole Dinge. Dann schiele ich lieber auf den 30. Geburtstag 2025. Just gestern haben wir, zum ersten Mal überhaupt, eine Zusage aus Japan bekommen, dass dort „The Divine Horsemen“ auch als CD veröffentlicht wird. Das verrückte ist: wir versuchen das schon seit Ewigkeiten, aber nie konnte bisher ein Label aus Japan gewonnen werden. Nun machen wir so ein an sich skurriles und absurdes Happening wie „The Divine Horsemen“ und jetzt klappt vieles ganz von allein. Da fällt mir eine Textzeile von den Ärzten ein: „Ich bin immer dann am besten, wenns mir eigentlich egal ist.

Hab Dank für die Einblicke und Antworten. Bei uns ist es üblich, ein Interview noch mit einem kleinen Brainstorming abzuschließen. Sag uns, was dir als erstes in den Sinn kommt:

2021 wird… Nervig, zäh aber mit einem Happy End enden.
Die Reiter in 10 Jahren? Werden weiter für Überraschungen sorgen.
Meine Botschaft an mich in 10 Jahren? Du wolltest doch mehr Sport machen.
Das mache ich als erstes, wenn Corona überstanden ist: Zuerst mit der Transsibirischen Eisenbahn bis Peking fahren. Und danach mit dem Wohnmobil durch den Wilden Westen der USA. Mit meiner Familie. Wir liebes es, zu reisen und unterwegs zu sein. Und zweifelsohne ist das Gefühl, eingesperrt zu sein, im Moment das, was mich am meisten belastet.
Diese Musik / Band höre ich aktuell: Alte Sepultura mit Max und Soufly, mein musikalisch prägendster Einfluss in all den Jahren. Ich habe so viele Sachen entdeckt, die auf den Re-Releases und Streaming Plattform Editionen drauf waren, die ich gar nicht kannte. Ich habe ja damals alle Platten immer sofort gekauft und mich nie um die Re-releases gekümmert. Aber da gibt es wirklich coole Perlen zu entdecken. Zum Beispiel den „Arise“ Probemix von Scott Burns, der damals dann doch nicht verwendet wurde. Scott war ja Anfang der 90er mein Producerheld und leider hat das Budget bei „All You Need Is Love“ nicht gereicht, um in Florida aufgenommen zu werden – ach verdammt, wir hätten es damals einfach durchziehen sollen.
Dankeschön für das Interview!

 

Publiziert am von

Fotos von: Andreas Brückner

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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