Interview mit Maik Weichert von Heaven Shall Burn

Die einen verspüren immer noch eine Aversion gegen die größten Vertreter des Metalcore aus Deutschland, die anderen, und die werden mehr und mehr, können vom schwedisch gefärbten Extreme Metal, den HEAVEN SHALL BURN ihnen bieten, nicht genug bekommen. Das neue Album „Invictus“, das qualitativ, und vor allem, was die Brutalität mancher Songs angeht, das bisherige Meisterwerk im Backkatalog der Thüringer darstellt, ist Grund genug, Gitarrist Maik Weichert zum ausführlichen Interview zu laden, welcher ausführlich und sympathisch zu verschiedensten Themen rund um Politik, Musik und trocken gelegte Swimming Pools Auskunft gibt.

Hi Maik, danke dir für das Interview erstmal. Ist die Promotion-Arbeit zum neuen Album soweit absolviert oder fällt immer noch viel an?
Also jetzt am Freitag ist ja Release, und die kommende Woche müssen wir dann noch ganz schön gepusht werden, da kommen noch Trailer, nochmal News, und die paar Interview jetzt eben. Aber das geht alles, das Schlimmste ist eigentlich die Zeit, bis man das Album zum Presswerk geschickt hat und dann wartet und hofft, dass kein anderer einen Fehler macht, auf den man selber keinen Einfluss mehr hat. Das bisschen Promogedöns jetzt ist da nicht so wild. Also es sind schon viele Interviews, aber irgendwo sind wir inzwischen halt doch ein bisschen bekannter, die Leute bereiten sich also besser vor und haben interessantere Fragen, da wird das nicht so langweilig.

Ist ja auch erfreulich, wenn so großes Interesse herrscht. Kannst du uns einen Rückblick auf die Aktivitäten Heaven Shall Burns seit dem Release von eurem letzten Album „Iconoclast“ geben?
Also wir sind ja keine Profimusiker oder so, die sich nur mit der Band beschäftigen, bei uns nimmt das Privatleben schon noch viel Raum ein. Wir haben auch alle unsere Jobs und gehen arbeiten, insofern passiert da natürlich ziemlich viel. Wichtige, große Höhepunkte waren aber der DVD-Release, der zwischen den beiden Alben lag, natürlich die beiden Shows, die wir für die DVDs aufgzeichnet haben und dann der Wacken-Auftritt, der für uns schon auch ein echtes Highlight war. Ja, und dann treffen wir uns eben 1-2 mal die Woche und schreiben neue Songs, das läuft bei uns nicht wirklich strukturiert, sondern ist eher ein kontinuierlicher Prozess. Eine Show hier, eine Show da, dazwischen mal wieder ein Song… ja.

Wie ist das Songwriting insgesamt dann abgelaufen, wann sind die ersten neuen Songs entstanden, und wann seid ihr damit ins Studio gegangen?
Ich hab jetzt schon wieder ein paar Riffs für die nächste Platte am Start, also ich bin da ständig dran eigentlich. Das wird dann zwischendurch mal wieder auf die Seite gelegt und etwa ein halbes Jahr bevor man aufnehmen will, setzt man sich dann mal hin, mit unserem anderen Gitarristen Alex noch, der das dann meistens produziert. Wir gehen dann die Songs durch, die wir so im Kopf haben und arbeiten das dann so ein bisschen aus. Ich denke mal, August oder September des letzten Jahres haben wir angefangen, alles zusammenzutragen, was wir haben, und uns auf die Aufnahmen vorzubereiten.

Inzwischen stehen ja doch so einige „Invictus“-Reviews online, wie ist der Grundtenor ausgefallen?
Dass es jemand komplett scheiße fand ist mir jetzt noch nicht untergekommen, es gibt einige Leute die sagen, dass es jetzt nicht sooo großartig was Neues ist, eigentlich halt genau das, was man von Heaven Shall Burn erwartet, und dass wir das Rad auch nicht neu erfinden. Das sind die negativen Stimmen, die man so hört, kann ich auch irgendwo nachvollziehen, weil unsere Intention war es ja, den dritten Teil einer Trilogie zu machen, deswegen haben wir am Sound nicht viel verändert und das textliche Konzept dementsprechend auch beibehalten. Deshalb kann ich schon verstehen, wenn das manchen Leuten nicht gefällt, aber das ist auch bei Weitem nicht der Hauptteil der Reviews, „Inivctus“ ist ja auch Platte des Monats im Rock Hard und im Metal Hammer. Gut, da ist natürlich auch immer ein bisschen Labelpolitik dabei, aber ganz weit vorne landet man da trotzdem nicht, wenn ein scheiß Album veröffentlicht.

Die neue Scheibe beinhaltet teilweise mehr elektronische Elemente, die aber immer mit harten Vocals und brutalen Gitarren gepaart werden – dadurch entsteht ein stellenweise verdammt dichtes Soundgewand. Könntest du dir vorstellen, den Aspekt in Zukunft noch zu verstärken? Die häufigere Verwendung dieses Effekts im Vergleich zum letzten Album fällt ja schon auf.
Das war auch der bewusste Fortschritt, den wir bei der Platte gemacht hatten. Hatten wir bei der Scheibe vorher auch, da haben wir uns noch nicht so ganz getraut, aber das Feedback darauf war sehr gut und deswegen sind wir jetzt ein bisschen offensiver damit umgegangen. Das wird in Zukunft auf jeden Fall noch ein Bestandteil des Heaven Shall Burn-Sounds werden. Uns macht das Spaß, und nicht zuletzt kann man dadurch noch eine weitere Brutalitätsdimension hinzufügen. Ich meine, was will man denn sonst auch noch machen, noch tiefer stimmen, noch mehr Blastbeats, noch mehr das und das, da ist irgendwo auch mal ne Grenze erreicht, wo man dann nochmal ein neues Stilmittel einführen sollte. Ich finde die Ideen mit den Elektronik-Sachen die wir hatten auch ganz cool, beispielsweise auch mal einen elektronischen Drumsound mit einem Black Metal-Riff zu paaren. Da kommen schon interessante Sachen dabei raus.

Jo, würde doch auch sagen, dass sich das gelohnt hat. Das Schlagzeug fürs neue Album wurde bei Produzent Tue Madsen in seinem trocken gelegten Swimming Pool aufgenommen. Habt ihr extra dafür das Wasser rausgelassen? Wie kamt ihr denn auf die Idee und hat es im Endeffekt was genützt?
Dass es was genützt hat glaube ich schon, den Drumsound finde ich besser als auf der letzten Platte. Ob das Wasser da extra rausgelassen wurde weiß ich nicht, allerdings, so viel Gerümpel wie da herumstand, glaube ich nicht, dass das alles vorher unter Wasser war. Deswegen denke ich, dass er schon länger geplant hatte, da drin was zu machen. Aber wir mussten natürlich schon über den Anblick schmunzeln, wenn der Drummer erstmal im Becken die Leiter runtersteigen muss, um an sein Drumkit zu kommen. Aber das hatte man früher, in der „guten alten Zeit“, als noch mit natürlichem Hall und sowas gearbeitet wurde, sogar recht häufig in teuren Studios, dass es da komplett gekachelte Räume gab, wo das Schlagzeug aufgenommen wurde. Insofern ist ein Swimming Pool schon ganz gut.

Ist aber schon eine sehr skurrile Vorstellung.
Ja, wahrscheinlich sieht es genauso dämlich aus, wie du es dir gerade vorstellst.

Der isländische Komponist Ólafur Arnalds steuerte einmal mehr Intro und Outro bei. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, solche Elemente direkter in den Heaven Shall Burn-Sound zu integrieren?
Darüber hatten wir für die jetzige Platte nachgedacht, ja. Der Oli hat ja inzwischen einen Riesenschritt nach vorne gemacht, er ist mittlerweise ein sehr sehr bekannter Künstler in seiner Szene. Inzwischen ist es fast eine Ehre, dass er das für uns noch macht. Als er das das erste mal für uns gemacht hat, war ja noch gänzlich unbekannt. Also es ist jetzt nicht so, dass er wegen uns bekannt geworden ist, aber er hat sich schon wirklich wahnsinnig entwickelt, und deshalb war leider nicht so viel Zeit, mal zusammen was zu schreiben. Aber an sich könnte ich mir das für die Zukunft auch vorstellen, er hat so eine ganz eigene emotionale Art Musik zu machen, das könnte – auch innerhalb eines Songs – ganz gut als Kontrast funktionieren mit unserem Aggro-Gebolze.

Interessant zu hören wäre es auf jeden Fall mal. Der Limitied Edition liegt ja eine Live-DVD bei, kannst du dazu einige Worte verlieren?
Das war eine ganz spontane Sache. Auf der „Bildersturm“-DVD hatten wir ja zwei ziemlich große Konzerte, einmal das Summer Breeze und einmal eine Show in Wien, wo 3000 Leute da waren. Diesmal wollten wir ganz bewusst zeigen, dass wir auch ne kleine Bude rocken können, deshalb haben wir nicht 3000 sondern 300 Leute eingeladen. Bei der Zahl mussten wir dann sofort an den Film denken. Wir haben dann allen Leuten die selben T-Shirts angezogen mit „300“-Bauchmuskeln, selber sind wir in Spartiaten-Kostüme geschlüpft, und da haben wir dann mal so ne Show gespielt, das ging wahnsinnig ab, war ein riesiger Erfolg und hat allen sehr gut gefallen. Und da wir es mitgeschnitten haben, haben wir das jetzt einfach mal auf CD gebrannt, damit die Leute, die doch noch Geld für CDs ausgeben da einen gewissen Mehrwert haben. Klar hätte man es auch als Einzel-CD verkaufen können, aber wir haben es jetzt mal der Limited Edition beigelegt.

Die Idee klingt auf jeden Fall witzig.
Ich glaube, es ist auch ganz gut geworden. Natürlich ist es ein bisschen skurril und ich hoffe, dass Leute, die uns zum ersten mal sehen nicht denken, wir wären Ex Deo oder so, sondern, dass das einfach mal ein kleiner Witz war, mit griechischen Kriegerkostümen auf der Bühne rumzustehen.

Wie ist die Musik im Verhältnis zu den Texten bei einer Band wie HEAVEN SHALL BURN zu empfinden, die mit ihren Lyrics wirklich Botschaften vermitteln will? Dient sie „nur“ dazu, die Radikalität oder Relevanz der Aussage musikalisch passend zu unterstreichen oder steht sie gleichberechtigt neben den Texten?
Also ich glaube, wir funktionieren da auf zwei Ebenen, weil es gibt viele Leute die uns hören, die sich gar nicht so sehr für Politik interessieren und mit unseren Texten nicht viel anfangen können, aber die begeistern sich trotzdem für die Musik. Insofern muss an der Musik schon irgendwas dran sein, aber uns ist schon bewusst, dass wir nicht Dream Theater, Morbid Angel oder Cannibal Corpse sind, die totale Könner auf ihren Instrumenten sind und schon dadurch ein Kunswerk erschaffen. Ich denke, die Musik ist schon gleichberechtigt, man hört ihr an, dass uns irgendwas ankotzt, und wenn man wissen will, was uns ankotzt, musst man halt die Texte lesen. So funktioniert das denke ich.

Dementsprechend: Kommen beim Songwriting Songs oder Texte zuerst, und müssen sich die Songs im Zweifelsfalle den Texten beugen, oder andersherum?
Meistens entsteht das parallel und wird später miteinander verbunden. Also es ist selten, dass Musik für einen Text geschrieben wird, kommt zwar vor, aber wirklich nicht oft.

Sind euch dann Fans lieber, die eure Inhalte verstehen und über sie nachdenken, oder macht ihr zwischen solchen Fans und Leuten die zum Abgehen auf eure Konzerte kommen, keinen Unterschied?
Wurst ist es mir nicht, natürlich ist es mir am liebsten, wenn die Leute auf beides achten. Aber es gibt ja auch Leute, die uns nur wegen unserer Texte mögen, die kommen dann aus dem Hardcore- oder Punk-Bereich und stehen auf politische Bands, die was zu sagen haben, denen wir aber eigentlich viel zu hart sind. Die hören dann lieber Rise Against oder irgendwas, aber ihnen sagen halt die Texte zu und deshalb sympathisieren sie auch mit uns. Solche E-Mails und Rückmeldungen kriegen wir von den Leuten auch, also auch dieses Extrem existiert, dass sich Leute nur für die Inhalte und nicht für die Musik interessieren.

Liegt dir ein Song vom neuen Album besonders am Herzen?
Am meisten liegt mir „Of Forsaken Poets“ am Herzen, weil die Geschichte von dem Schriftsteller über den ich da schreibe ist mir schon ziemlich nahegegangen. Jemand der im zweiten Weltkrieg ins Exil musste und da keine richtige Heimat gefunden hat und wahnsinniges Heimweh hat. Max Hermann-Neiße hieß der Schriftsteller, der dann ganz emotionale, von Heimweh erfüllte Gedichte geschrieben hat. Er ist dann auch im Exil gestorben, das macht das Ganze noch trauriger. An dem Text liegt mir schon besonders viel. An „Combat“ auch, wo es um Kindersoldaten geht. Die Recherche zu dem Thema hat mich auch schon ganz schön angepisst, zu merken, was immer noch abgeht in der Welt. Ich meine, wir wissen zwar alle, dass es Kindersoldaten gibt, aber wie das dann im Endeffekt abläuft und wie die Kinder da leiden müssen, wenn man da mal die Details sieht, das macht einen dann noch wütender.

Ihr habt geholfen den Metalcore vor allem in Deutschland groß zu machen und führt die Szene heutzutage an. Wie beurteilst du die Metalcore-Welle, für die ihr vor einigen Jahren mitverantwortlich wart, und die jetzt in eine Deathcore-Welle umschlägt und findest du, dass sich da Bands finden, die das Genre bereichern können?
Das ist immer ganz interessant, es heißt immer, wir wären da mitverantwortlich, aber wir haben ja auch nur angefangen, Musik zu machen, weil wir anderen Metalcore-Bands gut fanden, da gab es aus Belgien Liar, oder aus den USA Earth Crisis, Day Of Suffering und Aftershot, die später zum Teil ja auch zu Killswitch Engage wurden oder Overcast, aus denen Shadows Fall und Killswitch Engage hervorgegangen sind. Also das gab es alles vorher schon, wie waren da wohl nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort und haben halt dann vielleicht mal eine ganz coole EP rausgebracht, aber man kann nicht davon reden, dass wir da irgendetwas komplett losgetreten oder erfunden hätten. Mit den Federn können wir uns sicherlich nicht schmücken.
Dass das jetzt in eine Deathcore-Welle umschlägt… Naja, es ist halt noch eine extremere Variante dieser Spielart und ich denke, da gibt es richtig viele coole und interessante Sachen aber vor allem auch Bands, die jetzt endlich mal die Lorbeeren einfahren, die sie verdient haben, etwa Suffocation oder Cryptopsy, diese ganzen ziemlich komplexen, sehr brutalen Death Metal-Bands, um die sich früher gar nicht so viele Leute gekümmert haben, die kriegen jetzt natürlich eine gewisse Hörerschaft unter den Deathcore-Kids. Und da gibt es natürlich innovative Bands wie Suicide Silence oder Despised Icon, die haben das Genre schon nochmal ein gutes Stück nach vorne geschoben. Wie bei jedem Trend, wie es auch beim Metalcore war oder beim Death Metal, als der Anfang, Mitte der 90er ein Trend war, gibt es auch hier viel Ausschuss und Sachen die niemand braucht, das ist natürlich genauso.

In letzter Zeit gab es 4 große Geschehnisse, die vor allem die deutschen Medien vereinnahmten.Zum Einen wäre da der Himmel, der noch nicht brennt, aber immerhin schon mit einer Aschewolke zu kämpfen hat. Meiner Meinung nach eine Gelegenheit, bei der sich die Natur mal wieder lautstark Gehör verschafft und gezeigt hat, dass es immer noch Bereiche gibt, in welchen der Mensch den Naturgewalten hoffnungslos unterlegen ist. Wie ist deine Meinung zum isländischen Vulkanausbruch und zu den Reaktionen der Welt? Übertriebene Hysterie oder echter Grund zur Sorge?
Hm, wir mussten deshalb auch eine Griechenland-Minitour absagen, weil wir nicht fliegen konnten, das hat uns sehr Leid getan für die Leute, die dementsprechend enttäuscht waren, aber die konnten das natürlich schon auch verstehen, dass wir darauf keinen Einfluss haben. Ja, es zeigt eben, wie anfällig unsere Technik ist, es ist ja jetzt nichts, was die Menschheit in ihrer Existenz bedroht, aber eben in ihrer Bequemlichkeit. Da war man halt auf einmal wieder 100 Jahren zurückversetzt und hat für ne Reise von Lissabon nach Berlin eben auf einmal wieder fünf Tage oder eine Woche gebraucht und nicht vier Stunden. Das fand ich schon beeindruckend. Aber hast du da wirklich eine Hysterie wahrgenommen? Die Hysterie war finde ich eher bei den ganzen Konzernen und Fluggesellschaften zu finden, die da wahnsinnig viel Geld verloren haben. Aber beeindruckend ist das auf jeden Fall, eine Freundin von mir aus Island hat mir Bilder von einem ihrer Freunde geschickt, der da in der Nähe des Vulkans wohnt, das ist schon ein eindrückliches Naturschauspiel.

Ok, richtig, Hysterie ist vielleicht übertrieben, ein wenig Panik war aber wohl in Bezug auf den anderen Vulkan wahrzunehmen, der vielleicht noch ausbrechen soll.
Hekla, oder wie der heißt. Ja, klar, aber da kann man nichts dagegen machen. Es sind ja auch in den vergangenen Jahren schon viele Vulkane auf Island ausgebrochen, aber da sind die Aschewolken halt aufs Meer rausgezogen, wo sie niemanden groß interessiert haben.

Bedrohlicher noch wirkt das Umweltdesaster am Golf von Mexiko. Für euch als umweltpolitisch Engagierte dürfte der Ölteppich wohl der absolute Super-GAU der letzten Jahre sein. Wie beurteilst du die Katastrophe, denkst du, sie wird früher oder später eindämmbar sein und was ist deine Prognose bezüglich der Folgen für die Umwelt?
Na gut, zu den letzten beiden Teilfragen kann ich natürlich überhaupt nichts sagen, weil ich da schlicht und ergreifend keine Ahnung davon habe. Aber die Folgen für die Umwelt werden natürlich in dem Ökosystem selber ziemlich verheerend sein, denke ich mal, wie das ja bei jeder Ölkatastrophe ist. Ich meine, schau dir mal das Ökosystem an, das damals durch den Unfall der Exxon Valdez beschädigt wurde, das hat heute immer noch zu kämpfen, aber es denkt trotzdem niemand mehr daran. Ich vermute, auch das hier wird aus unserem Bewusstsein ziemlich schnell verschwunden sein.Und die Sache ist natürlich, man prangert dann einen Konzern wie BP an, aber im Endeffekt sind die ja auch nur mit solchen Methoden unterwegs, weil wir jeden Tag auf der Straße fahren und meckern, dass das Benzin so teuer ist. Irgendwo geschieht das ja alles in unserem Auftrag, wir sind die Leute, die denen den Profit verschaffen. Wir wollen ja, dass sie so billig und profitabel wie möglich arbeiten, weil wir auch nicht gewillt sind, einen noch höheren Benzinpreis zu zahlen. Insofern sind wir da alle ein Stück weit schuld daran. Das soll die einzelnen Verantwortlichen natürlich nicht reinwaschen, aber es muss trotzdem mal ins Bewusstsein der Leute rutschen.

Dann wären da die Misshandlungsfälle innerhalb von Erziehungsanstalten der katholischen Kirche. Was hältst du hier von der ganzen Situation und dem Verhalten der verschiedenen Parteien?
Auf der Seite der Opfer finde ich es ganz ganz wichtig, dass die sich zusammenschließen und merken, dass sie nicht mehr allein sind und dass ihnen jetzt endlich mit ihren enormen nicht mehr körperlichen aber immer noch seelischen Belastungen geholfen wird, ich stelle mir das wahnsinnig belastend vor. Und vielleicht hilft es auch was, wenn das an die Öffentlichkeit kommt und ein paar Leute dazu veranlasst werden, sich ehrlich zu entschuldigen oder sie vielleicht sogar bestraft werden, das ist eigentlich das allerwichtigste dabei. Dass so etwas dann ausgerechnet innerhalb der katholischen Kirche passiert, die eigentlich der Liebe zum Menschen verpflichtet sein sollte – nicht im körperlichen, sondern im karitativen Sinne -, das ist natürlich ein ganz dramatischer Witz, über den man nicht lachen kann. Gerade die Kirche, die immer Nächstenliebe in salbungsvollen Worten predigt, die dann selber ganz tief mit drinhängt. Da muss man sicherlich einiges aufarbeiten und das wird jetzt hoffentlich auch endlich mal passieren, dass Reformkräfte wie „Kirche sind wir“ oder ähnliche Organisationen, die ja wirklich ganz gute Ansätze haben, endlich mal greifen.

Und die aktuellen Reaktionen der katholischen Kirche, kann man diese irgendwo gutheißen?
Von einer Reaktion der „Kirche an sich“ kann man ja nicht wirklich reden, da reagiert ja jedes Bistum oder jeder Bischof anders darauf. Manche haben vor Jahren irgendwas gemeldet, manche haben es verschleiert und irgendwelche kriminellen Pfarrer woanders hinversetzt, ohne der Kirche dort bescheidzusagen, da ist also auch intern ziemlicher Führungsmatsch unterwegs. Und dass der Papst sowieso über allem steht und gewohnt ist, Sachen auszusitzen und meint, nichts zu sagen zu brauchen, diese Attitüde offenbart er immer noch. Der fühlt sich in seiner Unangreifbarkeit gar nicht genötigt, ein klares Statement so zeitnah wie es notwendig wäre zu verfassen. Wenn man sich allein schon diese Reaktionszeiten anschaut, die benötigt werden, um einen Entschuldigungsbrief zu schreiben, das führt einem schon vor Augen, wie weltfremd dieses System ist.

Zuletzt natürlich das Finanzpaket, das die griechische Wirtschaft vor dem Aus bewahren soll. Könntest du auch hierzu noch ein paar Worte verlieren insbesondere bezogen auf manche Reaktionen, man solle die Griechen doch einfach absaufen lassen, weil man keine Lust habe, diese zu unterstützten und Deutschland würde ohnehin zu viel zahlen?
Erstmal sind mir die Griechen wahnsinnig sympathisch, das war immer ein Volk, was ich in mein Herz geschlossen hatte, vor allem als wir dort waren natürlich, aber auch, wenn ich hier Griechen getroffen habe, das war immer die perfekte Mischung aus Weltoffenheit, Freundlichkeit und trotzdem einem südländischen Temperament, ohne überheblich zu sein. Sie sind ein relaxtes Volk, das aber auch immer bereit ist, mal zu explodieren. Wenn denen was nicht passt, dann stehen halt mal 10000 Leute auf der Straße und wollen das Parlament stürmen, von so einem direkten Volkswillen kann man in Deutschland ja nur träumen, da würden die Politiker dann sicherlich auch anders handeln. Als Jurist sehe ich natürlich, dass es grottenrechtswidrig ist, so ein Finanzpaket zu schnüren und dass da Grundsätze der europäischen Währungsunion grundlegend verletzt werden, indem man diese Gesamtschuldnerschaft einführt. Aber grundsätzlich halte ich es für richtig, Griechenland zu helfen, wenn das ein Einzelfall bleibt, gleichzeitig muss man aber in Zukunft verhindern, dass solche Angriffe auf ganze Länder möglich sind. Da liegt der Hund begraben. Man muss verhindern, dass bestimmte Währungen oder bestimmte Länder von Hedgefonds oder anderen Unternehmen oder Konzernen attackiert werden können. Weil natürlich haben da Unternehmen gegen Griechenland gewettet und haben nun einen Haufen Geld verloren dadurch dass Deutschland, bzw. die EU eingesprungen ist und geholfen hat. Also ziehen los und versuchen ihr Geld durch eine Attacke auf den nächsten Staat wieder zurückzuholen. Das muss unterbunden werden.

Diese Thematiken dürfte sich wohl gut für einen zukünftigen Heaven Shall Burn-Song eignen. Wie erfolgt bei euch allgemein die Auswahl für Inhalte der Songs, und inwiefern nimmt das aktuelle Iconoclast-Konzept Einfluss auf die Herangehensweise?
Das mache ich einfach wie mir die Texte in den Sinn kommen. Da unterhält man sich mal oder einer aus der Band kommt her und meint „Das Thema kotzt mich total an“, da schau ich dann auch immer mal, ob ich da etwas drüber finde oder was dazu schreiben kann. Also es ist nicht so, dass ich ne Liste mache und dann nacheinander alles abhake. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich ein Thema im Kopf hatte, aber für die eine Platte ganz vergessen habe, was dazu zu schreiben, weshalb ich es dann halt bei der nächsten gemacht habe. Da geht’s eher darum, wie einem verschiedene Sachen gerade unter den Nägeln brennen, als eben um eine Liste mit Themen.

Die „Iconoclast“-Reihe ist hiermit ja nun abgeschlossen, was kommt jetzt?
Eine Trilogie ist natürlich eine runde Sache, aber ursprünglich war es nicht als solche angelegt, also vielleicht gibt es irgendwann nochmal einen vierten Teil, keine Ahnung, aber ich glaube, bei der nächsten Platte eher nicht.

Bei Facebook gibt es aktuell eine Initiative gegen Rechts in Form einer Gruppe, die fordert, die NPD-Gruppe auf der Plattform zu verbieten. Unter anderem wurde hierzu eine „Digitale Lichterkette“ gestartet, im Zuge welcher sich User zusammen mit dem Logo dieser Aktion fotografieren und diese Bilder dann als Profilbild einstellen. Abgesehen davon, dass es natürlich erfreulich ist, dass diese Gruppe ein vielfaches der Mitglieder der NPD-Gruppe hat, was hältst du von solchen Online-Aktionen und sind Menschen, die mit einem gegen-rechts-Bild online „demonstrieren“ dasselbe wert wie ein Demonstrant auf der Straße? Und wieviel sind die Lippenbekenntnisse der Mitglieder dieser Gruppe tatsächlich wert?
Das muss sich zeigen, aber wenn rechtem Gedankengut im Internet eine Plattform geboten wird, muss man sich natürlich auch im Internet dagegen wehren, genauso wie man sich gegen rechtes Gedankengut auf der Straße auch auf der Straße wehren muss, dahin zielt ja auch deine Frage, glaube ich, „Würden alle diese Leute auch auf der Straße dafür einstehen?“, weil mit einem Mausklick seine Meinung zu bekunden und ein Gutmensch zu sein ist ja nicht so schwer wie einen Tag seinen Arsch hochzukriegen und zum 1. Mai auf ne Gegendemo gegen irgendwelche Fascho-Aufläufe zu gehen. Aber ich finde, das ist eine gute Sache, wie gesagt, was im Internet ist, muss im Internet bekämpft werden und was auf der Straße ist, muss auf der Straße bekämpft werden, das kommt immer auf das jeweilige Medium an.

Aber auf der jeweiligen Ebene wäre sowas dann gleichwertig?
Ja, wenn man mit Online-Aktionen Online-Sachen bekämpfen will schon, wenn man online Geschichten auf der Straße bekämpfen will, wird es natürlich etwas schwierig. Wenn ich einen Artikel gegen eine Nazidemo schreibe, kann das nicht alles sein, da muss ich dann auch auf der Straße unterwegs sein.

Was denkst du im Allgemeinen über diese Plattformen, auf welchen abertausende User ihre Tagesabläufe tagtäglich in den kleinsten Einzelheiten schildern?
Klar, also da überlege ich mir auch manchmal, ob diese Leute nichts anderes zu tun haben, aber für die ist das vielleicht eine Art Tagebuch irgendwie. Man muss es ja nicht lesen, wenn man nicht will. Für uns als Band ist so eine Plattform wirklich ganz gut, weil die Kommunikation mit den Leuten die sich für die Band interessieren viel viel enger ist. Man kriegt, was denen nicht passt, was bei denen gut ankommt und im Allgemeinen oft ehrlicheres Feedback, weil das ja zum Teil auch anonym ist. Für eine Band ist das schon eine gute Sache.

Jau, und seine News kriegt man auch schneller unters Volk. Nach weit über 10 Jahren Jahren Musik machen mit Heaven Shall Burn und unzähligen Live-Shows, bei welchen du vermutlich auch viele der anderen spielenden Bands angeschaut hast, geht dir der ganze Hardcore und Metalcore nicht zwischendurch mal gewaltig auf den Wecker?
Naja, wir sind ja jetzt auch nicht nur mit Hardcore und Metalcore-Bands unterwegs. Das geht mir genauso auf den Wecker, wie andere Musikrichtungen auch, es gibt auch genug Death Metal und True Metal Bands, die mir auf den Wecker gehen, das hängt ganz von der jeweiligen Band ab, nicht von der Musikrichtung. Wenn man zum Beispiel mit einer Band wie Killswitch Engage unterwegs ist, dann macht das jeden Abend Spaß die zu sehen, da geht einem nichts auf den Wecker.

Solltest du (doch) irgendwann keinen Bock mehr auf Metalcore oder Melodic Death haben, besteht dann die Möglichkeit, dich in anderen Genres beim Musik machen wiederzufinden?
Also ich glaube nicht, dass ich irgendwann keinen Bock mehr auf die Musik habe, aber mich mal in einem anderen Genre bewegen, das könnte ich mir schon vorstellen.

Nach 14 Jahren Musik machen, glaubst du, es geht nochmal 14 Jahre?
Das weiß ich nicht. Hättest du mich vor 14 Jahren gefragt, hätte ich ganz sicher nein gesagt, aber jetzt weiß ich es besser, deshalb lasse ich mich da auf keine Prognose ein. Slayer haben bestimmt auch nicht geglaubt, dass sie so lang unterwegs sein werden.

Mit einem Rückblick haben wir angefangen, gib uns zum Abschluss doch noch einen Ausblick auf die zukünftigen Aktivitiäten Heaven Shall Burns?
Jetzt sind wir erstmal auf den ganzen Festivals unterwegs, da sehen wir ja hoffentlich einen Hafen Leute, beziehungsweise hoffentlich sieht ein Haufen Leute uns. Dann im August sind wir in Asien unterwegs, wo wir auch in eine Menge Länder gehen wo wir noch nicht waren, wie Korea, China oder Taiwan. Im Herbst wollen wir dann vielleicht auf eine Tour gehen, wissen aber noch nicht wo, da sind wir im Moment am außeinanderklamüsern, was wir da mit wem wo machen. Ja, und dann ist das Jahr ja auch schon wieder fast zu Ende.

Richtig. Maik, dann bedanke ich mich für ein sehr interessantes Interview, hat Spaß gemacht!
Ja, mir hats auch Spaß gemacht und Danke dir auch!

Publiziert am von Marius Mutz

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