Interview mit Jan Korbach von Neànder

Mit „Eremit“ veröffentlichen die Berliner Post/Sludge-Metaller NEÀNDER nur ein Jahr nach dem Debüt das nächste Album. Warum sie sich diesmal deutlich weniger Zeit genommen haben, warum Fans der Band Gesangsaufnahmen schicken und wo der Unterschied zwischen einer NEÀNDER-Show und einem Auftritt als Live-Gitarrist von Hip-Hop-Künstler Casper liegt, verrät Jan Korbach im Interview.

Hallo und danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Ich hoffe, bei dir ist trotz Corona alles in Ordnung!
Die Pandemie hat natürlich unsere Welt auch ganz schön auf den Kopf gestellt, viele Konzerte und Festivals wurden auf 2021 verschoben. Trotzdem geht es mir persönlich gut.

Ihr habt NEÀNDER 2017 gegründet, obwohl drei von euch gerade erst mit Ånd gestartet und das Debüt veröffentlicht hatten. Warum gleich noch eine Band?
Wir hatten NEÀNDER, damals noch als Projekt, quasi zeitgleich mit Ånd gegründet. Nach Veröffentlichung des Ånd-Debütalbums „Aeternus“ nahmen unsere Pläne aber erst konkretere Gestalt an. Beide Bands sind meiner Meinung nach schon sehr unterschiedlich. Das Einzige, was sie verbinden könnte, ist eine ähnliche, düstere Atmosphäre. Prinzipiell kann man ja nie genug Musik machen, muss aber lernen, sich auf die Sachen zu konzentrieren, die einem am wichtigsten sind, sonst verläuft das Meiste im Sand.

Euer Debüt mit NEÀNDER ist erst letztes Jahr erschienen, jetzt kommt das zweite Album – seid ihr so schnell beim Komponieren oder wie bekommt ihr das hin?
Das erste Album haben wir verteilt über einen Zeitraum von drei Jahren geschrieben. Für „Eremit“ haben wir uns hingegen nur sechs Monate Zeit genommen, dafür aber umso fokussierter gearbeitet. Generell dauert der Findungsprozess ja immer länger. Auf dem neuen Album wussten wir, wo die Reise hingehen soll. Wir haben versucht, unseren Sound noch konsequenter durchzuziehen und weniger Kompromisse einzugehen. Für mich ist „Eremit“ in sich geschlossener als unsere Debütplatte. Ich bin sehr gespannt auf die Reaktionen – ich denke, der Hörer wird dieses Mal mehr gefordert.

Der Bandname wirft Fragen auf – wieso NEÀNDER, was war die Idee hinter dem Namen?
Wir wollten einen Namen, der im Deutschen wie im Englischen funktioniert. Ein kompaktes Wort. Die Idee dahinter ist, dass NEÀNDER als Wort sehr schwer und brutal klingt, durch die Kleinschreibung und den Akzent hingegen auch feinfühlig wirkt. Somit also eine Art Widerspruch, wie er auch in unserer Musik zu hören ist. Ein Wechselspiel zwischen Licht und Schatten.

Das neue Album trägt den Titel „Eremit“ – was verbindest du mit dem Wort, warum passt es perfekt zum Album?
Wir hatten den Albumtitel schon vor der Pandemie im Sinn. Unsere Songs sind ja nach Käfern benannt. Der Titel „Eremit“ (beziehungsweise Eremit Käfer) trägt das Ganze jedoch einen Schritt weiter. Ein Eremit ist jemand, der in Abgeschiedenheit von anderen Menschen lebt. Es geht also um Isolation, Einsamkeit. Das Cover, das von unserem Schlagzeuger Basti Grim kreiert wurde, spiegelt diese Stimmung wider. Ein britischer Journalist schrieb letztens noch: „They earn the grey on that cover image.“

Ihr arbeitet rein instrumental – wie macht ihr euch da an die Songtitelsuche, nach welchen Kriterien „passt“ ein Titel zu einem textlosen Song?
Wie oben schon beschrieben, haben wir die Songs nach Käferarten benannt. Somit bleibt die Interpretation frei. Man kann sich vorstellen, was man möchte, der Fantasie freien Lauf lassen. Auch sind diese Namen in der Popkultur noch nicht zu oft gebraucht worden. Die Titel wirken auf mich, als wären sie einer geheimen Sprache entnommen.

Warum habt ihr euch eigentlich gegen Gesang entschieden? Musikalisch könnte ich mir das auch ziemlich gut mit Screams oder ähnlichem vorstellen.
Als wir mit „Moder“ das erste Demo fertiggestellt hatten, haben uns Freunde darauf hingewiesen, dass die Songs auch ohne Gesang funktionieren würden. Also haben wir erst mal so weitergemacht. Gesang oder Geschrei würde uns zu sehr in eine Ecke drängen. Wenn du live keine Gesangsmikros auf der Bühne hast, kannst du den Sound auch lauter fahren, da weniger Feedback entsteht. Witzigerweise haben wir auch Einsendungen von Fans bekommen, die über unsere Musik gesungen haben. Qualitativ sehr gut, aber das würde die Songs irgendwohin transportieren, wo sie nicht hingehören.

Aufgenommen habt ihr das neue Album wieder im Hidden Planet Studio in Berlin, die viel Erfahrung mit eurem Genre haben – The Ocean, Crown oder Downfall Of Gaia haben dort bereits aufgenommen. Wie lief das Recording ab, was macht das Studio aus deinen Augen so besonders gut geeignet?
Wir haben das Schlagzeug im Studio von Kadavar-Drummer Christoph Barthelt aufgenommen. Basti Grim, unser Schlagzeuger, war nach nur zwei Tagen fertig. Alle weiteren Instrumente haben wir mit unserem Produzenten Jan Oberg im Hidden Planet Studio aufgenommen. Wir verstehen uns toll mit Jan und er ist sehr erfahren. Die Zusammenarbeit mit ihm ist sehr effektiv. Er produzierte schon unser Debütalbum und auch die Ånd-Platte ist dort aufgenommen worden. Wir schicken ihm nicht mal Demos. So kann er völlig unvoreingenommen die Aufnahmen gestalten. Allerdings hört er alles bei voller Lautstärke gegen. Das kann schon sehr anstrengend sein.

Das Mastering habt ihr diesmal aber bei Magnus Lindberg von Cult Of Luna machen lassen – ein Lebenstraum? Wie lief die Zusammenarbeit ab?
Gemischt wurde „Eremit“ ebenfalls von Jan Oberg im Hidden Planet Studio, Magnus hat das Mastering der Platte übernommen. Wir haben ihm einfach die fertiggemischten Wave-Files nach Schweden geschickt und er hat sich von dort aus ans Werk gemacht. Dann noch zwei-, dreimal gegengehört und Änderungen vorgenommen; and that’s it. Der Teufel steckt hier meist im Detail. Gerade kleine Unterschiede und Feinheiten in der Dynamik geben einem Album noch den letzten Feinschliff.

Die Frage ist natürlich in der aktuellen Situation etwas absurd, aber seht ihr NEÀNDER eigentlich eher als Studio- oder als Liveband?
Wir sehen NEÀNDER definitiv als Liveband. Nur Studio ist unbefriedigend. Das Schönste am Musikmachen ist die Energieübertragung zwischen Musikern und Publikum und umgekehrt. Wenn ich ein Riff schreibe, stelle ich mir schon im Schreibprozess vor, wie das Publikum darauf reagieren wird. Live ist unser Sound noch mal lauter, rauer und brachialer. Nach 60 bis 70 Minuten ist man völlig fertig. Das ist sehr befreiend für uns. Wir haben nach unserem Debüt eine vierwöchige Tour gespielt. Für dieses Jahr standen auch viele Festivals und eine Drei-Wochen-Tour an. Alle Konzerte wurden nach 2021 verschoben. Fingers crossed.

Wo wir über „live“ sprechen: Du bist auch Live-Gitarrist von Casper. Wie kam es dazu?
Casper und ich kennen uns schon, seitdem wir 14 sind. Wir kommen beide vom Land und waren damals einige der wenigen Punks bei uns in der Ecke. Wir haben dann noch zusammen Abi gemacht und sind anschließend nach Bielefeld gezogen. Da konnte man sich alibimäßig an der Uni einschreiben und weiter Musik machen. Er hat während dieses Zeitraums nicht nur Hip Hop, sondern auch Hardcore gemacht. Ich hab mir die Zeit mit Skatepunk und Metal vertrieben. Als meine damalige Band das Zeitliche segnete, fragte er mich, ob ich Bock hätte, einzusteigen. Michbeck, der bei uns Gitarre spielt, ist ja ebenfalls in der Liveband. Er hat vorher bei Patsy O’Hara und Not Now Not Ever gespielt, wo Cas ja gescreamt hat.

Und worin siehst du die Hauptunterschiede zwischen Metal- und (Indie-)Hip-Hop-Konzerten?
Ich denke, dass der Altersunterschied der Besucher mittlerweile sehr groß ist. Wo früher Metal, Punk und Hardcore die Musik der Jugend war, ist es heute Hip Hop. Die Leute grenzen sich nicht mehr so stark durch Musik voneinander ab. Früher war man entweder Metalhead oder Rapper. Heute gibt es diese Grabenkämpfe nicht mehr. Vielleicht nehme ich das aber auch anders wahr, weil ich älter werde.

Vielen Dank für das Interview. Zum Abschluss unser traditionelles Brainstorming – was kommt dir zu folgenden Begriffen als erstes in den Sinn?
Dein Lieblingsfestival (als es noch Festivals gab): das Orange Blossom Special Festival
Dein Lieblings-Hip-Hop-Album: Cypress Hill – Black Sunday
Dieses Essen geht immer: Chilli con oder sin Carne
Eine positive Erkenntnis aus der Corona-Krise:
Das Album, das du als letztes gehört hast: William Tyler – Modern Country
NEÀNDER in zehn Jahren:

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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