Konzertbericht: Lorna Shore w/ Rivers Of Nihil, Ingested, Distant

23.11.2023 München, Zenith

Die Geschichte von LORNA SHORE gleicht einem modernen Märchen: Der Missbrauchsskandal um Fronter CJ McCreery 2019 war ohne Frage der Tiefpunkt der Geschichte der Band. Doch dann setzen die Amerikaner auf den bis dahin völlig unbekannten Sänger Will Ramos. Mit seiner außergewöhnlichen Gesangsleistung überzeugte dieser nicht nur die Band und ihre Fans, sondern sogar die Stimmforscher:innen und, wichtiger noch: eine ungeheure Zahl an Musikinteressierten aus allen Ecken des Metal.

Und so bedeutete die 2021er-EP „… And I Return To Nothingness“ für die Truppe aus New Jersey nicht nur personell einen Neustart, sondern auch in Sachen Karriere: Nach rund einer Dekade des Nischendaseins im Deathcore sind LORNA SHORE zur Modern-Metal-Band der Stunde avanciert. Ein Beispiel gefällig? Für München war ursprünglich das Backstage Werk mit rund 1.400 Plätzen gebucht – anschließend wurde die Show zunächst in die Tonhalle und dann ins Zenith hochverlegt, das am Ende mit rund 6.000 abgesetzten Tickets nicht nur beinahe ausverkauft ist, sondern zugleich zum Schauplatz der bislang größten Hallen-Headliner-Show der Band überhaupt wird.

Zunächst profitieren jedoch DISTANT von der Situation: Die 2014 gegründete Downtempo-Deathcore-Band hätten sich vermutlich nicht träumen lassen, überhaupt jemals vor einer solchen Kulisse auftreten zu dürfen. Trotzdem präsentieren sich die Niederländer um 18:30 Uhr bemerkenswert selbstsicher: Auf das Spongebob-Theme als Intro folgt nicht etwa der erste Song, sondern direkt die Aufforderung zum Mospit – der das Publikum dafür aber auch direkt nachkommt. So ist die Stimmung sofort gut, und wenngleich sich der Abwechslungsreichtum der Songs genrebedingt in Grenzen hält, reicht ein gefühlt über 30 Minuten durchgezogener Slam/Breakdown, um das Publikum bei Laune zu halten. Nicht zuletzt, weil der Sound bemerkenswert gut ist und so zumindest alle Details in der Musik von DISTANT auch hörbar macht.

  1. The
  2. Eternal
  3. Lament
  4. Oedipism
  5. Born
  6. of
  7. Blood
  8. Heritage
  9. Heirs
  10. of
  11. Torment
  12. Exofilth
  13. Hellmøuth

Knapp 20 Minuten später legen INGESTED nach: Mit 20 Jahren Erfahrung sind die Death-Metaller Shows dieser Größe wohl eher gewöhnt – zeigen sich heute aber trotzdem aufrichtig dankbar: Insbesondere Fronter Jason Evans setzt mit seinen sympathischen Ansagen in schönstem British English Akzente. Das ist allerdings auch nötig, denn musikalisch bleibt das Quartett (zwei Gitarren, kein Bass!) leider sehr blass: Die Songs klingen – trotz anhaltend hervorragendem Sound – wie Blaupausen generischer Deathcore-Nummern. Wirklich ins Ohr geht das Material deswegen nicht unbedingt – zum wilden Moshen reicht es aber allemal, und so ist auch bei INGESTED zumindest vor dem Wellenbrecher einiges an Bewegung zu registrieren. Nach 30 Minuten ist auch hier Schluss. Mehr noch, als das schon bei Distant der Fall war, ist das aber auch wirklich ausreichend.

  1. Unnamed New Song
  2. Shadows In Time
  3. Invidious
  4. Skinned And Fucked
  5. Echoes Of Hate

Abermals 20 Minuten später geht es bereits mit RIVERS OF NIHIL weiter. Über die Fertigkeiten der proggigen Tech-Death-Band braucht man an dieser Stelle nicht viele Wort verlieren: Auf einem sechssaitigen Bass und zwei siebensaitigen Gitarren kreieren die vier Musiker aus Reading, Pennsylvania einen wilden Mix aus Prog und Death Metal, der mehr noch als der durchweg brachiale Sound der beiden vorangegangenen Bands vom glasklaren Sound profitiert. Doch so stark RIVERS OF NIHIL musikalisch und technisch auch sein mögen – im heutigen Setting sind sie leider die Spaßbremsen. Ob aus andächtigem Staunen oder aus Langeweile ist nicht auszumachen – das Publikum reagiert jedenfalls nur sehr verhalten auf die anspruchsvolle Darbietung. Nach rund der Hälfte des 45-Minuten-Sets kommt es dann zwar doch noch zum Circlepit. Insgesamt bleibt von der Performance aber eher der Eindruck eines Durchhängers in der Stimmungskurve. Im Kontext des heutigen Lineups ist das leider keine Überraschung, etwas schade ist es dennoch – und das für alle Beteiligten.

  1. The Silent Life
  2. Hellbirds
  3. Focus
  4. Sand Baptism
  5. Death Is Real
  6. Soil & Seed
  7. The Sub‐Orbital Blues
  8. Where Owls Know My Name

Ebenso keine Überraschung – allerdings besten Sinne – ist, dass LORNA SHORE nicht lange brauchen, um das Euphorielevel wieder hochzuschrauben und in immer höhere Sphären zu ballern. Zwar hat man schon das Gefühl, das Publikum müsste mit mehr Einsatz als gewöhnlich wieder auf Temperatur gebracht werden – und dass Will Ramos‘ Mikrofon zunächst Probleme bereitet, ist dabei natürlich nicht unbedingt hilfreich. Mit seiner ursympathischen Art, extremer Souveränität und einer schier unglaublichen Gesangsperformance macht Ramos dieses Missgeschick aber schnell vergessen: Das Publikum folgt seinen Anweisungen wie ein gut dressiertes Pferd, mosht im Pit oder im Circle, öffnet eine „Wall of Death“ nach der anderen und hält die Securitys durch Crowdsurfing beschäftigt.

LORNA SHORE unterdessen machen keinen Hehl daraus, dass sie das Hallen-Upgrade durchaus genießen. Das macht sich nicht nur an der topmotivierten Performance bemerkbar, sondern auch an der Produktion: Dass man mit dem gigantischen Backdrop so manchen ursprünglich gebuchten Club im Stile von Christo verhüllen könnte, ist nur ein Teilaspekt. Immer wieder schießen Feuerbälle und Nebelsäulen gen Hallendecke, im Bühnenhintergrund werden Sternwerfer-Fontänen gezündet und auch die Lightshow profitiert sichtlich von der üppigen Ausstattung der Traversen. Die Krönung ist jedoch abermals der Sound: Wäre der Mix aus Brutalität und Melodik in der Musik von LORNA SHORE an sich ein heißer Kandidat für kompletten Soundbrei, schallen die Songs heute in selten gehörter Brillanz aus den Boxen: So bleibt alle Finesse und jede Melodie erhalten, ohne dass die brachiale Aggression auf der Strecke bliebe.

In der Folge kommt dann auch voll zur Geltung, was LORNA SHORE da eigentlich in allen Punkten so gelungen präsentieren: In 75 Minuten Spielzeit gibt es elf Songs zu hören – darunter neben den Hits des aktuellen Albums „Pain Remains“ die komplette „… And I Return To Nothingness“-EP sowie den Titeltrack von „Immortal“. Dass LORNA SHORE zu „Of The Abyss“ Alan Grnja von Distant auf die Bühne holen, gibt ebenso Extrapunkte aufs Sympathie-Konto wie Will Ramos‘ Abstecher in den Graben nach Ende der Show, wo er einige Autogramme gibt und, sichtlich happy, mit den Fans abklatscht.

  1. Welcome Back, O’ Sleeping Dreamer
  2. Of the Abyss
  3. …And I Return To Nothingness
  4. Sun//Eater
  5. Cursed To Die
  6. Immortal
  7. Into The Earth
  8. To The Hellfire
  9. Pain Remains I: Dancing Like Flames
  10. Pain Remains II: After All I’ve Done, I’ll Disappear
  11. Pain Remains III: In A Sea Of Fire

Es gibt Bands, um die ein nur schwer nachvollziehbarer Hype gemacht wird. LORNA SHORE sind keine dieser Bands. Mit ihrer stilistisch herausstechenden, technisch versierten und auch noch sympathisch dargebotenen Musik hat diese Band alle Chancen, zu den Leadern ihrer Generation zu gehören. Die heutige Show dürfte darum nicht lange die größte Indoor-Headliner-Show dieser Truppe bleiben. Wie heißt es bei Märchen immer so schön: Und wenn sie nicht gestorben sind, …

Publiziert am von

2 Kommentare zu “Lorna Shore w/ Rivers Of Nihil, Ingested, Distant

  1. Das war glaube ich der beste Sound (durchgehend am Abend!), den ich im Zenith je erlebt habe… generell habe ich in der ersten Reihe selten einen so guten Sound gehört wie an diesem Abend.

    „Wäre der Mix aus Brutalität und Melodik in der Musik von LORNA SHORE an sich ein heißer Kandidat für kompletten Soundbrei“ – ja, absolut. Wenn ich die „exklusive Deutschland-Clubshow“ (paar Tage danach wurde dann diese Europa-Tour angekündigt) von Lorna Shore aus Dresden im Sommer vergleiche… der Sound in Dresden war eine absolute Katastrophe und völlig ungenießbar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert