Albumcover LORNA SHORE

Review Lorna Shore – Pain Remains

LORNA SHORE waren bisher immer knapp davor, ein sensationelles Album auf den Markt zu bringen. Im Review zum Zweitwerk „Flesh Coffin“ (2018) sagten wir der Band voraus, dass wenn „LORNA SHORE auf dem nächsten Werk etwas eigenständiger und griffiger werden, […] sie auf dem besten Weg in den Deathcore-Olymp“ sind. Dann kam mit „Immortal“ (2020) besagtes Drittwerk heraus, auf dem die Band „Gitarren- sowie Orchester-Leads mit den gnadenlosen Riffs“ verband, sodass ein Sound entstand, „den man ohne Zweifel LORNA SHORE zuordnen kann„, und doch kamen wir zu dem Schluss, dass „trotz dieser Eigenständigkeit […] der Band noch etwas die Finesse [fehlt], um mit Bands wie Shadow Of Intent oder The Black Dahlia Murder mithalten zu können„.

Und nun, zwei Jahre und die grandiose EP „…And I Return To Nothingness“ später, holen LORNA SHORE zum vierten Blackened-Deathcore-Schlag namens „Pain Remains“ aus – einem Schlag, der sitzen muss, immerhin haben die fünf Herren aus New Jersey mit den beiden vorherigen Alben bewiesen, welche großartigen Momente sie zu erzeugen im Stande sind. Doch nicht nur das, mit den letzten beiden ihrer insgesamt fünf Single-Auskopplungen haben LORNA SHORE für erstaunte Gesichter gesorgt, immerhin handelte es sich dabei um den ersten und zweiten Teil des 20 Minuten langen Titeltracks „Pain Remains“. Ein zwanzigminütiger Deathcore-Song? Ein komplexer Deathcore-Track in Form einer Trilogie? LORNA SHORE verstehen es, nicht nur sich als Band einen neuen Anstrich zu verpassen, sondern einem gesamten Genre einen neuen Weg zu zeigen.

Doch sieht man von dem überlangen und übermäßig guten Titeltrack ab – eine der wohl schönsten Deathcore-Balladen (vielleicht sogar die einzige?) – bietet „Pain Remains“ noch sieben weitere Tracks. Und diese sieben Songs haben in Summe eine Spielzeit ähnlich der Gesamtlänge der vorherigen Alben, will heißen: LORNA SHORE haben mit ihrem vierten Album das längste ihrer bisherigen Karriere abgeliefert. Eine Stunde Symphonic Blackened Deathcore. Eine Stunde, in der die Hörerschaft die Kultivierung eines Genres miterleben darf, das die Amerikaner mit „Pain Remains“ nicht neu schaffen, aber mit jedem Riff und mit jedem orchestrierten Part leben.

Und genau hier ist der Knackpunkt von „Pain Remains“ oder vielmehr von LORNA SHORE selbst: Die Band schreibt packende Tracks, aber nicht auf Albumlänge. Wäre die selbstbetitelte Song-Trilogie eine eigene EP, wäre sie mit das spannendste Output, das 2022 veröffentlicht wurde. Ist sie aber nicht. Sie ist Teil eines Albums, das von der ersten bis zur sechzigsten Minute klassische Deathcore-Trademarks mit einer dominanten, da durchweg in Szene gesetzten Orchestrierung verbindet. Diese Herangehensweise unterhält für 20 Minuten, verliert danach aber stetig an Überzeugungskraft, an Überraschungseffekt. Mit dem fünften Song „Soulless Existence“ leiten LORNA SHORE somit nicht nur die Halbzeit ihres neuen Albums ein, sondern auch die Frage, ob da – abgesehen vom überragenden Titeltrack-Opus – noch etwas anderes, ob noch mehr kommt.

Leider nein. Was im siebenminütigen Opener „Welcome Back, O‘ Sleeping Dreamer“ anfänglich noch für Gänsehaut gesorgt hat, wirkt bereits im dritten Track „Sun//Eater“ nur noch wie ein lauer Aufguss. Zumal LORNA SHORE in dem Song – mit Blick auf die vorherigen Alben – erneut ihr erschreckend schwaches Gespür für die passende Platzierung von und die ausreichende Anzahl an Breakdowns zeigen. „Apotheosis“ krankt an der gleichen Schwäche, was das groovende Zusammenspiel von Stakkato-Salven der Doublebass und dem fordernden Chorgesang leider nachhaltig negativ beeinflusst. Letztlich entpuppt sich der Selling Point des Albums als dessen Schwäche: Der drückende Deathcore liefert die Härte, der symphonische Unterbau die Melodik. Auf „Into The Earth“ funktioniert diese Mixtur einwandfrei, fünf Songs später, auf „Wrath“, wirkt sie nur noch schal.

Das grandiose, weil facettenreiche Drumming unterhält durchweg auf einem Niveau, an das die Riffs und Soli beider Gitarristen locker anknüpfen können. Die Instrumentalfraktion von LORNA SHORE ist ungemein stark und passend zur Variabilität ihres Sängers. Und dennoch ist „Pain Remains“ (erneut) nicht der Überflieger, den man sich von den Amerikanern wünscht. Die Entscheidung, nicht mehr drei bis vier Minuten kurze, sondern mindestens über fünf Minuten lange Tracks zu schreiben, führt häufig zu Längen und Füllmomenten. Etwas mehr Slam an den einen Stellen und etwas weniger Cradle-Of-Filth-Reminiszenzen an anderen Stellen hätte für die nötige Abwechslung gesorgt. Anders gesagt: schade.

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Wertung: 7 / 10

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Ein Kommentar zu “Lorna Shore – Pain Remains

  1. Aah irgendwie ist das so Musik, in die ich so 20 bis 30 Sekunden reinhöre und mich nicht juckt. Bei solchen Deathcore Bands, die sich das Label „Experimentell“ anheften, läuft man schnell Gefahr zu den ganzen Einheitsbrei dazu zu gehören. Ich schwöre ja total auf die norwegische Black Metal Variante. Das können die Corefans oder Modern Metal Fans scheisse oder lustig finden, ist mir aber egal. Schließlich gab es in der Musikgeschichte schon andere Genres, die was komplett Eigenständiges hervorgebracht haben. Das ist immer ein Widerspruch, das gebe ich zu. Wenn man Wiedererkennungswert als Genre oder Künstler haben will, läuft man immer Gefahr, Fans zu vergraulen, die eine „Weiterentwicklung“ sich wünschen. Ich persönlich kann aber damit leben. Also denke man an andere Genres: zum Beispiel minimal Music, Contemporary Jazz / Classic, Ambient Industrial oder gar HipHop. Wenn ein Künstler etwas macht, muss er mit diesen Widerspruch rechnen, dass man einerseits für sich stehen will und andererseits Leute ein vorwerfen immer nur das selbe zu machen. Von daher, kann natürlich sein, dass das auch nur ein Vorurteil von mir ist, komme ich auf Teile des Metals nicht klar, der mutmaßlich für sich einen gewissen Fortschritt oder eine Weiterentwicklung proklamiert.

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