Review Lorna Shore – Immortal

Bei kaum einer Band ging es in den letzten Jahren wohl so drunter und drüber wie bei LORNA SHORE. Dem Erfolg ihres zweiten Album „Flesh Coffin“ folgte der Ausstieg ihres Sängers Tom Barber, der seitdem bei Chelsea Grin ins Mic brüllt. Die Jungs aus New Jersey verpflichteten darauf CJ McCreery, der dafür seine Band Signs Of The Swarm verließ. Im September 2018 veröffentlichte die Deathcore-Truppe mit der Single „This Is Hell“ einen ersten Vorgeschmack, es folgten im vergangenen Jahr weitere Singles und schließlich die Ankündigung des neuen Albums „Immortal“. Als es schien, dass im Hause LORNA SHORE alles wieder normal verlaufe, wurde der neue Frontmann kurz vor Weihnachten wieder aus der Band geschmissen – Grund waren Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs an mehreren Frauen.

Dennoch entschied die Band, ihr Album wie geplant zu veröffentlichen. Gitarrist Adam De Micco bat in einem ausführlichen Statement die Fans darum, das Album neutral anzugehen und nicht nur auf die Vocals, sondern vor allem auf das Instrumentale zu achten. Er und Drummer Austin Archey hätten so viel Herzblut in das Album gesteckt, dass es zu schade dafür wäre, auf das Drama um den Ex-Sänger reduziert zu werden. Dass es natürlich schwer ist, den Fall McCreery auszublenden, steht außer Frage. Dennoch soll es auch in diesem Review fortan rein um den musikalischen Aspekt gehen.

Dass sich das lohnt, beweist sogleich der Opener und Titeltrack „Immortal“. Düstere orchestrale Untermalung und gespenstische Chöre eröffnen die Platte, bevor die donnernde Double-Bass mitsamt messerscharfen Riffs einsetzt und alles in Schutt und Asche legt. Der beinahe sieben Minuten lange Song wirkt wie ein kleines Epos: Er führt von brachialen Deathcore-Parts und symphonischen Black-Metal-Passagen über ein ausgeklügeltes Solo bis hin zum äußerst melodischen Outro. Was LORNA SHORE zu Beginn des Albums bieten ist schlichtweg als der wohl beste Blackened-Deathcore-Song zu bezeichnen, der je geschrieben wurde.

Leider gelingt es der Band im weiteren Verlauf jedoch nicht, an diesem extrem hohen Niveau anzuknüpfen. Zwar bewegen sich LORNA SHORE die meiste Zeit weit über dem Niveau gemeiner Deathcore-Kapellen, verfallen jedoch zu häufig in ausgelutschte Muster. So wirkt es fast schon gezwungen, dass in jedem der zehn Songs ein möglichst fetter Breakdown mit möglichst unverständlichen Lyrics – oder stellenweise einfach nur Gegrunze – seinen Platz findet. In den wenigsten Fällen wissen diese Breakdowns allerdings zu zünden und stören meist nur den Flow der Songs. Als bestes Beispiel dient hier die Single „This Is Hell“: So wird einem während der Strophen und dem tollen Refrain auf angenehmste Art und Weise die Fresse poliert und die sich wie ein roter Faden durch das Album ziehenden orchestralen Elemente sind zum Zungeschnalzen. Und doch nehmen zwei auf Teufel komm raus eingefügte Breakdowns für kurze Zeit die Dynamik aus dem Song.

Lässt man diesen immer wiederkehrenden Kritikpunkt außen vor, erlebt man allerdings eine musikalische Hochgeschwindigkeitsfahrt durch die Hölle: Drummer Austin Archey setzt mit beinahe klinischer Genauigkeit die Pace – gottverdammt, diese Double-Bass – während die Gitarristen Adam De Micco und Andrew O’Connor mit tollen Riffs und Soli um die Wette spielen. Abgerundet wird das Ganze durch die famosen orchestralen Klänge, auf die selbst Bleeding Through, die Urväter des Blackened Deathcore, neidisch sein dürften. Gerade Songs wie „Hollow Sentence“ und „King Ov Deception“ leben größtenteils von diesen im Vergleich zum Vorgänger „Flesh Coffin“ noch intensiver eingesetzten Elementen. Doch auch McCreerys gesangliche Leistung muss man würdigen: So keift er sich durch alle Tonlagen, die der gutturale Gesang zu bieten hat und kann den Tracks somit auch seinen Stempel aufdrücken – nur stellenweise übertreibt er es mit unidentifizierbarem Gegrunze doch etwas.

Letztendlich ist „Immortal“ wohl eines der bösartigstes Deathcore-Alben, die je veröffentlicht wurden. Dies liegt in erster Linie an dem tollen Gespür, düstere Melodien gezielt in das wilde Geschrubbe einzubauen. So verbinden sich die Gitarren- sowie Orchester-Leads mit den gnadenlosen Riffs und bilden einen Sound, den man ohne Zweifel LORNA SHORE zuordnen kann. Trotz dieser Eigenständigkeit fehlt der Band noch etwas die Finesse, um mit Bands wie Shadow Of Intent oder The Black Dahlia Murder mithalten zu können. So sind die Songs stellenweise zu vorhersehbar („Misery System“, „Obsession“) und die Breakdowns wirken zu sehr gewollt. Nichtsdestotrotz dürfen die drei verbliebenen Mitglieder optimistisch in die Zukunft blicken: Denn die instrumentale Qualität der Songs stimmt oft genug, sodass diese auch mit jedem anderen Sänger funktionieren werden.

Wertung: 7 / 10

Publiziert am von Silas Dietrich

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