Konzertbericht: Ministry w/ Grave Pleasures

30.07.2018 München, Backstage (Werk)

Vornehmlich um im Tourkalender die Lücken zwischen den großen Sommerfestivals zu stopfen, beehren MINISTRY regelmäßig auch einige deutsche Städte für ausgewählte Hallenkonzerte – so auch 2018. Etwas kurios: Als von Stadt zu Stadt wechselnden Support fungieren mit Converge, Grave Pleasures und Chelsea Wolfe drei Bands, die eigentlich besser als Trio zusammengepasst hätten, als sie jeweils einzeln zu der legendären Industrial-Metal-Band um Mastermind Al Jourgensen passen.

In München kommen GRAVE PLEASURES zum Zug, während Chelsea Wolfe im Feierwerk, nur knapp drei Kilometer die Hansastraße hinunter, eine eigene Headliner-Show spielt. Damit dürfte es die Amerikanerin jedoch deutlich besser getroffen haben als die finnischen Post-Punker: Kaum 60 Fans verlieren sich um 20:00 Uhr im weiten U des Werks. Dass zumindest die Anwesenden die Show von GRAVE PLEASURES lautstark unterstützen, muss ihnen hoch angerechnet werden. Obwohl das Publikum im Verlauf der 50-minütigen Show zahlenmäßig noch etwas anwächst, will hier und heute nicht wirklich Stimmung aufkommen. Ein Umstand, der jedoch zumindest nicht alleine der etwas armseligen Kulisse zugeschrieben werden kann: Trotz ihres großartigen Songmaterials und einer mit BEASTMILK-Hits durchsetzten Setlist schaffen es GRAVE PLEASURES nicht wirklich, die packende Atmosphäre ihrer Alben live aufleben zu lassen: Zwar zieht Fronter Mat McNerney alias Kvohst mit Freddie-Mercury-Memorial-Schnauzbart und den entsprechenden Posen die Blicke auf sich, am Ende bleibt die Show jedoch nicht mehr als die Livedarbietung der Songs: musikalisch lupenrein, atmosphärisch aber leider nur mäßig spannend.

  1. Mind Intruder
  2. Fear Your Mind (Beastmilk-Cover)
  3. Laughing Abyss
  4. Doomsday Rainbows
  5. You Are Now Under Our Control (Beastmilk-Cover)
  6. Be My Hiroshima
  7. Genocidal Crush (Beastmilk-Cover)
  8. Infatuation Overkill
  9. Atomic Christ
  10. Joy Through Death
  11. Deadenders
  12. Death Reflects Us (Beastmilk-Cover)
  13. Haunted Afterlife

Als hätte man den MINISTRY-Fans Bescheid gegeben, dass die Vorband jetzt weg ist, füllt sich das Werk in der Umbaupause merklich: Zwar bleibt jedem Besucher verhältnismäßig viel Raum, für einen Montagabend mit sommerlichem Biergartenwetter und beim nicht ganz billigen Ticketpreis von knapp 40 € ist diese Resonanz jedoch ganz beachtlich.

Das ansonsten karge Bühnenbild dominieren zwei monströse, aufblasbare Hühnchen mit Trump-Frisur und durchgestrichenem Hakenkreuz auf der Brust – wie von MINISTRY und nach dem Album „AmeriKKKant“ nicht anders zu erwarten, steht heute viel Kritik an der aktuellen (US-)Politik auf dem Programm. Ein Onkel Al, der Trump in Form eines Aufblashühnchens kräftig in den Arsch tritt und vermummte Statisten, die zum inhaltlich so löblichen wie zugleich textlich platten Song „Antifa“ Fahnen der Anarchos und Antifaschistischen Aktion schwenken: Die Art und Weise, wie diese Kritik „vorgetragen“ wird, mag stumpf wirken. Vielleicht muss Kritik in Zeiten des plumpen Hasses und der populistischen Politik jedoch mit genau diesen Mitteln auf ebendieser gleichen primitiven Ebene stattfinden, um die Leute zu erreichen.

Schließlich ist – so wenig es bei MINISTRY auch überrascht – ja schon hervorzuheben, dass derartige Statements überhaupt in die Live-Show einbezogen werden. Damit stehen MINISTRY auf einer sehr, sehr kurzen Liste amerikanischer Rockbands, die noch unmissverständlich kritisch Stellung zur weltpolitischen Lage beziehen. Wo Punkrock nur mehr zur musikalischen Mode verkommen ist, bezieht die Industrial-Band auch 2018 noch klar Stellung und zeigt „denen da oben“ von linksaußen den Mittelfinger.

Musikalisch untermauern MINISTRY dieses Statement mit einer Songauswahl, die genauso überzeugt wie die Darbietung derselben: Al Jourgensen agiert auf der Bühne dynamischer, als man sich den Ex-Junkie vor zehn Jahren auch nur hätte vorstellen können. Seine ungleich jüngere Band, die im Kern aus Stamm-Gitarrist Sinhue Quirin, Immer-mal-wieder-Bassist Tony Campos und -Keyboarder John Bechdel sowie darüber hinaus den relativ neu rekrutierten Cesar Soto (Gitarre),  Derek Abrams (Schlagzeug) und DJ Swamp (Turntables) besteht, tut ihr Übriges, um MINISTRY 2018 dynamischer denn je aussehen zu lassen. Durch Live-DJ und Keyboarder bekommen selbst die Samples mehr Live-Charakter. Bei der gewaltigen Lautstärke, die dem Sound der Industrial-Legende nur gerecht wird, fällt deswegen gar nicht auf, dass es immer wieder technische Probleme mit der zweiten Gitarre gibt.

So entfalten Songs wie „Punch In The Face“, „LiesLiesLies“ oder „Just One Fix“ – begleitet von konfusen, chaotischen Visualisierungen auf einer großen Leinwand – genau jenen direkten, mitreißenden Charakter, der die Songs schon auf Platte auszeichnet, während MINISTRY mit Songs wie dem düsteren Midtempo „Victims Of A Clown“ oder dem atmosphärischen Klassiker „Psalm 69“ (1992) zeigen, dass sie durchaus auch etwas anderes als nur Vollgas können. Das Publikum ist über die Verschnaufpausen froh: Wenngleich es im Pit nicht so wild zugeht wie in früheren Jahren schon gesehen, sorgt die sommerliche Temperatur dafür, dass schon beim kleinsten Moshpit der Schweiß in Strömen fließt. Stolze 90 Minuten halten MINISTRY unter diesen kräftezehrenden Bedingungen durch, ehe die Amerikaner ihr Set mit „Bad Blood“ – ursprünglich von „Dark Side Of The Spoon“ (1999), jedoch eher vom Soundtrack zu „The Matrix“ bekannt  – beenden.

  1. I Know Words
  2. Twilight Zone
  3. Victims Of A Clown
  4. TV5/4Chan
  5. Punch In The Face
  6. Señor Peligro
  7. Rio Grande Blood
  8. LiesLiesLies
  9. We’re Tired Of It
  10. Wargasm
  11. Antifa
  12. Just One Fix
  13. N.W.O.
  14. Thieves
  15. So What
  16. Psalm 69
  17. Bad Blood

Mag die Wahl der Vorband auch nicht ganz nachvollziehbar sein – schlussendlich ist egal, wer vor MINISTRY den Bühnenboden poliert: Bereits bei den Festivals 2016 hatten sich Jourgensen und Konsorten stark wie lange nicht präsentiert. Mit „AmeriKKKant“ im Gepäck kehren MINISTRY nun noch stärker zurück – wo immer MINISTRY auf dem Billing stehen: Bei dieser Form ist jede Show der Amerikaner Pflicht!

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2 Kommentare zu “Ministry w/ Grave Pleasures

  1. Schöner Artikel, so war die Band auch aufm Dynamo in Eindhoven drauf. Aber John Bechdel und neu? Der spielt seit 2006 bei Ministry und ist damit nach Al der dienstälteste Musiker der Livebesetzung…

    1. Schön, wenn der Artikel gefällt! Was Bechdel angeht, liegt die Wahrheit dazwischen. Genau genommen war er 2007-2008, 2011-2013 und 2014-heute Teil der Band, was mit „neu“ aber natürlich nicht ganz treffend zusammengefasst ist, da gebe ich dir Recht. ;)
      Edit: Ich habe die Stelle entsprechend umformuliert.

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