Konzertbericht: The Rolling Stones w/ Reef

05.06.2022 München, Olympiastadion

60 Jahre THE ROLLING STONES – unter dem plakativen Slogan „Sixty“ touren Mick Jagger und Co. derzeit durch Europa, erstmals ohne den 2021 verstorbenen Charlie Watts am Schlagzeug. Zunächst droht ein Unwetter und daraus resultierendes Chaos beim Einlass den Konzertabend im Olympiastadion zu trüben, doch schnell wendet sich (fast) alles zum Guten.

Als Einheizer fungieren mit einiger Verspätung die britischen Hardrocker REEF. Hierzulande eher unbekannt spielen die Insulaner regelmäßig im Vorprogramm größerer Acts, so wie zuletzt bei Coldplay. Der Support-Gig für die Stones ist dennoch etwas Besonderes, denn mit Gitarrist Jesse Wood eröffnet an diesem Abend der Sohn für den Vater. Wenig besonders gerät der Stadionrock im AC/DC-Stil, den REEF konsequent über ihre gesamte Spielzeit zelebrieren. Der geht munter ins Ohr, ist aber auf Dauer frei von Überraschungen oder Besonderheiten. Das Olympiastadion füllt sich auch erst jetzt zunehmend, so dass die meisten Besucher nur Teile des Supports zu sehen können. Viel verpassen tun sie nicht, das bestätigt auch der verhaltene Applaus am Ende.

Das Wetter hat sich inzwischen stabilisiert und kurz vor 21 Uhr ist es soweit: Ein gelungenes Tribut-Video für Charlie Watts mündet in „Street Fighting Man“. Körperlich und spielerisch präsentieren sich THE ROLLING STONES in Top-Form, das zeigt sich bereits bei „19th Nervous Breakdown“ und dem Tourdebüt von „Rocks Off“. Zwar geraten die ersten Stücke bis zum vom Publikum im Vorfeld gewählten „Ruby Tuesday“ sehr gleichförmig, doch die Menge frisst Mick Jagger bereitwillig aus der Hand. Dieser zeigt sich bei der 116. (!) Deutschland-Show der Band sowohl stimmgewaltig als auch redselig: Sie alle würden Charlie auf der ersten Stippvisite in Europa ohne ihn sehr vermissen. Ein herzliches „Servus Minga“ geht ihm erstaunlich locker über die Lippen, genauso wie er fröhlich davon erzählt, dass er den Tag bei „Bikiniwetter“ und einem Bier im Englischen Garten verbracht hat. Die Höhen bei „Miss You“ trifft der 78-jährige Frontmann später mit traumwandlerischer Sicherheit, begleitet von einem virtuos aufspielenden Darryl Jones am Bass. Davor darf sich Gitarrist Keith Richards als Lead-Sänger profilieren und liefert besonders bei „Connection“ eine ebenfalls starke Leistung ab, während sich Jagger eine wohlverdiente Auszeit gönnt. Am Schlagzeug sitzt indes inzwischen Steve Jordan, der mit seinem vergleichsweise satten Sound stets ein ordentliches Fundament für das oft überraschend filigrane Gitarrenspiel von Wood und Richards zaubert.

In der Werkschau aus 60 Jahren wird immer wieder deutlich, wie sehr die Wurzeln von THE ROLLING STONES im Blues liegen. Wer sich nur grob mit der Vita von Jagger und Co. auseinandergesetzt hat, stellt mitunter erstaunt fest, wie lange Songs wie „Out of Time“, „Midnight Rambler“ oder „Sympathy For The Devil“ durch Soli, Doppelungen und eingestreute Snippets gestreckt werden können. Teils überstrapazieren die Rocklegenden damit auch das Aufnahmevermögen ihrer Gelegenheitshörer. Erstaunlich gut gelingt „Living In A Ghost Town“ von 2020, der Corona-Song der STONES. Richards und Wood spielen sich die akustischen Bälle auf ihren Gitarren zu und zusammen mit Jaggers Gesang mausert sich die RnB-Nummer zu einem kleinen Highlight.

Gegen Ende folgt schließlich das Hit-Feuerwerk von „Lift Me Up“ über „Paint It Black“ bis „Jumpin‘ Jack Flash“. Im Münchner Nachthimmel erstrahlt das Bühnenbild der „Sixty“-Tour dann auch in voller Pracht, entweder schwarz-weiß wie bei „Paint It Black“ oder knallbunt wie bei „Sympathy For The Devil“. Auch nach rund zwei Stunden Spielzeit tänzelt Mike Jagger locker-lässig über den Steg in die Menge und liefert ab. Im Zugabenblock beweisen THE ROLLING STONES ein Gespür für die aktuelle politische Großwetterlage: Zu „Gimme Shelter“ flimmern Bilder von zerstörten ukrainischen Städten über die Leinwände. Darüber hinaus bleibt dies unkommentiert, da sich Jagger auf sein Duett mit Sasha Allen konzentriert. In aller Konsequenz folgt als krönender Abschluss noch „Satisfaction“.

THE ROLLING STONES sind besser gealtert, als es ihr exzessives Rockstar-Leben nach 60 Jahren vermuten lässt. Wer einige Euronen übrig hat, bekommt eine starke Show mit viel Liebe zur Musik – für manche vielleicht sogar etwas zu viel Hingabe, wenn sich die STONES an einigen Songs arg verkünsteln. Andererseits werden sich viele Die-Hard-Fans gerade über diese besonderen Live-Momente freuen. Viele davon wird es vermutlich nicht mehr geben, nähern sich die einzelnen Bandmitglieder doch allesamt den 80 Lenzen.

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