Konzertbericht: Twin Temple w/ Hexvessel

12.02.2020 München, Backstage (Club)

Retro-Sound und Satan – spätestens seit dem Hype um The Devil’s Blood vor mittlerweile rund zehn Jahren gehen diese beiden Begriffe gerne miteinander einher. TWIN TEMPLE sind der neueste Auswuchs dieser Szene: Mit ihrem Mix aus 50’s-/60’s-Rock, Doo-Wop und Texten, in denen Synonyme für den Herr der Finsternis den Großteil des verwendeten Wortschatzes ausmachen, treiben die beiden Amerikaner das Konzept des Genres auf die Spitze.

Ehe das Publikum im Münchner Backstage Zeuge einer wahrlich skurrilen Darbietung wird, sind jedoch erst einmal HEXVESSEL an der Reihe. Auch das einstige Soloprojekt von Grave-Pleasures-Sänger Mat McNerney ist, aus dem düster-avantgardistischen Singer/Songwriter-Bereich kommend, musikalisch mittlerweile im Retro-Rock angekommen: Hammond-Orgel, Geige und 12-Saiter-Gitarre finden hier ebenso ihren Platz wie Schlagzeug, Bass und Gitarre. Doch so bezaubernd die Alben von HEXVESSEL auch sind: Live gelingt es den Finnen heute leider nur in Maßen, eine entsprechend „magische“ Stimmung zu kreieren. Zwar klingt musikalisch eigentlich alles exakt so, wie es soll. Emotional wirklich mitgerissen wirken jedoch – trotz neuem Song und gelungenem Coil-Cover – weder die Musiker auf, noch die Fans vor der Bühne. Irgendwie ist das aber auch egal.

Denn bei dem, was nun folgt, wäre selbst der packendste Auftritt schnell zur Randnotiz verkommen: Zu skurril ist, was TWIN TEMPLE hier und heute veranstalten, um von diesem Konzertabend viel anderes im Kopf zu behalten. Dabei sei vorweggenommen: Wenn TWIN TEMPLE als Band musizieren, weiß der Retro-Rock mit Saxophon und Alexandra James‘ beeindruckend vielseitiger Stimme durchaus zu begeistern. Die Betonung liegt leider auf „wenn“.

Denn schon als TWIN TEMPLE als Showauftakt in bester Batushka-Manier mit Weihwasser und Plastikschädel, Glocke, Degen und Gebetsbuch eine satanische Messe abhalten, ist klar, wohin die Reise geht: Manege frei für den Ritual-Zirkus. Eigentlich fängt es ja schon bei den Bühnenoutfits an: Während Alexandra James immerhin noch an Amy Winehouse im Vampir-Fummel erinnert, lässt Zachary James eher an Stromberg-Azubi Jonas (alias Maximilian Mauff) im Elvis-Kostüm denken.

Wirklich skurril wird es jedoch erst zwischen den sehr gefälligen Lounge-Rock-Songs, die mal mit einem lässigen Saxophon-, mal mit einem beswingten Gitarrensolo aufwarten: Etwa, wenn das Publikum minutenlang im Chor „Satan“ singen soll (und singt), wenn Alexandra eine gefühlte Ewigkeit lang alle gängigen und weniger gängigen Namen für den Teufel herunterbetet, oder wenn sie Zuschauerin Sabine auf die Bühne holt, um diese in einem feminisatanistischen Ritual vom Patriarchat zu befreien. Dass die gute Frau des Englischen nicht mächtig ist, statt das Gebet nachzusprechen phonetisch allenfalls rudimentär ähnliche Laute von sich gibt und ausgerechnet, als das Ende des Patriarchats heraufbeschworen werden soll, nur ein verständnisloses „What?“ in den Raum wirft, untermauert die Ernsthaftigkeit des Geschehens nicht unbedingt.

Als die Zuschauerin die Gunst der Bühne nutzt, um das Publikum und Alexandra wissen zu lassen, dass Katja, die Exfrau ihres (anwesenden) Mannes „eine Bitch“ ist, ist es um die Seriosität der satanistischen Messe gänzlich geschehen: Alexandra skandiert lachend „Hail Sabine – fuck Katja – hail Satan“, das Publikum jolt und TWIN TEMPLE rutschen zusehens vom schmalen Grat zwischen gelungener Live-Performance und aufgesetzter Inszenierung hinab in den Klamauk. Der Übergang von Messe zu Varieteé und zurück ist fließend: Als wäre nichts gewesen, knipsen Alexandra und Zachary ihr Lächeln wieder aus, spucken Blut ins Publikum, küssen sich inniglich, gehen ab.

Zurück bleibt ein fraglos gut unterhaltenes, aber doch auch etwas ratloses Publikum: Was hier Ironie, was Ernst ist, lässt sich anhand dieses Auftritts kaum beurteilen. Ebensowenig, ob die Darbietung selbst genial oder daneben, bestes Entertainment oder eigentlich doch eine Unverschämtheit ist. Fakt ist: Mit etwas weniger Show und etwas mehr Musik hätte der Auftritt mindestens genauso gut funktioniert. Denn bei dem ganzen Gewese um den Lichtbringer stellen TWIN TEMPLE ihr eigenes (musikalisches) Licht leider etwas unter den Scheffel.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Publiziert am von

Ein Kommentar zu “Twin Temple w/ Hexvessel

  1. Hallo Moritz, ich für meinen Teil habe das Konzert von Twin Tempel auch oder gerade wegen dieser allgegenwärtigen Ironie genossen. Ich gebe zu, dass ich vorab mit einigen Vorbehalten an die Sache herangegangen bin und (auch aufgrund eueres Interviews) befürchtet hatte einer auf „Teufel komm raus“ truen bzw. auf böse getrimmten Veranstaltung beizuwohnen. Das war (glücklicherweise) nicht der Fall. Was ich gesehen habe war eine gelungene Umsetzung eines Konzeptes, welches auch auf Platte schon streckenweise sehr überspitzt und augenzwinkernd daherkommt (siehe z.B. die Textpassage, in der die Protagonistin Luzifer einen Brief schreibt und ihm beteuert er wäre ein besserer Küsser als Jesus).

    Am Ende deines Berichtes stellst du dir Frage, ob das jetzt alles Ironie, Ernst, Genial oder daneben gewesen sei. Mir ging es zunächst ähnlich. Allerdings schlug diese Ratlosigkeit bei mir recht schnell in die Gewissheit um einem tollen und auf seine Art erfrischend „andersartigen“ Konzert beigewohnt zu haben.

    Gruß Patrick

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert