Review Hail Spirit Noir – Eden In Reverse

Es ist schön, wenn eine Band geschickt ein Genre bedient – doch noch schöner ist es, wenn eine Band eben kein Genre bedient, sondern ihr eigenes Ding durchzieht. HAIL SPIRIT NOIR aus Athen sind eine solche Band: irgendwie mal aus dem Black Metal gekommen, irgendwie zum Prog-Rock übergegangen, irgendwo dazwischen an Synth-Wave- und Retro-Rock-Elementen hängengeblieben und am Ende eben kaum noch zu kategorisieren. Für ihr neues Album „Eden In Reverse“ gilt das mehr denn je.

So startet das Album mit fast poppigen Retro-Synthies („Darwinian Beasts“), wie man sie eher von einer Band wie Sankt Otten erwartet hätte – während schon das folgende „Incense Swirls“ dem Hörer aufzeigt, wie in einem Paralleluniversum Enslaved als reine Prog-Rock-Band klingen könnten. Vom Black Metal, der bei HAIL SPIRIT NOIR selbst auf „Mayhem In Blue“ (2016) zumindest in Form der gescreamten Vocals noch vertreten war, fehlt nach dem Wechsel am Mikrophon jede Spur: Nachdem Gitarrist Theoharis die Sängerrolle an Cons Marg übergeben hat, ist ein einsamer Schrei in „Alien Lip Reading“ schon das Maximum an gebotener Härte – der Song selbst erinnert allerdings allenfalls an Nocte Obducta auf deren Ambient-Album „Sequenzen einer Wanderung“.

Ansonsten beherrschen Cons Margs proggy Cleangesang und psychedelisch klingende Synthesizer das Album, das insgesamt wie ein vertontes Polaroid daherkommt: weiche Klänge, viel Retro-Charme und trotzdem irgendwie hip. Kompositorisch geben sich HAIL SPIRIT NOIR – die letzten Alben konsequent weitergedacht – so offen wie nie zuvor: Gerade Songs wie besagter Quasi-Opener „Incense Swirls“ profitieren von einer gewollten Luftigkeit im Arrangement, das so nie überladen wirkt, obwohl viel passiert. Generell besticht das Album mit enormer Vielschichtigkeit: „Crossroads“ etwa, Quelle des titelgebenden Verses „Eden In Reverse'“ und zugleich auch der stärkste Song auf der CD, wirkt wie ein Mix aus Pop (im Stile der Norweger Seigmen) und Avantgarde in Tradition des Solefald-Meisterwerks Norrøn Livskunst“ (2010). Letzteres nicht ganz zufällig, hört man hier doch Lars „Lazare“ Nedland (Borknagar, Solefald) als prominenten Gast am Mikrophon.

Und dann kommt er doch noch, der Black Metal: „The First Ape On New Earth“ überrumpelt den Hörer kurz vor Schluss mit – zwar in weichem Sound, aber immerhin – hart geschraddelten Gitarren und rasantem Schlagzeugspiel. Dass ein paar verkopfte Melodiemuster und die bereits bekannten Elemente den Song natürlich trotzdem nicht nach Black Metal im eigentlichen Sinne klingen lassen, versteht sich von selbst. Dass HAIL SPIRIT NOIR ihr viertes Album mit einer zunächst verquer arrangierten und dann doch noch fast hymnenhaften Avantgarde-Synthie-Orgie von stolzen zehn Minuten Länge ausklingen lassen („Automata 1980“), vermag da kaum noch zu überraschen.

HAIL SPIRIT NOIR bleiben eine streitbare Band, keine Frage. Einem Album wie „Eden In Reverse“ muss man Zeit geben, und selbst das ist keine Garantie für Euphorie: Für den extravaganten Stilmix der Griechen muss man offen sein, um sich davon begeistern lassen zu können. Doch im Universum des avantgardistischen Progressive-(Black-Metal-)Rock sind HAIL SPIRIT NOIR auch in der „Eden In Reverse“-Phase die unangefochtenen Könige.

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Wertung: 8.5 / 10

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