Review Long Distance Calling – The Flood Inside

  • Label: Superball
  • Veröffentlicht: 2013
  • Spielart: Rock

Es gehört viel dazu, instrumentale Rockmusik einerseits spannend und abwechslungsreich zu gestalten, andererseits aber nicht zu kopflastig zu werden. LONG DISTANCE CALLING haben diesen Spagat auf ihren bisherigen Alben „Satellite Bay“ (2007), „Avoid The Light“ (2009) und „Long Distance Calling“ (2011) mit Bravour gemeistert. Von atmosphärischem Post-Rock kommend, haben sie ihren Stil behutsam weiterentwickelt; sie lösten sich Stück für Stück vom engen Korsett dieses Genres, wurden rifflastiger und energetischer, ohne ihren Wiedererkennungswert und die atmosphärische Dichte zu verlieren.

Mit ihrem vierten Longplayer „The Flood Inside“ wagen die fünf Jungs aus Münster allerdings einen recht abrupten Schritt: Sie werfen über weite Strecken ihr Attribut „instrumental“ über Bord und haben mit Martin Fischer (Ex-Fear My Thoughts, Pigeon Toe) jetzt einen festen Sänger im Line-Up. Zwar gab es auf jeder CD bisher einen Track mit wechselndem Gastsänger; vier von acht neuen Songs mit Gesang zu bestücken, ist aber doch eine klare Neuausrichtung, die die Stimmung und Atmosphäre der Musik nachhaltig verändert. Gesucht und gefunden wurde laut Promotext weder ein „Brüllaffe“ noch ein „weinerlicher Schuhestarrer“, sondern „eine zeitlose Rockstimme im Stil von Faith No More“.

Der Opener „Nucleus“ überrascht aber zunächst nicht mit einer neuen Stimme, sondern mit einem überragend lebendigen und virtuosen Solo von Blues-Gastgitarrist Henrik Freischlader. So ungezwungen und frei durften die Saiten bei LONG DISTANCE CALLING zweifellos noch nie aufspielen. Ansonsten bekommen wir hier altbekannte und gewohnt gute Kost geboten – das erste geile Riff lässt nicht lange auf sich warten. Instrumental sind die Jungs nach wie vor ohne Fehl und Tadel und vor allem eines: Effektiv.

Im darauffolgenden „Inside The Flood“ hat Stammsänger Martin Fischer seinen ersten Auftritt. In der ersten Hälfte klingt er kraftvoll, aber auch kühl, distanziert und leicht verfremdet. Seine später präsentierte, eher einfühlsame und ruhige Art zu singen passt besser zu ihm und der Musik von LONG DISTANCE CALLING, kommt aber zu selten zum tragen. Alles in allem macht er seine Sache ganz gut. Und dennoch stiehlt ihm jemand die Show: Gegen die emotionale Durchschlagskraft von Anathema-Chef Vincent Cavanagh, der gemeinsam mit dem norwegischen Singer-Songwriter Petter Carlsen „Welcome Change“ eingesungen und veredelt hat, kommt der Neue im Boot einfach nicht an.

Dass es mit dem Abschied von „Knöpfchendreher“ Reimut van Bonn noch eine weitere personelle Veränderung gegeben hat, fällt indes kaum auf: Mario Cullmann (DJ Coolman/Fünf Sterne Deluxe), Robot Koch (Jahcoozi) und Alex Komlew (Tuneverse) füllen diese Lücke mit gelungenen und abwechslungsreichen Sounds aus.

Die Produktion kann dieses Mal leider nicht ganz mit den gewohnt ordentlichen bis sehr guten Kompositionen mithalten. Sie ist etwas dumpf und matschig ausgefallen und verdirbt einem hier und da den Spaß an der Musik.

Es macht ein wenig den Eindruck, als wenn LONG DISTANCE CALLING mit „The Flood Inside“ etwas zwanghaft nach neuen Einflüssen und Sounds gesucht haben. Das Ergebnis ist zwar keineswegs schlecht und der Wille zur Veränderung grundsätzlich löblich. Leider verleiht die Hinzunahme von Gesang der Musik aber keinen Mehrwert; Martin Fischer fügt sich zwar nahtlos in den Sound ein, seine Performance bleibt aber doch recht farblos. Die stärkeren Stücke sind ohne Frage diejenigen, die ohne Stimme auskommen. Die einzige Ausnahme macht „Welcome Change“ mit Vincent Cavanagh und Petter Carlsen hinter dem Mikro, das das Highlight des Albums ist. Nimmt man noch die etwas dumpfe Produktion hinzu, ist „The Flood Inside“ insgesamt die schwächste der letzten drei Veröffentlichungen. Gute Musik gibt es hier trotzdem zuhauf. Und ein Erfolg wird es sicher auch werden.

Übrigens: Das Album erscheint auch als Limited-Edition-Digipak, das den Bonustrack „Black Hole“ enthält.

Wertung: 8 / 10

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