Review Neun Welten – Destrunken

NEUN WELTEN waren mir bisher nur durch die „Vergessene Pfade“-EP bekannt, die, jetzt im Nachhinein betrachtet, ebenfalls schon großartige Musik bietet, mir aber damals insgesamt zu uneinheitlich bzw. nicht schlüssig genug war, um sich direkt in Gehörgänge zu fräsen. Abgesehen davon schenkt man (oder ich zumindest) einer EP automatisch weniger Aufmerksamkeit als einer Full Length-Scheibe. Dementsprechend ging ich an „Destrunken“ auch eher neutral heran, zumindest so lange, bis NEUN WELTEN im Zuge der Promotion des Albums mit Empyrium in Verbindung gebracht wurden, deren Platz als Könige des naturmystischen Folk seit „Weiland“ verwaist ist. Ab hier regte sich doch ein gewisses Interesse, ob das Quintett dem Anspruch, in diese riesigen Fußstapfen zu treten, tatsächlich gerecht werden könnte.

Hatte ich mich darauf eingestellt gehabt, mir beim ersten Hören gedanklich seitenweise Notizen zu machen, was NEUN WELTEN alles falsch machen, wenn sie die Qualität Empyriums je erreichen wollen, so ging dieses Vorhaben gehörig nach hinten los. „Frosthauch“ braucht keine halbe Minute um zu 100% dieselbe, von Empyrium selbst passend als solche betitelte, Heidestimmung zu erschaffen, die zuletzt 2002 in Form von „Weiland“ auf eine CD gebannt wurde: Ruhige Akustikgitarren, die von verhaltenem Klavier unterstützt bedächtige Flötenmelodien begleiten. Der Text vom kalten Wind aus Norden passt dann nicht ganz zu meiner Vorstellung von weiten Feldern und Wäldern im Abendrot, aber mir kommt es auf diesem Album ohnehin so vor, als wäre Gesang nur aufgenommen worden, um auch mal irgendwie dabei zu sein. Prägnante Momente werden nämlich definitiv durch Streicher, Gitarren und Flöten erschaffen. Hervorzuheben ist hier das Hauptmarkenzeichen NEUN WELTENs, das auch dafür verantwortlich ist, dass die Band trotz frappierender Empyrium-Ähnlichkeit nicht als Abklatsch gesehen werden kann: Nach groß angelegtem Spannungsaufbau entfesseln NEUN WELTEN ihren Sound regelmäßig durch instrumentale Ausbrüche, bei welchen auf Akustikgitarre und Geige geschrammelt wird, was das Zeug hält. Hier schafft man es trotz der Nutzung von Instrumenten, welchen man das gar nicht so zutrauen würde, eine gewisse Art von Härte zu erzeugen. Ansonsten regiert natürlich die Ruhe auf „Destrunken“, die sich aber, wie Hörer dieses Genres wissen, erstaunlich abwechslungsreich präsentieren kann. Da geht es mal ahnungsvoll zu (ein toller Begriff, den Dornenreich da geprägt haben), keiner speziellen Stimmung zuzuordnen, aber voll Aufmerksamkeit im Angesicht der Dinge die da kommen morgen. Dann darf wieder eine allein im Wald stehen gelassene Gitarre ihre ängstliche, traurige Lead spielen, bevor der Flöteneinsatz die Atmosphäre wieder in eine friedvollere Richtung rückt. Die Geige ist, wie es sich ja anbietet, zumeist für die klagenden, tragischen Momente zuständig. Egal, welche Facette nun gerade herausgekehrt wird, über allem steht immer die Naturromantik, die in NEUN WELTENs Fall einen stark mystischen Touch hat.
Auf „Destrunken“ geht es noch etwas märchenhafter und verworrener zu, als auf „Weiland“. Insgesamt kann man wohl tatsächlich behaupten, dass die geschaffene Atmosphäre sich im Laufe des Albums in die dunklere Richtung von „Where At Night The Wood Grouse Plays“ entwickelt, dabei aber die „Weiland“-Werkzeuge beibehält, was ein äußerst interessantes Gemisch ergibt. Außerdem stellt dies einen weiteren Grund dar, „Destrunken“ nicht für eine Empyrium-Kopie zu halten, sondern nur als stark inspiriert davon anzusehen: Es kommt nie vor, dass man mal irgendeinen Moment wiedererkennt, vielmehr fühlt man sich nur von Anfang an eingehört in die Musik und ist mit der Sprache der erzeugten Bilder direkt vertraut.

NEUN WELTEN erschaffen also ein vielschichtiges, spannendes, schönes, berührendes Album, mit welchen Attributen man es auch immer bekleiden will, es ist auf jeden Fall eine verdammt runde Sache und lässt dem Hörer viel Platz, die eigene Fantasie zu entfalten. Ein kleiner Aspekt, den man als Mängel bezeichnen kann, bleibt aber: Wo Empyrium (es geht leider schlecht ohne andauernde Erwähnung der Referenzgruppe) zwischen den ausufernden Instrumentalparts immer wieder Dramatik einbringen („Die Schwäne im Schilf“ sei mal stellvertretend genannt), bei welchen der Gesang ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, fehlen diese mächtig einprägsamen Momente auf „Destrunken“, sodass das Album keine herausragenden Songs bietet und folglich meiner Meinung nach auch nur geschlossen wirklich funktioniert – In die Reise, auf die man hier geschickt wird, kann man nicht einfach mittendrin für fünf Minuten mal einsteigen.
Herabstufen lässt sich „Destrunken“ durch diesen kleinen Aspekt natürlich trotzdem nicht maßgeblich, spricht doch nichts dagegen, die Scheibe am Stück durchzuhören. Insofern kann ich das neue NEUN WELTEN-Album bedenklos allen Anhängern der oft genannten Großmeister empfehlen, aber auch Fans ruhiger Mittelaltermusik dürfen wahrscheinlich ein Ohr riskieren. Bleibt nur zu hoffen, dass man die Schaffung des bisherigen Magnum Opus nicht wie Empyrium zum Anlass nimmt, sich aufzulösen.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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