Review Nick Cave And The Bad Seeds – No More Shall We Part

Seit sich vor einer Stunde tiefhängende Wolken vor die untergehende Sonne geschoben hatten, war es stockfinster. Kurz darauf hatte es zu regnen begonnen und die vereinzelten Passanten hatten sich die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und die Mäntel bis oben hin zugeknöpft. Es ist so einfach, in die Anonymität der Einsamkeit abzutauchen. Ich beschließe, den umgekehrten Weg zu gehen und suche mir eine kleine Kneipe. Schon vor Tür kann ich diese Melange aus Schweiß, Rauch, Alkohol und billigem Parfüm riechen. Ich kämpfe mich durch Schwaden dichten Zigarrenrauchs bis zur Bar. Nur wenige Hocker sind besetzt, ich setze mich und lasse meinen Blick schweifen. Kahle Wände wechseln sich mit leeren Gesichtern ab, hier bin ich richtig. Im vorderen Bereich befindet sich eine kleine Bühne, auf der gerade eine Band Platz nimmt. Ein hagerer Kerl mit dunklen, schulterlangen Haaren, setzt sich an das Piano und beginnt fast schüchtern zu spielen und zu singen.

Ich horche auf, ein Lichtblick in dieser düsteren Umgebung. Klar, die Musik ist sehr traurig und die Miene des Vocalisten lädt zu weiterem Trübsal ein, aber dieses Lied über eine seltsame Beziehung voller Meinungsverschiedenheiten geht schon unter die Haut. Fasziniert erwarte ich, wie es wohl weiter gehen mag. And No More Shall We Part. Ob die Stimmung sich hier vielleicht etwas aufhellt? Nein, denn obwohl der Titel eher positiv klingt, geht es hier noch etwas depressiver zur Sache. Das gefällt mir und so lausche ich gebannt auf die Worte des Sängers, der sich als NICK CAVE vorgestellt hat. Ich krame in meiner Manteltasche und fische eine Zigarre heraus, die ich für ebenso passend zu dieser Musik erachte wie das Glas schweren Rotweins, welches ich beim etwas mürrischen Barkeeper bestelle. Daher verpasse ich die Hälfte des dritten Stückes, welches eine Geschichte über eine problematische Mutter-Sohn-Beziehung in der Jugend zu erzählen scheint, wie, um es vorweg zu nehmen, die meisten Texte mit Erfahrungen aus der Vergangenheit zu tun zu haben scheinen. Gegen Ende steigen einige nette Damen auf die Bühne und singen einen wunderschönen Refrain.

„Sag mal, spielt die Band öfter hier?“, frage ich eine recht hübsche Dame, die sich neben mich gesetzt hatte. Sie nickt bedächtig, trinkt einen Schluck Wein und sagt fast flüsternd: „Jede Woche mindestens einmal, aber glaub mir, es wird nicht langweilig. Manche Gäste sind fast jedes Mal dabei und ich ja sowieso. NICK CAVE AND THE BAD SEEDS kannst Du Dir wirklich jeden Tag anhören, das aktuelle Programm ist eines der besten, die ich von NICK CAVE je gehört habe.“ „Kann man die Lieder denn mit älteren Songs vergleichen?“ „Nur bedingt, finde ich; es sind schon immer viele Balladen dabei gewesen, aber so ein langsames Programm habe ich noch nicht von der Band gehört. Früher waren das nämlich echte Rocker, aber wenn Du noch einen Moment bleibst, kannst Du nachher zum Beispiel Sweetheart Come oder We Came Along This Road hören, die kommen genau so langsam, aber gleichzeitig auch schön daher, wie die Lieder, die sie bis jetzt schon gespielt haben.“

Natürlich bleibe ich noch und staune, mit welcher Leichtigkeit die Musik Besitz von mir nimmt. Gedankenverloren ziehe ich in unregelmäßigen Abständen an meiner Zigarre, dann und wann nippe ich am Wein, die meiste Zeit konzentriere ich mich aber auf die Musik. Und so vergeht die Zeit und sie vergeht viel zu schnell. Die von meiner Gesprächspartnerin angesprochenen Lieder kommen und verzaubern mich tatsächlich. Doch nach etwa einer Stunde ist Schluss, die Band packt ihre Sachen ein. Ich drehe mich wieder um, doch ohne dass ich es gemerkt hätte, ist die hübsche junge Frau verschwunden. Ich lächele in Erinnerung an einen schönen Abend und mache mich auf, zurück in die Düsterkeit des Alltags, in die Anonymität der Einsamkeit, der ich wenigstens für eine Stunde entkommen konnte.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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