Review Nick Cave And The Bad Seeds – The Boatman´s Call

Die 1990er Jahre waren für NICK CAVE AND THE BAD SEEDS unzweifelhaft die Zeit ihres künstlerischen Schaffens. Die stärksten der beachtlichen mehr als einem Dutzend Alben der Band stammen aus dieser Zeit bzw. mit einer leichten zeitlichen Verzögerung („No More Shall We Part“ aus 2001). Unter diese Rubrik fällt somit auch „The Boatman´s Call“, welches je nach Vorliebe sogar als das Allerbeste des Australiers bezeichnet werden kann.

Je nach Vorliebe bedeutet in diesem Fall: Wenn man auf die balladesken Seiten der Band steht, bekommt man hier die Vollbedienung. Zwar waren die Post-Punker mit den Jahren immer ruhiger geworden, trotzdem hatten sich selbst auf dem Balladen-Album „Murder Ballads“ immer noch einige jener kakophonen Momente verirrt, die NICK CAVE AND THE BAD SEEDS in ihrer frühen Ära ausgezeichnet hatten.
Dies ist bei „The Boatman´s Call“ absolut nicht der Fall, die Songs werden beinahe durchgehend von Piano und der Grabesstimme des Meisters dominiert. Der kommerzielle Erfolg blieb damals zwar nicht aus, steht aber bis heute hinter anderen Platten zurück. Unverständlich eigentlich, denn Cave war nie melancholischer, nie trauriger, nie gleichermaßen hoffnungslos und -voll, nie romantischer und vor allem nur ganz selten ehrlicher in seiner Ausdrucksweise. So wird man das Gefühl nicht los, einen tiefen Blick mitten in die Seele des Protagonisten zu werfen, wenn er in Songs wie „Into My Arms“, „People Ain´t No Good“ (witzigerweise im Film „Shrek 2“ verwendet) oder „There Is A Kingdom“ seine Probleme zu denen der Welt macht.
Trotz aller Fokussierung auf den Bandleader würde man dem Rest jedoch Unrecht tun. Die Musik lebt nicht alleine von Nick Cave, vielmehr trägt wie üblich jeder Musiker sein Scherflein bei. Vor allem Warren Ellis zaubert mit seinen Streicherarrangements immer wieder magische Augenblicke in die Songs, jederzeit im Hintergrund, nie aufdringlich, aber dennoch essentiell. Oder auch die Drums von Thomas Wydler, der das Kunststück schafft, die ungeheim ruhigen Stücke dennoch mit einem Schlagzeug zu unterlegen und sie dabei nicht nur nicht härter, sondern noch etwas softer zu machen. Da steckt einfach viel Sinn und Verstand drin. Überhaupt zeigen sich die Bad Seeds von ihrer gewohnt wandelbaren Seite, kaum ein Mitglied, welches sich nur auf sein eigenes Instrument beschränkt, so kommt eine zusätzliche Dynamik in die Songs, da schließlich jeder eine andere Art hat, die Gitarre zu spielen oder den Bass zu bedienen, von den großartigen Backing Vocals beinahe der gesamten Band einmal ganz zu schweigen.
Einzig die trotzdem bis fast zum Exzess betriebene Fokussierung auf den Frontmann, die sich nicht zuletzt auch im Coverartwork widerspiegelt, schmälert den Gesamtwert des Albums minimal, aber aufgrund der damals jüngsten Vergangenheit (so fiel in diese Zeit etwa die Affäre mit P.J. Harvey, welche auf dem Vorgänger „Murder Ballads“ mit Cave „Henry Lee“ im Duett sang, zum Zeitpunkt von „The Boatman´s Call“ erst kurze Zeit zurück) ist dieser Umstand verständlich. Und gute Songs hat er schließlich auch beschert.

Die Texte spielten bei NICK CAVE AND THE BAD SEEDS von jeher eine überragende Rolle, aber nie waren sie so nachvollziehbar wie auf „The Boatman´s Call“. Vielleicht ist es gerade dieses Quäntchen, welches die Platte noch einen Tacken besser macht als „Murder Ballads“. „No More Shall We Part“ war lyrisch ebenbürtig, aber musikalisch minimal langweiliger, wenn man das so überhaupt sagen kann. Wie auch immer, „The Boatman´s Call“ ist eine Platte weitgehend ohne Schwächen, dafür voll mit Songs, an denen die Schönheit der Welt zerbricht.

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert