Review Saga – 20 / 20

Lange hat sie nicht gehalten, die Ehe zwischen SAGA und Ersatzsänger Rob Moratti. Gerade mal ein Album, zwei Tourneen und eine Live-CD brachte man gemeinsam zustande. So tadellos Morattis Gesangsleistung auf dem letzten Studiowerk „The Human Condition“ auch gewesen sein mag – live war überdeutlich, dass er einfach nicht zur Band gepasst hat. Der zündende Funke wollte schlichtweg nicht überspringen. Stark schwindende Zuschauerzahlen bestätigten also, was viele vorher schon prophezeit hatten: Ohne Michael Sadler funktioniert der kanadische Fünfer einfach nicht. Und so kehrte der charismatische Frontmann 2011 zwar früher als erwartet, aber keineswegs überraschend zu SAGA zurück.

Nach einer gemeinsamen Doppel-Headliner-Tour mit Marillion im letzten Herbst, bei der man verloren gegangenes Fan-Vertrauen wieder aufbauen konnte, legen die fünf Herren nun das 20. Album ihrer Karriere, folgerichtig „20/20“ betitelt, vor. Ein Titel, der gleichzeitig in der Medizin für perfekte Sehschärfe steht und damit auf die Netzhaut-OP von Keyboarder Jim Gilmour während der vergangenen Tour Bezug nimmt.

Nach mehr als drei Jahren Wartezeit und der Rückkehr von Sadler hinter das Mikrofon dürften die Erwartungen der Fans ziemlich hoch sein. Dass die Kanadier mit „20/20“ eines der besten Alben der Bandgeschichte vorlegen, wie es uns der Promozettel glauben lassen will, hat aber hoffentlich niemand ernsthaft erwartet. Denn sonst wird er von „20/20“ ziemlich enttäuscht sein. Wer sich hingegen einfach auf zehn neue SAGA-Songs freut, kann mit der Platte viel Spaß haben.

Natürlich hat sich die Band nicht neu erfunden; man zelebriert den klassischen, opulent-episch-vertrackten SAGA-Sound, den die Fans hören wollen. Im direkten Vergleich mit „The Human Condition“ präsentiert man sich weniger kitschig-süßlich, aber leider auch weniger progressiv. Denn eines muss man Moratti lassen: Er trieb SAGA zu instrumentalen Höchstleistungen und hat sie – zumindest stellenweise – aus üblichen Mustern ausbrechen lassen. Dass die Jungs es aber immernoch draufhaben, beweisen sie gleich zu Beginn mit dem extrem starken Opener „Six Feet Under“, der sich spätestens nach dem dritten Durchgang unweigerlich im Ohr festsetzt. Außerdem auf der Haben-Seite stehen die grandiose, hochemotionale Ballade „Lost For Words“, das flott-treibende „Spin It Again“ und die tolle Midtempo-Nummer „Ball And Chain“.

Weniger toll hingegen ist, dass wie schon auf „10.000 Days“ einige Songs dabei sind, mit denen sich die Band auch im Musikantenstadl bewerben könnte. Die schunkelnde Banalität von „Ellery“ ist richtiggehend ärgerlich – trotz oder gerade wegen des netten Bezugs des Songtitels zum Track „Perfectionist“ vom 1978er Debütalbum. Auch das von Zweitstimme Jim Gilmour intonierte „Another Day Out Of Sight“ tönt stellenweise arg uninspiriert und wurde mit einem drei Stufen zu platten Text veredelt. „Anywhere You Wanna Go“ hingegen ist ein Phänomen: Hier trifft ein starker instrumentaler Mittelteil auf Melodien, die eigentlich viel zu schnell langweilig werden; erstaunlicherweise habe ich aber keinen Song der Platte öfter gehört und hartnäckiger im Ohr – das spricht ja auch irgendwie für Qualität. Der Rest des Materials ist gewohnt gutklassig und unterhaltsam.

Bemerkenswert ist ansonsten, dass Bassist Jim Crichton erstaunlich oft den Moog-Bass bemüht, was ein klarer Pluspunkt ist. Auch Gitarrist Ian Crichton präsentiert sich in Topform und spielt vielseitig wie eh und je, auch wenn er im Mix gegenüber den Keyboards dieses Mal im Hintertreffen ist. Michael Sadlers Performance ist ebenfalls ohne Fehl und Tadel; auffällig ist jedoch, dass er in den energetischen Passagen hin und wieder an die Grenze seines Tonumfangs stößt, am deutlichsten wird das im Refrain von „Till The Well Runs Dry“. Die Produktion der Platte geht in Ordnung, ist aber etwas höhenlastig und drucklos ausgefallen. Das ist allerdings Kritik auf hohem Niveau.

Insgesamt erinnert „20/20“ von seiner Ausrichtung ein wenig an „Network“. Es ist vielleicht nicht ganz so gut wie erwartet und klingt vor allem nicht so motiviert wie seinerzeit „Trust“ und „The Human Condition“. Ok, ich gebe zu: Das waren lauter „aber“ und „allerdings“ in einer sehr kritischen Rezi eines absoluten Fans. Dennoch ist „20/20“ eine gute Platte, die SAGA-Fans auf jeden Fall ordern sollten.

Wertung: 8 / 10

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