Review Spock’s Beard – The Oblivion Particle

Für den Fan von SPOCK’S BEARD beginnt der Genuss des neuen Albums schon mit dem Betrachten des Covers: Ganz im Stile eines Wimmelbildes verstecken sich dort viele Details und vor allem zahlreiche Querbezüge zu den Artworks der bisherigen Platten. Wirklich schön gemacht!

Musikalisch indes lösen die ersten Durchgänge wenig Begeisterung aus. Das Songmaterial wirkt zäh und spröde, es bleibt wenig hängen. Gegen den Vorgänger „Brief Nocturnes And Dreamless Sleep“ hat es „The Oblivion Particle“ sehr schwer. Alle typischen Trademarks der Band sind zwar vorhanden, wirken aber beliebig aneinandergereiht. Man könnte es auch mit dem Wort „bemüht“ umschreiben: Die Songs sind nicht lebendig und organisch, sie klingen konstruiert. SPOCK’S BEARD wollen sich abwechslungsreich zeigen, packen viele Ideen in einen Song, haben aber nur wenige zündende Melodien im Gepäck.

Ein gutes Beispiel dafür ist der zerfaserte, ziellose Longtrack „A Better Way To Fly“, der aus lauter Einzelstücken besteht – manche mehr, manche weniger gelungen. Ein anderes das klassische Piano-Intro von „The Center Line“, das an den Band-Evergreen „The Doorway“ erinnert, aber in keinerlei Zusammenhang mit dem locker-flockigen Lied steht, das danach folgt. Am Ende wird es – genauso unpassend – noch einmal als Outro wiederholt.

Im Promotext wird „The Oblivion Particle“ als Album bezeichnet, das mit jedem Hördurchgang wächst und sehr tiefgehend ist. Was wie eine klassische Marketing-Floskel klingt, stellt sich allerdings – im negativen Sinne – als wahr heraus. Die neue Scheibe will tatsächlich hart erarbeitet werden. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal über Musik von SPOCK’S BEARD schreiben würde. Nach 17 Jahren als Fan kenne ihre Muster und Regeln, und meistens fühlt sich ein neues Album der Bärte wie ein wohlig-warmes, unkompliziertes „Nach-Hause-kommen“ an. Dieses Mal nicht. Die Musik berührt nicht, sie begeistert nicht. Nach einigen Durchgängen schälen sich ein paar gute Momente heraus, vor allem in den Songs, die SPOCK’S BEARD schon vor der Veröffentlichung vorgestellt haben:

„Minion“ beispielsweise hat einen dieser Refrains, die einem partout nicht mehr aus dem Kopf wollen. Der Opener „Tides Of Time“ hingegen trumpft eher mit seinem Variantenreichtum auf und ist Sympho-Prog, wie er im Buche steht. Der beste Track der Platte ist, wer hätte es gedacht, der längste: In den 10 ½ Minuten von „To Be Free Again“ blitzt die alte Klasse der Band immer wieder auf – das macht Freude! Auch der verträumte Abschlusstrack „Disappear“, den David Ragsdale von Kansas mit seiner Violine veredelt, ist toll geworden.

Erwähnenswert ist, dass Drummer Jimmy Keegan in „Bennett Build A Time Machine“ erstmals den Leadgesang übernimmt – in einem der süßlichsten, amerikanischsten Songs der Bärte überhaupt, der aber von einem progressiven Instrumentalteil etwas entzuckert wird. Hauptsänger Ted Leonard (Enchant, Affector), der erst seit dem letzten Album dabei ist, hat mit seinem leicht rauen Timbre eine AOR-Schlagseite in den Sound gebracht, die sich vor allem in der einen oder anderen (zu) gradlinigen Gesangsmelodie bemerkbar macht. Am deutlichsten wird das in „Get Out While You Can“, das mit einem neuartigen Keyboard-Arrangement viel Spannung aufbaut, die der eintönige und langatmige Refrain nicht aufrecht erhalten kann.

Wunderbar gelungen ist die warme, klare Produktion. Doch sie kann kein Album retten, das wie ein verzweifelter Versuch wirkt, gegen die Übermacht der eigenen Diskografie zu bestehen: SPOCK’S BEARD entgegnen ihr mit haufenweise Ideen, aber konnten sie nicht stimmig zusammenfügen. Den Songs fehlen über weite Strecken packende Melodien und Wiedererkennungswert. Sie sind allesamt sehr abwechslungsreich, sich im Ganzen aber erstaunlich ähnlich. Nur in den ersten und letzten beiden Tracks wird das Niveau des Vorgängers „Brief Nocturnes And Dreamless Sleep“ erreicht – wirklich schade!

PS: Die Special Edition der Scheibe bietet als Bonus ein Cover des Black-Sabbath-Songs „Iron Man“. Auf der ebenfalls erhältlichen 2LP-Ausgabe ist dieser aber leider nicht enthalten.

Wertung: 6.5 / 10

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2 Kommentare zu “Spock’s Beard – The Oblivion Particle

  1. Eine kleine Ergänzung noch zu meiner Rezension:

    Sechs der neun Songs wurden von einem der beiden langjährigen Ghostwriter der Band, John Boegehold und Stan Ausmus, geschrieben. Zwei weitere von Ted Leonard (Hell’s Not Enough, Get Out While You Can). Nur an einem Song waren noch die „Ur“-Bärte Alan Morse und Ryo Okumoto beteiligt (The Center Line). Das habe ich gerade der Verkaufsversion der CD entnommen, die ich schon lange vorbestellt hatte; beim Schreiben der Rezension war mir das noch nicht bekannt, da der Promo keine Info zu den Songwritern der einzelnen Lieder beilag.

    Es ist ja nichts Neues, dass die Band seit dem Weggang von Neal Morse (2002) immer wieder die Hilfe der beiden Ghostwriter in Anspruch genommen hat. Auf den früheren Alben haben Spock’s Beard die Songs gemeinsam mit ihnen geschrieben. Dieses Mal jedoch ist das anders: John Boegehold oder Stan Ausmus haben sechs Songs im Alleingang geschrieben, von der Band war niemand an Musik und Text beteiligt. Insofern spielen Spock’s Beard hier leider überwiegend nicht ihre Musik, sondern die ihrer Ghostwriter.

  2. Da kann ich nur zustimmen. Es gibt auch für mich nur wenige Momente in denen die Bärte voll und ganz zur Geltung kommen. Offenbar hat man versucht, neue Wege zu gehen, was natürlich nicht schlecht ist. Aber man wollte trotzdem auch bekannte Elemente dabei haben, so das sich jeder Hörer gleich wieder wohl fühlt, und weiss, welche Band er da im Player hat.

    Es ist immer ein Spagat, altbekannte Dinge mit neuen Motiven zu verbinden. Hier schien mir auch etwas der Mut gefehlt zu haben, und die Kreativität das ganze zu vollenden. Vielleicht ein etwas weit gegriffener Vergleich, aber ich erinnere mich beim Hören an den Weg von Dream Theater auf der Falling Into Infinity. Die Band steht auf dem Cover, der Inhalt ist aber irgendwie anders.

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