Review Tanzwut – Seemansgarn

Es lässt sich bei Diskussionen über Musik oft beobachten, dass viele Hörer eine Kausalität zwischen den zeitlichen Abständen, die zwischen den Alben einer Band liegen, und deren Qualität feststellen zu glauben. In vielen Fällen mag das richtig sein, doch haben die Mittelalter-Rocker TANZWUT 2016 mit ihrer überaus gelungenen Platte „Schreib es mit Blut„, welche direkt im Folgejahr des Vorgängers „Freitag der 13.“ erschien, einen Nachweis geliefert, dass ein zeitlich derart kurzer Abstand nicht automatisch mit einem Qualitätsverlust eingehen muss. Für „Seemansgarn“, das neue und elfte reguläre Album der Gruppe um Frontmann Teufel, ließen sich TANZWUT seit Langem mal wieder immerhin drei Jahre Zeit. Inwieweit wirkt sich das auf das Ergebnis aus?

Mit sehr ruhigen Tönen beginnt der insgesamt eher langsame Opener und Titelsong. Bedächtige Melodien und die charakteristische Stimme Teufels tragen die erste Strophe des Songs – doch spätestens, wenn pünktlich zum Refrain, der sich schon nach wenigen Wiederholungen als ein weiterer Ohrwurm im in dieser Hinsicht bereits üppigen Repertoire der Band herausstellt, auch Gitarrenriffs und die charakteristischen Mittelalter-Melodien explodieren, ist die TANZWUT-Welt völlig in Ordnung. Und doch will sich nicht ganz die Euphorie einstellen, die der Vorgänger drei Jahre zuvor gleich zu Beginn ausgelöst hat.

Um es vorweg zu nehmen: Ja, dieser Eindruck, dass „Schreib es mit Blut“ stärker war, bleibt beim Hören von „Seemansgarn“ über weite Strecken erhalten. Macht dies die neue Platte der Mittelalter-Folk-Rocker aber gleich zu einem schwachen oder vernachlässigbaren Werk? Mitnichten! Denn dafür haben TANZWUT auch mit diesem Werk viel zu viel zu bieten. Bereits die nicht nur grausam an den Galgen gehängten, sondern zur Bewerbung des Albums im Vorfeld auch gleich noch öffentlich an den Pranger gestellten „Galgenvögel“ präsentieren sich als maximal eingängige Hit-Nummer allererster Güte, deren Refrain sich direkt im Kopf festsetzt, ohne jemals wieder daraus zu verschwinden.

Im Folgenden punkten TANZWUT mit weiteren sehr gelungenen neuen Stücken wie der sowohl instrumental als auch textlich kompromisslosen Antikriegs-Nummer „Die letzte Schlacht“ oder dem „Puppenspieler“, der von Anfang bis Ende durch die gelungenen Melodien pures und gekonntes Mittelalter-Feeling versprüht. Und wenn dieser Vorzug mit den trotz des Titels, der eines der im Metal-und Rock-Bereich weit verbreiteten intellektuell entgleisenden Sauflieder erwarten lässt, überraschend nachdenklichen Lyrics von „Gib mir noch ein Glas“ kombiniert wird, ist das eine absolut runde Sache. Dem stehen eher verzichtbare Nummern wie „Reden ist Silber“ oder „Ich bin der Nachtwind“ gegenüber, die sich zwar schwerlich als misslungen bezeichnen lassen, irgendwo aber auch am Hörer vorbeiziehen, ohne einen wirklich bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Bei einem TANZWUT-Album, welches in quantitativer Hinsicht auch dieses Mal mit 13 Songs so einiges bietet, ist das zu verzeihen, sodass der Platte am Ende schlichtweg nur der Vorwurf gemacht werden kann, mit dem großartigen Vorgänger nicht gleichziehen zu können. Das liegt weniger an den einzelnen Songs, denn auch „Schreib es mit Blut“ hatte ein paar schwächere Momente, als viel mehr an der Gesamtatmosphäre. Während das Vorgängeralbum den Hörer über weite Strecken geistig in die vorderste Reihe vor der Bühne auf einem Mittelaltermarkt versetzte, entfaltet „Seemansgarn“ nur partiell die gleiche, intensive Sogwirkung.

Alles in allem bleiben TANZWUT auch 2019 mit „Seemansgarn“ aber unverkennbar TANZWUT und ihrem Stil treu. Gerade im direkten Vergleich mit dem Vorgänger „Schreib es mit Blut“ lässt sich durchaus ein leichter qualitativer Rückgang konstatieren, was angesichts der diesmal deutlich längeren Wartezeit beinahe schon ironisch anmutet. Das soll am Ende jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gruppe erneut ein insgesamt mehr als hörenswertes Album abliefert und mit diesem vor allem dem traditionellen Mittelalter-Rock-Sound nach wie vor treu bleibt. Gerade angesichts der Zuwendung so mancher genreverwandten Band wie Saltatio Mortis hin zu keineswegs schlechten, aber immer moderner werdenden Klängen bilden TANZWUT somit innerhalb des Genres darüber hinaus eine angenehme, verlässliche Konstante.

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Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Pascal Weber

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