Dezember 2010

Review Todtgelichter – Angst

  • Label: Code666
  • Veröffentlicht: 2010
  • Spielart: Black Metal

Wenn man mich noch vor ein paar Monaten gefragt hätte, mit welchem Begriff ich TODTGELICHTER nicht in Verbindung bringen würde, wären die Chancen nicht schlecht gestanden, dass ich „progressiv“ gesagt hätte – war das 2007er-Album „Schemen“ – vollkommen wertungsfrei – doch eher ein traditionelles Black Metal-Album, vom truen Debüt „Was bleibt…“ ganz zu schweigen.
Nun steht mit „Angst“ das dritte Werk der Hamburger in den Läden – und schon auf den ersten Blick wird klar, dass man diese Einschätzung nun nocheinmal gründlich überdenken sollte: Denn bereits das Coverartwork legt den Verdacht nahe, dass hier ein starker Bruch stattgefunden hat. Ein Mensch fällt kopfüber durch Blau, könnte man es wohl umschreiben… dass die Person dabei eher entspannt dreinschaut, will vielleicht nicht ganz zum eher beklemmenden Ein-Wort-Titel „Angst“ passen, folgt aber dem gleichen Schema: Modern.
Das dornige Logo ist quasi gänzlich einem nüchternen Schriftzug gewichen, ebenso verschwunden das traditionelle Corpsepaint – selbst auf ihren Promophotos präsentieren sich TODTGELICHTER von Kopf bis Fuß weiß getüncht aussergewöhnlich und anders. Anders um des anders seins Willen? Mitnichten vielleicht – hauptsächlich aber wohl, um der durchlaufenen Weiterentwicklung auf möglichst allen Kanälen Ausdruck zu verleihen.

Die schönsten Promophotos und Layoutbemühungen wären jedoch vergebens, könnte man die so suggerierte Progressivität nicht auch in der Musik umsetzen. Doch wie der Konjunktiv dem aufmerksamen Leser bereits verrät: Auch diese, entscheidende Hürde meistern TODTGELICHTER mit Bravour:
Bereits der Opener, „Café Of Lost Dreams“ beweist dies eindrucksvoll: Hat man es bei dem Lied bezüglich der ersten Riffs noch mit Black Metal zu tun, wandelt sich der Song schnell in ein melodiöses Stück avantgardistischen Metals, das seinen Höhepunkt im mitreißenden weiblichen Gesang erreicht. Spätestens wenn Nils und Marta den Song im Duett beenden, ist klar: Die Erwartungen, die das Gesamtpacket „Angst“ geweckt hat, werden auch auf musikalischer Ebene voll erfüllt.
Mit dem Opener hat man auch gleich den Ohrwurm-Hit des Albums gehört, handelt es sich bei dem Stück doch um die eingängiste der acht Nummern. Was folgt ist jedoch keinesfalls schlechter – streckenweise lediglich schwarzmetallener. Schnelle shredding-Riffs wechseln sich mit ruhigeren, melodischen Passagen ab, und immer wieder (beispielsweise in „Neon“) setzt Martas Gesang Akzente. Mit Frauengesang ist es ja grundsätzlich immer so eine Sache – wirkt er als Effekt eingesetzt doch nur all zu oft kitschig und klischeebeladen. Anders hier, fügt sich Martas nüchterne, markante Stimme doch perfekt in die Atmosphäre der Songs ein und bereichert die Songs so um eine selbst im progressiven Black Metal selten so gelungen verwendete Facette.
Dass all diese Komponenten so gut miteinander zusammenspielen, ist dabei nicht zuletzt dem Sound der Platte zu verdanken – der Gang in die Hammer Studios, die Eike Freese von Dark Age gemeinsam mit Dirk Schlächter und Kai Hansen von Gamma Ray betreibt, hat sich offensichtlich voll und ganz rentiert: Prägnanz, Transparenz und Tiefe – „Angst“ fehlt es an nichts.

Das dritte Album wird oft als das wegweisende in der Diskographie einer Band angesehen – zeigt sich doch hier, nachdem die Hörner abgestoßen und der Stil gefunden sind, was wirklich in einer Band steckt. Funktioniert die Band als Band? Ist sie ambitioniert genug, die Mühen und Pflichten, die eine Band mit sich bringt, auf Dauer zu tragen? Hat sie einen eigenen Stil, der auch auf Dauer funktioniert? Und nicht zuletzt: Reicht die Kreativität für mehr als zwei Alben aus? TODTGELICHTER beantworten diese Fragen nicht einfach nur mit „ja“, sondern setzen mit „Angst“ ein dickes Aufrufezeichen dahinter.
Sicherlich, das Album ist nicht gerade leichte Kost – ist die ein oder andere Passage doch durchaus ein harter Brocken, der sich auch nach diversen Durchläufen nicht ganz entfaltet hat, dafür jedoch von Mal zu Mal wächst und mit jedem erschlossenen Riff dazugewinnt. In Verbindung jedoch mit schlichtweg genialen Ohrwurm-Passagen wie der Gesangslinie in „Café Of Lost Dreams“ ist das jedoch „not a bug, but a feature“ – verleiht es dem Album doch eine fast unergründliche Tiefe und verhindert, dass man sich an „Angst“ all zu schnell satthört.

TODTGELICHTER haben einen großen Schritt gewagt, ist „Angst“ doch mit dem auf „Schemen“ gebotenen Material ist kaum noch zu vergleichen – und damit, man kann es nicht anders sagen, einen großen Schritt getan: Wenn mich auch nicht jeder Riff, nicht jede verarbeitete Idee isoliert betrachtet voll und ganz begeistert, ist das Gesamtergebnis doch beachtlich, zeigt die Band mit diesem anspruchsvollen, abwechslungsreichen Album doch nicht nur, dass sie gute Musik machen können, sondern viel mehr noch, dass sie offen für Neues und mutig genug sind, dies dann auch direkt umzusetzen.
Fazit: Wer wagt, gewinnt – vielleicht nicht in jedem einzelnen Detail, jedoch aufs große Ganze gesehen.

Anspieltipp: „Café Of Lost Dreams“

Wertung: 9 / 10

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