Prelistening: Mr. Hurley und die Pulveraffen – Leuchtturm

Für MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN ist die Marschrichtung auf ihrem neuen Longplayer klar: weg von den coronageprägten düsteren Geschichten auf „Seemannsgrab“, hin zum gemeinsamen „Leuchtturm“ als Hoffnungsschimmer in vielerlei Hinsicht. Wieder mehr folkig, hymnischer als je zuvor und komplett frei in dem, was die einzelnen Songs sein sollen – so fasst Simon Erichsen aka Mr. Hurley im exklusiven Prelistening das neue Material zusammen.

Liveerprobt, autobiografisch, politisch – und mit geballter Geschwisterpower

Wer die Pulveraffen in letzter Zeit live gesehen hat, kam an „Achterbahn am Achterdeck“ nicht vorbei. Der neue Song hat seine Live-Feuertaufe mehrfach erfolgreich bestanden und ist „ein klassisches Pulveraffen-Stück“, wie Mr. Hurley ergänzt. „Ich kann inzwischen ganz gut einschätzen, was unsere Fans hören wollen“, so der Frontmann weiter. „Wir fahr’n zur Hölle“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, wenngleich vielleicht ein wenig reduzierter als viele Songs der zwei Vorgängeralben. „Wir haben uns insgesamt wieder mehr der ‚Grog’n’Roll‘ angenähert“, erklärt Simon. In „Mein Charakter“ und „Meine Schnauze“ wird es (pseudo-)autobiografisch: „Es ist ja bekannt, dass ich auf der Bühne gerne und viel rede. Mit diesen Liedern wollte ich dem Charakter Mr. Hurley mehr Profil geben. Natürlich gibt es auch Parallelen zu mir als Privatperson, wichtiger für mich ist aber herauszustellen, dass Mr. Hurley mehr als einfach nur ein Pirat ist und sein Leben keine reine Erfolgsgeschichte darstellt. Hätte er also vielleicht besser etwas Vernünftiges gelernt…“, sagt der Barde und lacht. Für die wachsende Fanschar wäre dies ein tragischer Verlust: Erst vor kurzem auf dem Wacken Open Air gab es laute „Hurley auf die Louder“-Sprechchöre, beim Summer Breeze haben die Pulveraffen selbst zu vorgerückter Stunde mehr Publikum angezogen als viele andere Acts im weiteren Verlauf. „Für mich ist das alles Bonus“, fasst Simon zusammen. „Wir hätten nie gedacht, dass wir das alles erleben dürfen und genießen jede Sekunde davon. Wir sind als kleines Akustik-Trio im LARP entstanden, haben einfach zusammen Musik gemacht und irgendwann ging es durch die Decke, ohne dass wir an uns groß von unseren Anfängen gelöst haben.“

Mr. Hurley und die Pulveraffen, Feuertanz 2023

Zu den drei Brüdern stieß vor einigen Jahren noch ihre Schwester Esther als Pegleg Peggy dazu: „Anfangs hat Esther uns viel über die Schulter geschaut, inzwischen ist sie voll integriert in das Songwriting und die Ausgestaltung der Songs. Sie sagt offen ihre Meinung und wir entscheiden dann zu viert gleichberechtigt. ‚Mann über Bord‘ haben wir zusammen geschrieben, auf das Ergebnis und das Statement sind wir immer noch stolz.“ Mit klaren Statements halten sich die Pulveraffen auf „Leuchtturm“ nicht zurück, „Die da oben“ richtet sich gegen alle Querdenker. „Wir stehen zu unseren politischen Statements. Wer uns deswegen nicht hören will, nur zu. Ist mir egal. Dann verkaufe ich lieber weniger CDs und hab ein Publikum, mit dem ich entspannt ein Bier trinken gehen kann. In Magdeburg sind auch schon Konzertbesucher mit erhobenem Mittelfinger gegangen“, gibt sich Simon ungewohnt deutlich und ernst. Einen Nachfolger zu „Mann über Bord“ gibt es indes nicht, bei „Du bist mein Schatz“ singt Mr. Hurley zusammen mit seiner Gesangslehrerin Victoria Semel. Für dieses Stück haben die Pulveraffen alle Register gezogen: „Früher haben wir mehr darauf geschaut, dass wir alle Stücke möglichst genau wie auf der Platte live spielen können. ‚Du bist mein Schatz‘ ist für mich eine pathostriefende Walt-Disney-Parodie, zu der sowas wie Querflöten, eine kitschige E-Gitarre und ein Streichquartett einfach dazugehören – und dann haben wir das eben so gemacht. Man kann das gerne trashig nennen, wir brechen damit unsere Partysongs dieses Mal unkonventionell auf.“

Mehrere Versuche für einen Song, mehrere Editionen für eine Veröffentlichung

Für den namensgebenden Titelsong brauchte es mehr als einen Anlauf: „Bei ‚Leuchtturm‘ habe zwei fertige Texte weggeworfen und wir haben auch musikalisch erst spät die Drehung bekommen, daraus etwas derart Hymnisches zu machen, bei dem sich die Leute auf den Konzerten in den Armen liegen können. Anfangs hatte ich nur die Textzeile: Ich hab die Lampen an, ich bin ein Leuchtturm.“ Manchmal sind es auch die anderen drei Bandmitglieder, die einen Song maßgeblich prägen. So wie „Mitt’n rein“, dessen naiv kindliche Aufmachung mit Folk-Einschlag größtenteils entstanden ist, als Simon beim Arzt saß. „Ich kam zurück und meine Geschwister haben mir davon erzählt. Die musikalische Ausgestaltung als klaren Kontrast zum Text fand ich in den Strophen verdammt lustig, den Refrain habe ich dann konsequent zu Ende gedacht.“ Für alle, die „Mit’n Hut“ mochten, dürfte dieser Song eines der Vorzeigestücke von „Leuchtturm“ sein, da er maßgeblich von Buckteeth Bannocks bekanntem Pöbel-Gesang getragen wird. Ebenso altbewährt: das vierteilige Hörspiel, das dieses Mal unter dem Titel „Blakes Urlaub“ verewigt worden ist. „Wir wissen, dass sich daran die Geister scheiden. Einige feiern es, andere skippen es. Da aber immer mehr Hörer ihre persönlichen Playlisten bei Spotify und Co. zusammenstellen, war es nie leichter, einen Mix mit den eigenen Favoriten zu erstellen. Wir haben an dem Hörspiel nach wie vor großen Spaß.“

Etwas ernster wird Simon wieder, wenn es um das Thema CDs und Vorverkäufe geht: „Physische Produkte oder auch Alben allgemein werden zum Auslaufmodell, da können wir im Folk viel von Rappern lernen, die einfach alle zwei bis drei Monate etwas Neues herausbringen. Wir sehen es ja an unseren Zahlen, die klassische CD kaufen immer weniger Leute. Sondereditionen und Vinyl sind dafür heiß begehrt.“ So wird es auch zu „Leuchtturm“ eine Captain’s Edition geben, unter anderem inklusive Taschenlampe, Mütze und einer besonders Bonus-CD. Vier befreundete Autor:innen der Band haben dafür extra eigene piratige Kurzgeschichten verfasst, die von den vier Geschwistern dann eingelesen worden sind. Musikalische Gäste sind rar auf „Leuchtturm“: Bei „Nichts zu verlieren“ wirkt Dr. Dr. Dräse von der Frog Bog Dosenband mit. „Ursprünglich war das ein Knasterbart-Song, den ich um ein paar maritime Motive erweitert habe. Dr. Dr. Dräse kenne ich ewig, ich habe bei der Frog Bog Dosenband auch schon bei einem Song mitgemacht. Insofern war dieser Schritt für mich logisch“, berichtet Simon. Folgerichtig war auch das Lyrik-Video zu „Beifang“, der zweiten Vorabsingle. „Unser Schlagzeuger Johannes ist ein wahnsinnig talentierter Illustrator. Er gestaltet nicht nur alle unsere CD-Cover, sondern hat auch die Bilder zu diesem Video gezeichnet. Durch die stringente Geschichte und die vielen Sprachbilder, die darin enthalten sind, bot sich das Lyrik-Video an.“ Über einen kleinen Grammatikfehler im Text von „Beifang“ kann Simon lachen: „Eigentlich hätte es Inuk anstatt Inuit heißen müssen, da Inuk der Singular ist.“

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Mehr Trinklieder und eine erweiterte Familie

„Ich höre oft, dass wir so viele Trinklieder schreiben. Das stimmt nicht“, sagt Simon. Auf „Seemannsgrab“ gab es genau ein einziges, auf „Leuchtturm“ sind es nun wieder mehrere. Am Ende wurde es noch eines mehr, allerdings mit einem anderen Hintergrund. „‘Trink schnell aus‘ ist in letzter Sekunde auf dem Album gelandet. Ich wollte das Thema Alkohol noch aus einer anderen, ernsthafteren Perspektive beleuchten“, erklärt er. Am Ende versteckt sich hinter dem Song eine traurige Geschichte über Alkoholismus und den Letzten in der Bar, ein Song dessen Demo genau wie „Meine Schnauze“ bereits recht nahe am finalen Ergebnis gewesen ist. Sind diese ernsthaften Momente für alle Pulveraffen-Fans? Womöglich nicht. „Ich freue mich über jeden, der die doppelten Böden in unseren Texten erkennt und wertschätzt. Wir sehen auch an den Streaming-Zahlen, dass Nummern wie ‚Schattenschwarze Segel‘ wahnsinnig gut ankommen. Aber wenn ich auf der Bühne stehe, will ich nur eins: die Leute unterhalten und dabei selbst Spaß haben. Ich fühle mich nicht als missverstandener Künstler“, so Simon. Um sich herum, vertrauen die vier Musiker:innen seit langer Zeit einer festen Crew, die inzwischen zur Familie gehört. Auch „Leuchtturm“ wurde in den DocMaKlang Studios aufgenommen, Produzent Tobi „ist sowas wie der fünfte Pulveraffe“. Zwar haben sich die Hurleys auch schon Input von Vincent Sorg geholt, aber „das geschieht lediglich ergänzend und unabhängig davon. Tobi ist für uns unantastbar. Wir kennen uns, seit wir 15 Jahre alt sind und sind auch so lange eng befreundet. Ich habe auch das Gefühl, dass unsere Crew mit uns wächst.“

Unterwegs sind die Pulveraffen meist mit einer festen Entourage aus zwölf Leuten, viele ebenfalls seit langem mit an Bord: Blackbört als Roadie, Backliner und Schnapsbeauftragter seit über zehn Jahren, Tourmanager und Soundtechniker Spille etwas kürzer. Das wird auch bei der kommenden Kajüten-Tour so sein, im Rahmen derer die Wahlpiraten mehrere Konzerte in kleinen Clubs bundesweit umsonst spielen und ihr neues Material pünktlich zum Release promoten. Alle Locations waren binnen weniger Minuten voll. „Für uns waren die Kajütenkonzerte immer etwas ganz Besonderes, wir haben tolle Erinnerungen daran. Es ist alles etwas kleiner, eskalativer – auch bei uns“, berichtet der Oberpulveraffe. Ein bisschen das piratesque Äquivalent zu den Autogrammstunden bei Media Markt.

Ein Nichtfamilienmitglied in der Band? „Unvorstellbar“, so Simon abschließend. „Unsere große Besonderheit ist, dass wir als vier Geschwister so gut zusammen funktionieren, menschlich wie musikalisch. Da spielen auch Geschlechter keine Rolle.“ Und so werden MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN gemeinsam auch ihren „Leuchtturm“ lichterloh zum Scheinen bringen, denn auch nach sieben Alben wirken die Piratengeschichten alles andere als auserzählt.

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert