Review Mr. Hurley und die Pulveraffen – Leviathan

Ein Leviathan kann ein ziemlich fieser Zeitgenosse sein, so ist es überliefert. Für MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN könnte sich das ursprünglich biblisch-mythologische Seeungeheuer hingegen zu einem weiteren Glücksbringer entwickeln. Noch nie gab es so vielfältiges und mit so viel Liebe zum Detail umgesetztes Piratengut auf die Ohren.

Auf „Leviathan“ behandeln die Osnabrücker zwar viele düsterere Themen, Gefahren und Bedrohungen auf dem Meer, doch die Texte sprühen vor Leben, Leichtigkeit und Finesse. Dass MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN ihre Fühler immer weiter ausgestreckt und mehr als „Blau wie das Meer“ zu bieten haben, ist nicht neu. Allerdings entdecken die vier Geschwister in ihrer aktuellen Bandkonstellation anno 2019 ungeahnte Möglichkeiten, ohne dass ihre sympathischen Eigenheiten zu kurz kommen: Das zeigt sich bereits bei der Zusammenstellung der 19 Stücke, darunter erneut vier Kapitel eines Hörspiels mit dem Namen „Blakes Walfahrt“. Auch die Geschichte passt hervorragend zum Albumtitel. Mit Gästen wie dem Szene-YouTuber Der dunkle Parabelritter haben sich Mr. Hurley und seine Mannschaft im Hörspiel-Bereich namhafte Verstärkung an Bord geholt, die sich prima einfügt. Musikalisch bereichern Fiona und Laura von Faun die Piraten-Partylandschaft als Gastsängerinnen beim launigen „In jedem Hafen“, instrumental verstärkt unter anderem Drehleierspielerin Annie an ihrem Paradeinstrument die Affen bei einigen Stücken. Die Gäste wirken allesamt gut und vor allem passend gewählt. Im Kern bleiben die Pulveraffen mit und ohne Gästen immer eine herrlich befreit aufspielende Folk-Combo, die teils komplex und teils auch mit sehr einfachen Mitteln bestens unterhält.

Pegleg Peggy als feste Bassistin macht das Akkordeon als Ersatz für die tiefen Töne endgültig redundant. Gleichzeitig klingt „Leviathan“ dadurch noch voller und wuchtiger, das zeigt sich beim morbiden „Hol uns der Teufel“, welches mit seinem düsteren Chor zum Mitsingen einlädt – sozusagen das Untote-Seefahrer-Äquivalent zu „Wir werden alle sterben“ von Knorkator. Wahnsinnig eingängig und ebenfalls wunderbar für Live-Konzerte geeignet gerät „Knüppfel auf’n Kopp“, das sehr shanty-mäßig daherkommt. „Santa Sangria“ ist der erste kubanisch angehauchte Latin-Song der Bandgeschichte und prima als Hymne für alle Besucher von „Booty Island“ geeignet. Die ersten Klavierelemente eines „Wär‘ ich Gouverneur“ haben die Pulveraffen auf „Leviathan“ wiederum im melancholischen „Scherenschnitte“ konsequent weitergedacht und umgesetzt, ohne dass dies erzwungen oder gar unpassend wirkt. Man merkt schnell: Die Ideen greifen ineinander, funktionieren auch mit Blick auf die gesamte Diskografie und Stillstand gerät zum Fremdwort.

Ähnlich überraschend wie ausgebaute Klavier-Elemente und erste Latin-Beats zählt ein Lied zu den Paradestücken von „Leviathan“, welches ohne den markanten Gesang von Mr. Hurley auskommt: Akkordeon-Virtuose Buckteeth Bannock hat seinem neugeborenen Sohn mit „Der Kodex (kein Versprechen)“ einen kleinen Piraten-Leitfaden für alles, was ihm in seinem Leben an Gutem wie Bösem wiederfahren kann, geschrieben – und zeigt ihm gleichzeitig, worauf er sich immer verlassen kann. Die Zeilen berühren und die musikalische Umsetzung zeugt von sehr viel Hingabe. Ähnlich viel Feingefühl ließ Vincent Sorg bei „Affentottenkopp“ und „Unser Untergang“ walten: Im Vergleich zu anderen Folk-Combos verfällt der Produzent nicht in bestimmte Erfolgsmuster, sondern scheint lediglich ein paar gezielte Akzente zu setzen.

Fernab der Partynummern sind es neben „Der Kodex (kein Versprechen)“ auch Kleinigkeiten wie der lyrische Kunstgriff am Ende von „Der letzte Schluck“ und das lyrisch so einfach wie charmante „Die Leinen und ich müssen los…“ beim bereits liveerprobten „Segel hoch“ als stimmungsvollem Rausschmeißer zum gemeinsamen Schunkeln. „Leviathan“ ist voller guter Unterhaltung, geistreich und immer wieder für Überraschungen gut. Manche davon entdeckt man erst beim wiederholten Hören. Eine Höchstwertung verhindern lediglich „Volle Fahrt“ und ein bis zwei weitere Nummern, die gefühlt nichts Wesentliches zum bunten Folk-Potpourri beitragen. Mit etwas weniger Ladung an Bord wäre der „Leviathan“ ebenso mächtig gewesen. Am Ende wird die neueste Ausgeburt der Folkpiraten aber so oder so weiter für mächtig Furore sorgen.

Wertung: 9 / 10

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