Interview mit Eviga von Dornenreich: 20 Jahre – Teil 2 (2002–2008)

Im zweiten Teil unseres dreiteiligen Special-Interviews zum 20jährigen Bestehen von DORNENREICH berichtet Eviga über DORNENREICH am Scheideweg  und die Zeit von „Hexenwind“ bis „Durch den Traum“. Ein Gespräch über den Zauber, das Selbstvertrauen, die belebende Freude, sich musikalisch auszudrücken und den Beginn einer langen Zusammenarbeit und Freundschaft.

Dornenreich2014

Vier Jahre, bis 2005, mussten sich Fans anschließend gedulden, bevor wieder ein Studioalbum anstand. Dann kam „Hexenwind“. Für die einen ein puristischer Geniestreich, stieß das Album andererseits bei vielen Fans auch auf Unverständnis, nach dem Motto: „Vier Jahre, und dann kommen die mit vier Riffs daher?“ Hast du Verständnis für Fans, die von dem Album enttäuscht waren?
Ja, durchaus. Am Ende waren es faktisch sogar beinahe fünf Jahre, die zwischen der Veröffentlichung von „Her von …“ und „Hexenwind“ vergangen waren. Aus heutiger Sicht bildet „Hexenwind“, in der Form, in der es nun vorliegt, einen Gegenpol zu „Her von …“ und ist völlig anders gewichtet, und zwar musikalisch wie textlich. Textlich ist es etwa weit naturmystischer und weit weniger anthropozentrisch und auch musikalisch ist es da hypnotisch und suggestiv, wo „Her von …“ intensiv und heftig war. „Hexenwind“ bot zum Beispiel auch weit weniger Stimmeneinsatz und fordert in seinem über weite Strecken demonstrativen Minimalismus die Fantasie der geneigten Hörerschaft. Es ging uns dabei auch darum, die Hörerschaft dazu zu bringen, sich letztlich zu entscheiden zwischen einer Wahrnehmung als monoton und einer Wahrnehmung als hypnotisch. Lässt man sich nämlich auf „Hexenwind“ ein, kann es einen tief berühren und verwandeln, meine ich. Das haben mir jedenfalls viele Menschen mitgeteilt in den letzten zehn Jahren, die seit der Veröffentlichung des Albums nun bereits wieder vergangen sind.

Aber zurück zu deiner dornenreich-hexenwindAusgangsfrage… Ja, ich verstehe es natürlich, wenn man etwa als glühender Anhänger von „Her von …“ zunächst große Schwierigkeiten mit einem Album wie „Hexenwind“ hat. Doch am Ende ist DORNENREICH eben eine Art Tagebuch meiner Entwicklung und nicht, wie es scheinbar bei nicht wenigen anderen Bands der Fall ist, eine Art Unternehmen mit dem Motto Never change a winning formula … Aber, wie gesagt, ich verstehe die Schwierigkeiten gut und es geht mir zum Beispiel bei Ulver als Rezipient bis zum heutigen Tag selbst so. Ich schätze sie zwar enorm für ihre lebendige Wandlungswilligkeit, ihren künstlerischen Mut, doch für mich gibt es in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Unterschied in der Entwicklung von Ulver und DORNENREICH. Auch wenn wir alle letztlich hin zum Geistigen unterwegs sind und letztlich wohl nur die nackte Schwingung an sich zählt, die in Klängen liegt, so haben wir im Gegensatz zu Ulver nie die zutiefst menschliche Wärme und Intimität selbst gespielter, akustischer Instrumente hinter uns gelassen. Deshalb sage ich persönlich in Bezug auf Ulver nicht selten, dass mein Kopf sie immer noch schätzt, nur mein Herz oft nicht mehr recht folgen, nicht mehr anknüpfen kann.

Was hat dich zu diesem krassen Bruch, vom von Ideen überbrandenden „Her von …“ hin zu den aufs Minimale reduzierten „Hexenwind“-Stücken getrieben?
Ich, der ich die gesamte Entstehungsgeschichte kenne, kann dir versichern, dass „Hexenwind“ „Her von …“ letztlich sogar hinter sich lässt, was den Ideenreichtum betrifft, rechnet mal alle Entwicklungsstadien und das gesamte Ausgangsmaterial ein, das auch „Durch den Traum“ und einige bis heutige unveröffentlichte Stücke und Fragmente miteinschließt.
Die schlussendlich veröffentlichte Version von „Hexenwind“ ist das Ergebnis eines wirklich langen und aufreibenden Prozesses – insbesondere auch im Menschlichen, das sich im Hintergrund ereignete. Künstlerisch ist „Hexenwind“ das Ergebnis eines bewussten Rückbaus, eines Vertrauens auf die Essenz, auf den Raum für Fantasie, auf die Stille zwischen und in den Klängen. Und gerade darin liegt für mich die Errungenschaft dieses Albums, die später zu besonderer Blüte kommen sollte („In Luft geritzt“, „Freiheit“).

Gilván hat die Band damals verlassen. War „Hexenwind“ Ursache oder Resultat?
Gilvan war bereits ausgestiegen, lange bevor „Hexenwind“ sich abzeichnete, das ursprünglich ja nicht ein weiteres DORNENREICH-Album, sondern ein eigenständiges Band-Konzept war, das zur ersten Veröffentlichung des Prophecy Sublabels Lupus Lounge werden sollte, dessen Name auf mich zurückgeht.
Der Grund für Gilvans damaliges Ausscheiden liegt wohl in der Summe von fehlender Bodenhaftung auf meiner und Valnes’ Seite und eines Sich-Übernehmens und Sich-Zu-Viel-Zumutens von Gilvan. An dieser Stelle ist es wichtig, daran zu erinnern, dass Valnes und ich doch einige Jahre jünger sind als Gilvan, und wir – freilich auch durch den großen Erfolg von „Her von …“ – recht weit in unsere eigene künstlerische Welt – sagen wir – gereist waren (lacht), während Gilvan, der schon immer der sehr bodenständige Gegenpol zu uns war, sich damals auch noch in vielen anderen Bands engagierte, was insgesamt sicher nicht wenig fordernd war. So überrascht es wohl auch nicht, dass er – zeitgleich mit seinem Rückzug aus DORNENREICH – auch andere Bands verließ.

DornenreichBereits ein Jahr später war „Durch den Traum“ fertig. Was hat euch zu diesem Tempo beflügelt?
Nachdem sich im Herbst 2005 auch Valnes wegen der viel bemühten, aber in diesem Fall durchaus zutreffenden persönlichen wie künstlerischen Differenzen aus DORNENREICH zurückgezogen hatte, stand ich nun tatsächlich alleine da mit DORNENREICH. Und diese Zeit war eine Scheideweg, keine Frage. Was mich zu diesem Zeitpunk künstlerisch rettete, war einerseits die Tatsache, dass die Musik zu „Durch den Traum“ bereits aufgenommen war und ich mir im Laufe der Jahre die Voraussetzungen geschaffen hatte, die Gesangsaufnahmen selbst durchzuführen. Zudem war ich im Winter 2005 gefragt worden, ob ich nicht ein Stück zu einer Hermann-Hesse-Liedersammlung beitragen wolle und als ich schließlich das Hesse-Gedicht „Ich bin ein Stern“ immer wieder las, während ich mir einige Aufnahmen anhörte, die mir vorlagen, war es einfach eine unvergesslich magische Erfahrung, als ich bemerkte, wie Hesses Worte und Bilder mit diesem einen Musikstück zusammenpassen wollten, das ich ursprünglich im Rahmen der Hexenwind-Sessions aufgenommen hatte. Die Arbeiten an Ich bin ein Stern brachten mir in der Folge schließlich vieles zurück, was ich in dieser ungewissen Zeit nicht selten schon verloren glaubte, nämlich den Zauber, das Selbstvertrauen, die belebende Freude, mich musikalisch auszudrücken. Dass Durch den Traum dann so rasch entstand beziehungsweise fertiggestellt wurde, führe ich heute also im Speziellen darauf zurück, dass mir das Gelingen von Ich bin ein Stern viele Freude und Selbstvertrauen zurückbrachte und auch darauf, dass ich es nun als immens inspirierende Freiheit begriff, ein Album entstehen zu lassen, das lediglich meinen ureigenen Vorstellungen gerecht werden musste. Ich war das letzte verbliebene Bandmitglied und es gelang mir, diese tendenzielle Verlorenheit als fruchtbare Freiheit zu begreifen. All das hat ja auch Eingang in die Texte zu Durch den Traum gefunden (vergleiche hier konkret „VII“).

Welche Bedeutung in der DORNENREICH-Diskographie schreibst du dem Album aus heutiger Sicht zu?
Die Entstehungszeit war schlicht und ergreifend die bis heute vielleicht wichtigste Phase meiner künstlerischen Entwicklung und gewiss die Wiedergeburt DORNENREICHs. Für mich persönlich repräsentiert dieses Album eine tiefe Verneigung vor den wunderbaren Einsichten der deutschen Frühromantik, eine Verneigung vor dem Mysterium des Seins. Die Erinnerung an die Hingabe, mit der ich – ganz für mich alleine – an
Durch den Traum arbeitete, wird mich immer mit meine Leidenschaft für künstlerischen Ausdruck verbinden, woran ich mich immer wieder neu ausrichten kann. In diesem Zusammenhang kann ich mich zum Beispiel daran erinnern, dass ich für den Sprechpart, mit dem das Album beginnt und für den Beginn von Kapitel V eine ganze Nacht lang Take für Take aufgenommen habe, um tatsächlich in diesen Zustand zwischen Wachen und Schlafen zu kommen. Ich wollte einfach um jeden Preis diese Schwelle zwischen Träumen und Wachen in meiner Stimme transportieren. Wenn ich mir das heute anhöre, muss ich lächeln, denn einerseits finde ich es rückblickend recht extrem, wie weit ich für dieses Aufnahmen gegangen bin und andererseits lächle ich, weil das Ergebnis mich einfach überzeugt.
Zudem wurde das Album über zwei Wochen lang (!), – und das ist ein Zeitraum, in dem nicht wenige Alben komplett aufgenommen beziehungsweise produziert werden –, lediglich gemischt und gemastert. Es lässt sich also erahnen, wie viel Zeit und Arbeit Markus Stock und ich in diesen Prozess fließen ließen. Und die spezielle und so unbeschreiblich enthobene Aura des Albums ist ein wunderbarer Lohn dafür, denn dieses Klanggewand passt so sehr zum Konzept des Albums.

Die Songs haben keine Namen, sondern nur Nummern bekommen. Warum?
Dieses Album erzählt wie kein anderes DORNENREICH-Album eine Geschichte, weswegen es aus meiner Sicht nur folgerichtig ist, lediglich die einzelnen Kapitel mit römischen Ziffern zu markieren. Der antike beziehungsweise zeitlose Charme eben dieser Ziffern passt überdies äußert gut zum losgelösten, umfassenden Konzept des Albums, finde ich.

Dornenreich Eviga 2001 1.Hexenwind-SessionSchlagzeug war wieder da, euer Schlagzeuger nicht – hattet ihr Gilván damals gefragt, ob er wieder mitwirken will?
Nein, wir hatten Gilvan nicht kontaktiert. Es war sogar vielmehr so, dass ich das Schlagzeug zunächst selbst einspielte, weil das Schlagzeugspiel eine meiner großen geheimen Leidenschaften ist, die man, weiß man es erst, auch meinem Gitarrenspiel anhört, das nicht wenig perkussiv und sehr stark und detailliert rhythmisiert ist (Stichwort:
In Luft geritzt). Es gibt auch tatsächlich noch einen Rohmix mancher Stücke, auf denen ich am Schlagzeug zu hören bin. Das Ergebnis stellte mich allerdings nicht zufrieden. Deshalb engagierten wir einen professionellen Schlagzeuger, mit dem wir schließlich die Drums für Hexenwind und Durch den Traum aufnahmen.

Neu ins Lineup kam damals ein Geiger, Inve. Woher kanntet ihr euch?
Er hatte ja bereits im Jahr 2000 die Geigen-Parts für Her von welken Nächten aufgenommen. Von daher kannten wir uns, hatten uns in den Folgejahren jedoch wieder völlig aus den Augen verloren. Erst im März 2006 liefen wir uns bei einem Konzert wieder über den Weg und da ich zu diesem Zeitpunkt auch gerade auf der Suche nach einem Session-Geiger war, mit dem ich einen Akustik-Auftritt im Rahmen der Prophecy Konzertnacht 2006 geben konnte, vereinbarten wir eine Probe. Und es wurde sehr schnell klar, dass wir menschlich wie musikalisch harmonierten und das weit mehr möglich war als das Einstudieren einiger älterer DORNENREICH-Stücke für einen besonderen Konzertabend. Gerade für mich fühlte es sich großartig an, endlich wieder mit einem anderen Musiker zusammenzuarbeiten und zusammenzuspielen, was für Inve, der ja ein professioneller Geiger ist, nichts weiter Besonderes war. Jedoch war wohl auch ihm klar, dass wir beide etwas Besonderes teilten und uns auch auf eine spezielle Weise ergänzten.

DORNENREICH wurden wenig später zum Duo aus dir und Inve. Wann war dir klar: Das kann funktionieren, das probieren wir aus?
Wenn ich mich recht erinnere, testeten wir schon während der ersten Probe einige Ideen, die ich zwischen 2005 und 2006 auf der Gitarre ausgearbeitet hatte. Konkret waren das die Gerüste der Stücke
Drang, Meer und Des Meeres Atmen, die bereits damals, im Frühjahr 2006, existierten. Mir persönlich war also im Grunde von Anfang klar, dass das der Beginn einer langen Zusammenarbeit und Freundschaft werden würde. Und, ja, tatsächlich war die (Wieder-)Begegnung mit Inve die Wiedergeburt von DORNENREICH als Band.
Nach den ersten gemeinsamen Konzerten im Herbst und Winter 2006, die für mich die ersten Konzerte nach fast fünf Jahren Bühnenabstinenz waren und bei denen wir wertvolle Erfahrungen und viel euphorische Resonanz erfahren hatten, wurde der Musiker Thomas Riesner schlussendlich offiziell zum DORNENREICH-Mitglied Inve.

In+Luft+geritzt+dornenreich_in_luft_geritztDas Resultat war „In Luft geritzt“, eure rein akustische Phase begann – und damit auch ein komplett neues Live-Konzept. Hattest du Zweifel, ob die Fans mitspielen?
Zu diesem Zeitpunkt dachte ich nicht wirklich eingehend darüber nach, nein. Es fühlte sich schlicht so echt, stark und richtig an, akustische Musik zu spielen, die alles Wesentliche in sich trägt, die also weit mehr ist als besinnlich-beschauliches Gitarrengezupfe mit einer lieblichen Geige, sondern in unserem Fall eben auch sehr viel Kraft und emotionale Wucht ausstrahlt und lebendige Dynamik zelebriert. Die akustische Gitarre war ja überdies bereits zu Mein Flügelschlag-Zeiten ein wesentlicher Bestandteil meines Ausdrucks gewesen und es war schon immer mein Traum gewesen, akustische Musik mit pulsierender Leidenschaftlichkeit und tiefem Geheimnis, mit Schönheit, Poesie und Drama, mit entwaffnender Nacktheit und Eindringlichkeit entstehen zu lassen.
Akustische Musik ist für mich die Quelle jedes musikalischen Ausdrucks – und in überzüchteten, entfremdeten, technikbesessenen Zeiten wie diesen ist die Besinnung auf diese Klangquelle zudem ein ganz klares Bekenntnis zu einer ursprungsnahen Lebensbasis.

Mit der Gitarre-Gesang-Geige-Konstellation war eure Musik nicht mehr auf ein Metal-Publikum zugeschnitten. War eine Veränderung in der Zusammensetzung eures Publikums erkennbar?
Nicht in dem Ausmaß, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Und damit hat unsere Hörerschaft auch unter Beweis gestellt, wie bewusst und tief sie DORNENREICH begegnet – und wie sehr es auch ihr um die Essenz DORNENREICHs geht, das pulsierende Leben, die geteilte Leidenschaftlichkeit, die Präsenz von Wesentlichem. Es macht mich glücklich, dass wir so ein Publikum anziehen und es ist zum Beispiel auch immer wieder grandios, wenn zwei Generationen zu unseren Konzerten kommen, also etwa Jugendliche mit ihren Eltern oder auch junge Eltern mit ihren Kindern.

Die Texte wurden mit diesem Album noch eine Stufe abstrakter: Mal bist du Jagd, mal bin ich Wiege. Wie bist du das Dichten angegangen und was hat dich zu dieser puristischen, kurz gehaltenen Ausdrucksform inspiriert?
Das Bloße, Direkte, das einer akustischen Instrumentierung eignet, fand auch Eingang in die Texte, die in meinem Fall ja meist so entstehen, dass ich mich zunächst in eine große Stille begebe und mir zwischendurch dann immer wieder unsere Musik anhöre, und die Texte schließlich entlang der Bilder, Gefühle, Gesten und Gedanken verfasse, die bereits die Musik selbst kommuniziert. Und ich habe die Sprache ja schon früher immer wieder als Mittel genutzt, um vermöge ihrer Hilfe über sie hinauszugelangen (vgl. Hexenwind etwa: Das Gefühl, dem kein Wort folgen kann). Im Rahmen von In Luft geritzt habe ich dann alles systematisch beziehungsweise sprachsystemisch noch weiter herunter gebrochen, mitunter herausgeschält aus Syntax beziehungsweise Grammatik, verdichtet in knappen Konstruktionen ausgeprägter Bildhaftigkeit und leuchtender Symbolik, wodurch das Album lyrisch so eindringlich wurde, so eindringlich, wie es musikalisch in Luft geritzt ist.

>> Hier geht es weiter zu Teil 3 …

Dornenreich 20 Jahre Rückblick

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert