Interview mit Philipp Schulte von Century Media Records

Seit 1988 prägt CENTURY MEDIA RECORDS die internationale Metal-Szene. Allerdings nicht mehr im Alleingang: 2015 verkaufte Labelgründer Robert Kampf das Dortmunder Label an Sony Music. Philipp Schulte, seit 2001 bei CENTURY MEDIA und seit 2018 Director des Labels, über die Veränderungen, die es mit sich bringt, wenn ein Major die Firma übernimmt – und warum man sich dabei manchmal besser hinterher entschuldigt, als vorher um Erlaubnis zu fragen.

CENTURY MEDIA wurde 1988 von Robert Kampf gegründet. Ist heute noch bekannt, wieso er sich für diesen Namen entschieden hat, was der Gedanke dahinter war?
Soweit ich weiß, wollte Robert damals einen Labelnamen haben, der nicht allzu viele Rückschlüsse auf die Musik zulässt. Viele Labelnamen geben die Marschrichtung ja sehr eindeutig vor. Das ist bei CENTURY MEDIA RECORDS nicht der Fall. Trotdem sehe ich CENTURY MEDIA RECORDS ganz klar als ein Label für Metal, Hardcore und Rock. Und das deckt sich auch mit der Außenwahrnehmung.

Wie fing das an, was war die erste Band, die CENTURY MEDIA unter Vertrag genommen hat?
Auch das ist eine Story aus zweiter Hand, aber ich denke, das kann ich trotzdem ganz gut erklären: Robert hatte damals seine Band Despair und suchte für sie einen Vertrieb. Also sprach er Manfred Schütz an, seinerzeit Chef von SPV, dem größten Indie-Vertrieb Deutschlands, ob SPV das Despair-Debüt-Album „History Of Hate“ vertreiben würden. Robert kann sehr überzeugend sein, es hat also geklappt. Und dann ging alles ziemlich schnell: Mit Morgoth war die hoffnungsvollste Death-Metal-Band aus Deutschland am Start. Die erste Morgoth-EP „Resurrection Absurd“ lief sehr gut. Die rechte Zeit, der rechte Ort. Dann kamen Unleashed, Grave, Iced Earth, Demolition Hammer und mit Tiamat, Sentenced, Moonspell, Samael und The Gathering kamen dann weitere Acts hinzu, die das Label in wenigen Jahren weit nach vorne brachten.

Philipp Schulte © privat

Was war für den Erfolg von CENTURY MEDIA aus heutiger Sicht das wohl wichtigste Signing?
Meiner Meinung nach waren das Tiamat. Die haben alles geändert. „The Astral Sleep“ hatte keine Sunlight-Produktion und war musikalisch eh sehr weit weg von den anderen Stockholmer Bands, die Anfang der 1990er so erfolgreich waren. „Clouds“ ging noch etwas weiter, ließ sich noch schwerer einordnen. Das war kein Death Metal mehr, sondern irgendwas anderes. Und mit „Wildhoney“ kam dann der internationale Erfolg. Das Album ist bis heute eines der erfolgreichsten Releases des Labels. Andere, ähnlich bedeutende Signings waren Lacuna Coil, Moonspell, ganz klar Iced Earth und dann später Acts wie Shadows Fall, In This Moment und natürlich Arch Enemy. Ich hab‘ bestimmt wen vergessen.

Philipp Schulte mit Ice-T (Body Count) © privat

Gab es einen konkreten Höhepunkt für CENTURY MEDIA, an den du dich immer gerne erinnerst – etwa die Vertragsunterzeichung einer bestimmten Band?
Da gibt es sicherlich viele Momente. Der Einstieg auf die #1 von In Flames war etwas Besonderes, da es unsere erste Nummer eins in den deutschen Charts und auch die bisher höchste Platzierung für die Band war. Es sind aber oft die kleinere Erfolge, die mich mehr erreichen. Wenn zum Beispiel eine junge Band mehr und mehr Erfolg hat oder man eine vermeintlich abgeschriebene Band wieder auf Kurs bekommt. Aber klar, ich müsste lügen, würde ich sagen, dass mir schöne Charterfolge wie zuletzt bei Heaven Shall Burn, Body Count und Demons & Wizards nicht wichtig wären.

Gab es auch Tiefpunkte, Momente, in denen du an der Zukunft von CENTURY MEDIA gezweifelt hast?
Es gab eine Zeit, kurz nachdem ich angefangen hatte – das war Anfang 2001 – als die Kollegen aus den USA viele neue Bands unter Vertrag nahmen, für die es in Europa damals noch keinen Markt hab. Ich erinnere mich an einen Monat, April muss es gewesen sein, in dem Alben von God Forbid, Haste und Candiria veröffentlicht wurden und niemand bei uns im Dortmunder Büro wusste so recht, warum. Dass Metalcore kurze Zeit später der heiße Scheiß sein sollte, ahnte damals noch niemand. Auch wenn viele Bands in den kommenden Jahren auch in Europa große Erfolge feiern sollten, mussten wir uns damals ziemlich abmühen, die in den USA so erfolgreichen Alben von Shadows Fall & Co. auch in Europa zu verkaufen. Ich gestehe, dass ich damals oft gedacht habe, „was soll das?“. Das war aber auch die Zeit der illegalen Downloads und CD-R-Brennerei. Damals ging vieles den Bach runter. Die glorreiche Zeit, als noch jedes Album gute Stückzahlen verkauft hat, war vorbei. Viele dachten, dass es auch mit dem Label den Bach runtergeht. Rückblickend betrachtet war es wohl weniger schlimm, als es aussah. Krisen kommen und gehen. Man wird zum Glück gelassener. Vielleicht kommt das mit dem Alter oder einfach mit der Erkenntnis, dass sich Dinge eben ändern – ob man das nun will oder nicht.

Kerngeschäft eines Labels ist der Verkauf von Musik. Ist diese Aussage 2020 noch korrekt?
Ja. Damit verdienen wir unser Geld. Das ist es, was wir machen. Dazu kommt allerdings, dass wir, wie andere Labels auch, Künstler unter Vertrag nehmen und aufbauen. Vorher wird das mit dem Verkauf nichts.

2014 ist Miteigentümer Oliver Witthöft gestorben, 2015 hat Robert Kampf CENTURY MEDIA an Sony Music verkauft. Wie viel von ihrer „DNA“ steckt heute, fünf Jahre später, noch in CENTURY MEDIA?
Noch sehr viel. Oliver war das Gehirn, Robert das Herz. So hab‘ ich das immer gesehen. Der Tod von Oliver Withöft hat vieles geändert. Das war ein feiner Mann, wenn auch mitunter nicht gerade umgänglich. Robert und Oliver waren wie Feuer und Wasser. Oder Feuer und Benzin. Das konnte ordentlich krachen, war aber auch oft sehr ertragreich. Beide zusammen waren ein wildes Team. Das Feuer, das Robert oft mitgebracht hat, haben immer noch viele von uns. Ich bin seit 19 Jahren bei dem Label, aber nicht wenige Kollegen sind noch länger da. Bisher konnte das niemand auseinanderreißen. Es weht immer noch dieser ungestüme Indie-Geist durch die Flure und auch wenn wir Teil eines Major-Labels sind, ist das nie weniger geworden. Und die alten Recken haben das auch auf die jüngeren Kollegen übertragen. Ich kann mir kein besseres Team vorstellen als das unsere.

Nochmal etwas konkreter: Was ist gleich geblieben, was hat sich geändert, seit das Label zum Sony-Konzern gehört?
Vieles hat sich verändert, vieles ist gleichgeblieben. Es hat etwa eineinhalb Jahre gedauert, bis sich die Wogen so weit geglättet hatten, dass man langsam Vertrauen in das neue Konstrukt bekam. Das ist nun bald fünf Jahre her. Ich denke, wir haben das alle zusammen, CM und InsideOut und Sony, wirklich gut hingekriegt. Eine harte Prüfung war, in die neuen Strukturen reinzuwachsen. Punk-Rock-Entscheidungen und kurzer Dienstweg oder „einfach machen“ geht in so einer großen Firma nicht mehr so gut. Außerdem gibt es bei Sony gefühlt 50 verschiedene Systeme, in die man sich hineinarbeiten muss. Da wirst du verrückt! Wir haben irgendwann angefangen, uns zum Spaß eigene Systeme auszudenken – irgendwelche wirren Buchstabenkombinationen. Albern, ich weiß … aber das hat manch einen (mich zum Beispiel) echt an den Rand des Nervenzusammenbruchs getrieben. Ich übertreibe hier, damit deutlich wird, dass man von „alles geht irgendwie“ zu „alles geht, wenn du das System kennst“ einen langen Weg gehen muss. Wir haben auch ein Credo bei uns: “Don’t ask for approval, ask for forgiveness“. Das war ein weiser Rat eines Sony-Kollegen, an den wir uns sklavisch halten.

Markus Staiger, Gründer von Nuclear Blast Records, hat Robert Kampf damals geholfen, CENTURY MEDIA aus der Taufe zu heben. Nun hat auch er sein Label an einen großen Medienkonzern verkauft. Ist das in der heutigen Zeit das unabwendbare Schicksal eines Labels mit Marktwert, wenn der Gründer aufhört?
Als Robert damals verkündete, dass er das Label verkauft hat, waren viele von uns am Ende. Ich dachte: Na toll, jetzt passiert das, was mit Roadrunner, Noise, Gun und so weiter passiert ist – das Label wird geschluckt und auf das Nötigste reduziert. Und dann ist es ganz anders gekommen: Wir haben neue und gute Arbeitsverträge bekommen, der Standort Dortmund wurde beibehalten. Es gab keine Kündigungswelle. Mittlerweile weiß ich, dass das wirklich keine Selbstverständlichkeit ist. In der Major-Welt ist Metal etwas, womit irgendwie niemand was anfangen kann, was aber unfassbar solide verkauft und stabil ist wie kaum ein anderes Genre. Da wir die Erfahrung haben, hat man uns eben machen lassen. Ich musste bisher noch keine Band unter Vertrag nehmen, die ich eigentlich nicht machen wollte. Man redet uns nicht rein. Aber es wird schon viel Wert daraufgelegt, dass man eben nicht nur immer sein eigenes Heavy-Metal-Süppchen kocht, sondern sich auch mal neuen Impulsen öffnet. Das böse Wort „Streaming“ sei hier erwähnt. Aber um die eigentliche Frage zu beantworten: Ja, ich denke, ab einem gewissen Level muss man aus der Indie-Welt raus. Das mag unromantisch sein, entspricht aber den Tatsachen. Alle großen Acts sind bei großen bis sehr großen Labels unter Vertrag. Ab einer bestimmten Bandgröße musst du jemanden hinter dir wissen, der dir ein gutes und großes Team zur Seite stellt. Es spricht ja auch nichts dagegen, als Label mit seinen Bands zu wachsen. Eigentlich ist das doch das Ideal.

Dortmund, Heimat von CENTURY MEDIA, ist nach wie vor Hauptstandort – stand das nach dem Verkauf nie in Frage?
Diese Frage breitet mir tatsächlich Bauchschmerzen. Denn Tatsache ist, dass die Hälfte der Dortmunder Büros im Sommer/Herbst 2020 in das gerade im Bau befindliche neue Sony-Büro in Berlin-Schöneberg umziehen wird. Das fühlt sich komisch an und es birgt durchaus Gefahren. Wir wissen das alle schon lange, sodass jeder Zeit hatte, sich zu überlegen, ob er mitgeht oder nicht. Von dem Umzug sind auch viele Sony-Kollegen in München betroffen. Das ist wirklich ein harter Einschnitt. Wenn ich aber eines in all den Jahren gelernt habe: Der Wechsel kommt immer. Irgendwann. Und du hältst ihn nicht auf. Ich sehe diesen Wechsel – wie so viele andere, die das Label in alle den Jahren durchlaufen haben – erst einmal als eine positive Veränderung. Und tatsächlich freue ich mich auf Berlin. Endlich Großstadt! Endlich Ginger Shots!

Philipp Schulte mit Blood Incantation. © privat

Robert Kampf hat sich mit CENTURY MEDIA bereits früh gegen den damals angesagten Heavy Metal und für extremere Spielarten entschieden. Bis heute ist sich CENTURY MEDIA dieser Linie treu geblieben. Musste das gegenüber Sony auch mal verteidigt werden oder läuft das Geschäft mit der „harten“ Musik so gut, dass diese Strategie nie anzuzweifeln war?
Extreme Musik war immer wichtig für das Label. Death Metal ist ja quasi das Fundament. Das muss so bleiben, daran wird sich nichts ändern. CENTURY MEDIA stand aber auch immer für Hardcore, Gothic Metal, Metalcore und viele andere Genres. Mal hat das eine Genre mehr Potenzial, mal das andere. Die Mischung macht’s! Und da wird uns auch nicht reingeredet. Es wird gewünscht, dass wir Bands unter Vertrag nehmen, die Streaming-Potential haben. Das ist auch nur fair, denn es gibt eben auch die jungen Musikfans, die mehr Zeit auf Social Media verbringen als vor der heimischen Anlage. Und die kaufen eben keine CDs, sondern streamen ausschließlich. Harte Musik läuft aber unvermindert gut – und zwar etablierte Acts wie At The Gates oder Watain wie auch junge Bands wie Blood Incantation oder Vitriol. Dass weniger extreme Bands aber in der Regel eine breitere Masse ansprechen, ist kein Geheimnis.

Wie siehst du generell die Zukunft der physischen Tonträgerindustrie, welche Änderungen im Geschäftsmodell sind aus deiner Sicht auf lange Sicht unerlässlich?
Die Metal-Szene ist sehr loyal. Metal-Fans suchen sich ihre Bands aus und wollen sie unterstützen. Das ist eine ganz wunderbare Sache, denn wer bereits die gesamte Diskographie von Arch Enemy im Regal stehen hat, der wird sich wahrscheinlich auch das neue Album kaufen. Unsere Verkäufe von CDs und LPs sind immer noch sehr solide. Die CD hat vielleicht etwas an Attraktivität verloren, aber da wir uns viel Mühe mit unseren Produkten geben, bekommt man meistens auch was für relativ wenig Geld geboten. Neben der Musik gibt es eben auch eine schöne Verpackung. Bei Vinyl ist es noch viel extremer. Da ist die Nachfrage so hoch, dass viele Presswerke über Monate ausgebucht sind. Leider hat das überall zur Folge, dass die Preise steigen. Früher hat man sich eine LP gekauft, um die Musik zu hören. Heute kaufen viele Leute sich eine LP, um die Band zu unterstützen, um ein echtes Produkt in der Hand zu halten und für das Gefühl, Teil von etwas zu sein. Musik ist zwar an sich nicht physisch, aber ein Künstler schon. Den möchte man auch live auf der Bühne sehen oder mal ein Autogramm bekommen. Und die Musik des Künstlers bekommt dann einen anderen Anstrich. Ein Album auf LP im Regal stehen zu haben unterstreicht deine Bindung zu etwas einfach mehr, als Musik zu streamen. Eine Musiksammlung – oder deren Abwesenheit – sagt ja auch etwas über die Persönlichkeit aus. Völlig wertfrei. Das wird bei echten Musikfans so bleiben. Von daher wird es auch weiterhin eine Nachfrage nach dem physischem Produkt geben. Und wenn der eine Markt sich etwas zurückentwickelt, dann entwickelt sich der andere eben nach vorne.

Philipp Schulte © privat

Wie stehst du denn zum „bösen“ Streaming – Fluch oder Segen?
Irgendwann konnte ich es echt nicht mehr hören. Streaming hier, Streaming da. Dabei machen wir einen Großteil des Umsatzes immer noch mit physischen Produkt. At The Gates sind nicht Apache 207 und Heaven Shall Burn nicht Mark Forster. Und jetzt? Gerade ist ja Corona. Und siehe da: Auf einmal findet sich auch der 50-jährige Angel-Witch-Hörer auf einer Streaming-Plattform wieder. Ich will hier aber weder Partei für das eine noch das andere Format ergreifen. Physisch und digital sind keine Feinde. Das kann und wird ganz hervorragend erst nebeneinander und dann miteinander existieren. Aber der Wandel macht eben auch vor den loyalsten Fans nicht Halt. Auch in einer sehr fanbasierten Szene wie Metal, Indie, Rock, Klassik, Jazz und so weiter schwenken die Leute auf Streaming um. Und warum auch nicht? Man kann darüber denken, wie man will. Fakt ist, es ist praktisch und die Qualität ist mittlerweile sehr gut. Gerade die jüngeren Fans wachsen nun damit auf.

Positive Folge des Streaming ist, dass es zum Ende der Internetpiraterie geführt hat. Laut Wikipedia hat CENTURY MEDIA mal etwa 7000 Benutzer von Filesharing-Portalen verklagt, die sich Iced Earths „Dystopia“ und Lacuna Coils „Dark Adrenaline“ illegal heruntergeladen hatten. Damit hat sich das Label seinerzeit nicht viele Freunde gemacht. Selbst die Bands waren empört – und hat sich die Aktion aus heutiger Sicht „gelohnt“?
Ich gestehe, dass ich mich an diese Zahl nicht erinnere. Wirklich 7000? Schwer vorzustellen. Im finanziellen Sinne gelohnt hat sich das bestimmt nicht. Ich habe hier einen ganz klaren Standpunkt: Wer mit dem Feuer spielt, der kann sich eben auch verbrennen. CENTURY MEDIA ist ein Label, und ich sehe es im Verantwortungsbereich eines Labels, Musik zu schützen. Musik ist keine Freeware. Das war sie nie und sie sollte es auch niemals sein. Musik kostenlos herunterzuladen ist nun mal illegal. Jeder wusste das. Allen war es egal. Dass es ein langer und kostenintensiver Prozess ist, ein Album zu veröffentlichen, wird dabei völlig außer Acht gelassen. Und da geht es nun mal auch nicht nur um die Bands, sondern auch um all die anderen Leute, die für eine Band oder an einem Album arbeiten und dafür auch bezahlt werden wollen und sollen. Dass die Verfolgung solcher Delikte den Erfolg eines Albums schmälern soll, halte ich schlichtweg für falsch. Wir hatten mit keinem einzigen Album weniger Erfolg, nur weil man gegen Musikpiraterie vorgegangen ist. Auch das Argument, dass man ja früher auch LPs oder CDs auf Tapes überspielt hat, zählt nicht. Schon mal gemacht? Dazu braucht man erstmal die LP, die man ja nicht hat, weil man kein Geld hat. Wenn man sie sich bei irgendwem leihen kann, braucht man auch noch ein leeres Tape und 45 Minuten Zeit für die Überspielung. Das nimmt man nur auf sich, wenn man ein Album wirklich haben will, es sich aber einfach nicht leisten kann. Nun ja, das geht hier vielleicht etwas zu weit zurück. Man kann nicht Äpfel mit Birnen vergleichen und 1987 war nicht so wie 2005.

Vinylsammler Philipp Schulte © privat

Was ist für ein Label wie CENTURY MEDIA heute wichtiger – große Namen oder die richtigen Newcomer?
Wir brauchen große Namen, da wir als Label eine gewisse Größe haben. Damit geht auch ein bestimmter Ruf einher, dem ich mit CENTURY MEDIA entsprechen möchte. Wir müssen kein Label sein, das nur einer Szene angehört. Der Roster von CENTURY MEDIA war seit jeher sehr weit gefächert. Das muss auch so sein, denn nicht jede Band verkauft in allen Ländern gleich gut. Wir agieren aber weltweit. Wir brauchen große Bands, weil sie viel Umsatz machen. Große Bands sind sehr teuer und diese Bands liegen nicht auf der Straße rum und warten darauf, aufgehoben zu werden. Die richtigen Newcomer zu finden ist das Sahnehäubchen. Das klappt nicht immer, aber wenn, dann ist es umso schöner.

Unbekannte Acts sind natürlich immer ein Risiko und selten schnell rentabel. Was muss eine Band heute mitbringen, um für dich trotzdem interessant zu sein?
Was mich an der Metal-Szene oft stört, ist das Ewiggestrige, das Verbohrte und das manchmal leider auch sehr, sehr Konservative. Ich fühle mich leider immer noch oft alleine auf diesem Posten, dass man eben nicht vorankommt, wenn man immer nur am Alten festhält. Es gibt diesen Spruch, dass Tradition nicht die Anbetung der Asche, sondern das Erhalten der Flamme ist. Was ich damit sagen möchte: Die Szene braucht neue Bands. Spannende Bands, die Musik machen, bei denen Leute wie ich (Mitte 40 und darüber hinaus) sagen, dass das schrecklich ist. Bands, bei denen man aufhorcht. Nicht, weil sie so gut den Sound vom ersten Black-Sabbath-Album reproduzieren können, sondern weil sie sich etwas Neues ausdenken. Darum ging es doch immer! Ich denke, das ist es, was eine Szene und eine Musikrichtung lebendig hält.
Ich rate jeder jungen Band: Nimm die alten Riffs und mach daraus was Neues – aber nimm nicht die alten Riffs und mach daraus was neues Altes. Was schon da war, ist auch noch da. Du erreichst keine junge Fanschicht, wenn du denen ausschließlich das vorsetzt, was Papa schon in anderer Form im Regal stehen hat. Fairerweise muss man sagen, dass es Metal eben nun einfach auch schon lange gibt. Da wurde schon sehr viel gesagt und es ist sehr schwer, noch extremer zu werden. Aber möglich ist das schon. Eine gute Emotion hervorzurufen ist nicht leicht. Noch schwerer ist es, eine Szene mitzugestalten und bestenfalls wirklich etwas ins Rollen zu bringen. Es ist heute anders als damals. Rock, Thrash Metal, Glam Rock, Death Metal, Grunge, Black Metal, Nu Metal, Metalcore … das ließ sich alles zeitlich irgendwie eingrenzen und entsprach mal mehr, mal weniger einem gewissen Zeitgeist. Aktuell sehe ich das nicht. Es gibt so viele kleine Unterszenen, man kann schnell den Überblick verlieren. Vielleicht werden bestimmte Entwicklungen aber auch erst in den kommenden Jahren deutlich. Aus A&R-Perspektive kann ich sagen, dass ich gerne überrascht werde.

Vielen Dank für das Interview! Zum Schluss ein kurzes Brainstorming:
Deine Lieblingsband:
Sorry, nur eine geht echt nicht … Queensryche, Kreator, W.A.S.P., Death, Tiamat
Kassetten:  Braucht kein Mensch. Irgendwann ist auch mal gut mit Nostalgie.
Vinyl: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Ich liebe Vinyl und bin begeisterter Sammler.
CD: Super. Muss aber schön aufgemacht sein.
Streaming: Leider geil.
CENTURY MEDIA in zehn Jahren: Ein erfolgreiches Label, eine renommierte Marke, Heimat der besten Bands und Teil einer vitalen Szene, an deren Entwicklung wir dann seit 42 Jahren einen beachtlichen Anteil haben.

Danke nochmals für deine Zeit und Antworten! Die letzten Worte gehören dir:
Vielen Dank für das Interview, Moritz – und danke, dass du so geduldig auf meine Antworten gewartet hast. Um es mit den Worten von Krisiun hier abzuschließen: „Metal will never fucking die!“

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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