Interview mit Oliver Nikolas Schmid von Lacrimas Profundere

20 Jahre, 10 Alben, da kann man schon mal selbstbewusst daherkommen. Auch wenn Oliver Nikolas Schmid nicht wirklich sagen kann, warum der große Durchbruch trotz einer Vielzahl gutklassiger Alben bislang ausblieb, hat er ausführliche Antworten auf unsere Fragen parat. So erfahren wir, warum „Antiadore“ der perfekte Soundtrack ist, um eine Beziehung zu beenden, was Sockenwechsel mit KISS zu haben und warum er stöhnende Frauen in gewissen Situationen nicht so gerne mag.

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Hi, wie geht es Dir? Vielen Dank erst einmal, dass Du Dir die Zeit für das Interview nimmst.
Gerne, immer doch!

Mit 20 Jahren Historie und zehn Alben im Gepäck kann man euch wohl mit Fug und Recht als eine der dienstältesten deutschen Düsterkapellen bezeichnen. Wie hast Du die Entwicklung der Szene in all den Jahren miterlebt?
Die Szene ist immer schon ganz lebendig gewesen, nur war damals der Gothic Rock, den wir spielen, eben noch richtig angesagt und es gab Musiksender wie VIVA Plus, die auch mal Metal im Programm hatten. Bands kommen und gehen, aber es gibt sie noch, die guten alten Festivals wie das WGT oder das Mera Luna und es ist viel Neues hinzugekommen, wie das Amphi usw.! Leider sind sehr viele typische Gothic-Rock-Bands, die mit uns begonnen haben, mittlerweile von der Bildfläche verschwunden. Gute Bands wie Charon lösen sich auf, von Entwine habe ich auch schon ewig nichts mehr gehört usw.! Aber alles kommt und geht, das ist die 20-Jahre-Regel von Dee Snider (Twisted Sister). Also: haben wir den Erfolg nicht heute, dann sicher in 2033, ich leg schon mal ein neues Konto im Ausland an, nur für den Fall, hehehe!

Nach all den Jahren hat man auf der einen Seite zwar irgendwie seinen Stil gefunden, aber es wird zunehmend schwerer, neue Impulse in der Musik unterzubringen. Wie begegnet ihr der Gefahr, euch zu wiederholen und somit langweilig für langjährige Hörer zu werden?
Mir hat noch kein langjähriger Hörer selbiges vorgeworfen und wir haben ja auch lange gebraucht, um unseren eigenen Stil zu finden, daher klingt jedes Album schon anders! Wir waren schon immer eine Band, die nicht groß darüber nachdenkt, was sie macht, sondern wir machen einfach. Ob das die Musik betrifft oder die wirrsten Angebote von Fans, die uns unbedingt mal in ihr Wohnzimmer holen wollen! Es ist am Ende eh die Idee selbst, die dich leitet, also wir machen uns da keine Sorgen. Was uns gefällt, kommt auf die Platte und ist gut, ob es nun mehr Metal ist oder mehr Gothic oder mehr sonst was, für uns gibt es keine Schubladen, sondern nur gut oder schlecht! Wenn du eines meiner Bandmitglieder fragen würdest, wie denn Lacrimas klingen, würdest du von jedem eine andere Antwort erhalten, weil auch jeder ein anderes musikalisches Umfeld hat und das ist es, was uns besonders macht und was ich so an der Band mag!

Euer Line-Up hat sich immer wieder mal durchmischt, war dies (vielleicht unbewusst) notwendig, um immer frisch und inspiriert zu bleiben? Wäre umgekehrt ein stabiles Line-Up nicht aber auch von Vorteil?
Oh, mein Lieblingsthema ;) Nein hier sollte man nicht alles glauben was auf Wikipedia steht (da hab ich doch gar nicht nachgesehen…Anm. d. Red.)! Klar, es gab Wechsel und jeder Wechsel war irgendwie doof, weil man ja nicht nur einen guten Musiker, sondern auch einen Freund „verliert“, weil man sich zwangsläufig nicht mehr so oft sieht! Neue Musiker bringen natürlich ihre Art zu spielen mit rein, aber mir wäre es auch sehr lieb, wenn ich bei einem Gig im nächsten Jahr nicht schon bei der Flugbuchung Angst haben müsste, dass wir ein Ticket falsch ausgestellt haben, weil derjenige bis dahin schon nicht mehr in der Band ist, hahaha! Wenn ich es mir aussuchen dürfte wäre mir also ein stabiles Line-Up wesentlich lieber als viele Wechsel!

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Kommen wir mal zum aktuellen Release „Antiadore“. Ich persönlich finde das Album immer dann richtig gut, wenn ihr etwas Tempo macht. Wie siehst du das? Diese Songs sind doch sicher für Konzerte auch die Favoriten, oder?
Danke, ja, wir haben das Album versucht so zu schreiben, dass es live einfach rockt und das ist uns, wie ich finde von den Songs und vom Sound, danke an dieser Stelle an Corni (End of Green) und Tue (Heaven Shall Burn, Moonspell, The Haunted), doch ganz gut gelungen!

Die Länge der Songs ist, um es mal überspitzt zu formulieren, fast auf Radiolänge zugeschnitten. Wie viel Absicht steckt beim Songwriting dahinter?
Hahaha, manchmal ist weniger eben mehr! Wenn in einem Song in 2.40 min alles gesagt ist, ist es eben so. Wir benötigen kein Frauengestöhne (auf einem Album braucht das ja auch kein Mensch…An. d. Red.), Pferdegetrampel oder Geschichtenerzähler, um ein Album mit acht Songs auf 55 Minuten auszudehnen! Bei uns gibt es 12 Songs, auf dem Digipack 14, und das war’s! Radio? Sorry, da kann ich nur herzhaft lachen, nein, da machen wir uns gar keine Hoffnungen. Den einzigen kommerziellen Erfolg, den wir je hatten, war ein Song im ZDF-Montagskrimi und die Songs auf MTV in der Show von Jackass-Star Bam Margera. Das Radio hat uns noch nie unterstützt oder gar gefördert. Kein Label dieser Welt hat jemals wirklich an uns geglaubt oder etwas riskiert und mehr Kohle investiert, als sie zu 100 % auch wieder zurückbekommen. Die einzigen, die immer volles Risiko gehen, sind wir selbst.  Das war auch ein Thema, welches wir mit John Fryer diskutiert haben, welcher meinte, die Gitarren nach hinten, Gesang nach vorne „fürs Radio“, worauf wir gesagt haben: „Hä? Die spielen uns doch eh nicht!“ Spätestens bei „Antiadore“ gab es dann auch keine Kompromisse mehr, daher haben wir uns auch, wie oben erwähnt, für Tue Madsen entscheiden, welcher ja meines Wissens noch nie eine Gothic-Combo gemischt hatte, sondern nur für sein Hardcore-Zeugs berühmt ist! Wir wollten dieses Metal-Brett und jetzt haben die Radios auch endlich eine Ausrede, die ich gelten lasse, weil selbst ich würde die neuen Songs so auch nicht mehr im Mainstream-Radio spielen, haha!

Lacrimas Profundere 13-02Was sind allgemein eure Intentionen, wenn Ihr Gitarre, Bass oder Keyboard zur Hand nehmt? Überlegt man, wie die Musik für einen ordentlichen Gesang klingen muss oder hat man eventuell ein lyrisches Konzept im Hinterkopf und schreibt dementsprechend?
Wir beginnen immer erst mit der Musik und ich kann dir sagen, für dieses Album hab ich wirklich viele, also ich meine VIELE Songs geschrieben, an die 40, glaube ich! Wenn ein Song dann steht, der jedem gefällt, geht es an den Gesang. Wenn eine Linie nicht passt, wir den Song aber zu stark finden, um diesen wegzuwerfen, ändern wir die Tonart, den Groove und schicken erneut die Demos hin- und her. Das machen wir so lange, bis der Studiotermin immer näher rückt und wir merken, hey, jetzt wird’s aber wieder richtig eng!

Lässt man sich beim zehnten Album noch von anderen Bands inspirieren? Man könnte hier und da schon auf den Gedanken kommen, dass der finnische Gothic-Rock bei dem einen oder anderen Lied Pate stand.
Eigentlich weniger, Tony und ich sind ja die Metalheads in der Band und lieben diesen 80er-Jahre-Metal von WASP über Iron Maiden zu Skid Row oder Motley Crue! Wir versuchen halt, diese Roots mit unseren typischen melancholischen Melodien zu verbinden und wenn ich nicht in jedem zweiten Review über uns HIM oder The 69 Eyes lesen muss, haben wir doch schon was richtig gemacht!

Eure textlichen Themen sind durchaus sehr typisch für Gothic Rock / Metal. Kannst Du ein paar Worte zu den Inhalten des neuen Albums verlieren?
Der Titel „Antiadore“ heißt ja so viel wie die Nichtvergötterung, also nicht mehr lieben zu müssen. Wir dachten uns, wir gehen mal einen anderen Weg, als die typischen Gothic-Kapellen da draußen und schmachten nicht der verlorenen Liebe hinterher, sondern freuen uns, jetzt endlich frei zu sein und nicht mehr lieben zu müssen. Viele verrennen sich in ihre Beziehungen und merken gar nicht, dass aus Liebe schon längst Gewohnheit geworden ist. Aber Gewohnheit ist eben keine Liebe, auch wenn es sich manchmal so anfühlt, also habt die Eier und gesteht euch das ein und macht Schluss! Dieses Album ist also sozusagen der perfekte Ratgeber, um seine Beziehung endlich zu beenden, hahaha!

Hast du selber eine Ahnung, warum ihr trotz qualitativ hochwertiger Alben den ganz großen Durchbruch irgendwie nie geschafft habt?
Hahaha, das ist eine Frage, die ich mir auch schon 1000-mal selber gestellt habe. Keine Ahnung, wir machen einfach ehrlich unser Ding, treffen uns nach den Gigs mit unseren Fans, plaudern und versuchen, jede Mail auch wirklich persönlich zu beantworten. Wir haben nie etwas geplant, gefälscht oder kalkuliert, weil wir machen das nur aus „Bock“ auf die Musik und die Bühne. Wenn du uns abseits eines Gigs triffst, siehst du, dass wir auch privat so rumlaufen. Wir verstellen uns nicht oder schminken uns stundenlang vor dem Auftritt und verkleiden uns wie KISS! Das Einzige, was ich vor einem Gig mache, ist die Socken zu wechseln, hahaha!

Ich denke nicht, dass ihr neidisch auf erfolgreichere Band seid, aber fragt man sich nicht trotzdem manchmal, was diese Truppen anders gemacht haben als man selbst?
Bei manchen schon! Es ist ja, wie ich finde, so, dass man mit sich und seiner Musik erstmal selbst zufrieden sein muss, bevor man andere damit infiziert und hey, wir sind verdammt zufrieden mit uns, das kann ich dir sagen! Hahaha! Wir verbiegen uns nicht und bevor ich bei manchen peinlichen Geschichten mitmache, nur um erfolgreicher zu sein, bleib ich lieber der ewige „Geheimtipp“ für die Leute, die auf der Suche nach dem Mittelding aus Paradise Lost und Type o Negative sind!

So regelmäßig, wie Ihr veröffentlicht, kann man ja fast davon ausgehen, dass Ihr schon neue Schandtaten plant, oder?
Nein, das neue Album ist nun doch noch zu frisch! Wir machen uns auch nicht verrückt, wenn es jetzt wieder drei Jahre dauert bis zum nächsten Album! Du kannst nichts erzwingen und wir kommen erst wieder, wenn wir „Antiadore“ toppen können, sprich wir Songs haben, die die Energie haben, dass wir die unser Leben lang spielen wollen, dich zum mitwippen bewegen und manchmal die Fäuste in die Luft zu strecken, erst dann machen wir ne neue Platte, vorher nicht!

In welcher Form werdet ihr mit dem neuen Material live aktiv sein? Geht ihr auf Tour, spielt ihr Festivals und habt ihr vielleicht schon ein paar Konzerte mit neuen Songs gespielt?
Wir haben ja gerade unsere erste Release-Tour absolviert, die uns quer durch Deutschland und nach London geführt hat! Jetzt steht unsere erste Headliner-Tour durch Finnland an, dann einige Festivals und Ende des Jahres hoffentlich eine Support-Tour!

Lacrimas Profundere 13-03

Um noch einmal auf eure langjährige Karriere zurückzukommen, welche Anekdoten sind die besonders im Gedächtnis geblieben?
Ach, da gibt es so viele, als mein Bruder, unser Ex-Sänger, in München auf einer wirklich hohen Bühne auf der Lacuna-Coil-Tour erst über mein Gitarrenkabel und dann über die Monitorbox einen Hecht in den Fotograben hingelegt hat. Ihm ist nichts Schlimmes passiert außer einem Schwindeltrauma und er hat sich im wahrsten Sinne des Wortes den „Arsch aufgerissen“, daher können wir heute auch drüber lachen. Natürlich unser Gig in Moskau, wo wir ganz knapp und nur durch die Hilfe eines Fans, welcher durch Zufall bei der Lufthansa gearbeitet hat, unsern Flug nach Haue bekommen haben, Südamerika, wo die Leute, die beim Slayer-Gig gegenüber keine Karten mehr bekommen haben und ganz glücklich bei uns gerockt haben, Mexiko, als wir drei Tage dort waren und dann im Hotel saßen und nur weil wir nachgefragt haben, wann wir denn abgeholt werden würden, unseren Auftritt nicht verpasst hatten, die Tour mit Apocalyptica, als unser Busfahrer eine Reifenpanne hatte und mit Anhänger rückwärts auf der Autobahn nach Birmingham zum nächsten Autohof gefahren ist und 20 Minuten später die Polizei die komplette Tour canceln wollte, weil sie das Treiben gefilmt hatten. Dann der Veranstalter in Tacna (Südamerika), welcher uns sitzen ließ und mit den gesamten Einnahmen abgehauen war und der Taxifahrer verständlicherweise ohne Anzahlung nicht zum nächsten Flughafen fahren wollte, unsere erste Tour durch Mexiko mit Einschusslöchern im Nightliner oder als wir uns in Ungarn eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hatten und zum nächsten Gig nach München sage und schreibe 12 Stunden benötigt hatten, weil alle 20 Minuten ein anderer ganz dringend mal musste! Da haben wir im wahrsten Sinne des Wortes „viel Zeit verschissen“, hahaha! Ach da gibt es so viele und manchmal wirst du schon unruhig, aber that’s Rock ’n‘ Roll…

So, mit meinen Fragen wäre ich durch, aber das abschließende Wortspiel darf natürlich nicht fehlen. Deine spontanen Gedanken zu den folgenden Begriffen, bitte:

Facebook: Wie alles im Internet, Vor- und auch Nachteile
Bayern München: Mein Papa, bei jedem Spiel der Bayern muss meine Mutter den Fernsehtisch komplett abräumen, weil er alles, was darauf zu finden ist, in den Fernseher wirft, wenn die mal schlecht spielen. Somit hoffe ich für unseren Fernseher, die gewinnen, aber wenn du mich fragst, wie alle Sportler überbezahlte Superstars!
Frühling: Eine Jahreszeit, die mir lieber ist als Winter!
Syrien-Konflikt / arabischer Frühling: Die großen Politiker können nicht einsehen, wann es vorbei ist! Egal mit welchen Waffen sie kämpfen, das Volk wird am Ende gewinnen!
Metal1.info: Ein Webzine, das ich oft lese und jetzt endlich mal mit einem Interview vertreten bin, wurde auch Zeit, Leute!

So, das wäre es dann endgültig. Vielen Dank noch mal für deine Zeit und Geduld, die letzten Worte gehören Dir.
Vielen Dank für das coole Interview! An alle da draußen, die erst jetzt neugierig geworden sind, besucht unsere Facebook-Seite, checkt diese Links hier:
Teaser 1

Teaser 2

Teaser 3

Twitter oder was auch immer! Wir sind da und beantworten eure Fragen! Hoffe, man sieht sich mal bei einem Festival oder nem Gig!
Bis dahin Prost!

Publiziert am von Jan Müller

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