Interview mit Marco Heubaum von Xandria

„The Wonders Still Awaiting“ ist ein Neustart für XANDRIA, die erste Single hieß auch nicht zufällig „Reborn“: Seit dem 2017er Album „Theater Of Dimensions“ ist nur noch Marco Heubaum übrig, der Rest der Band ist neu dabei. Heubaum ist als Gitarrist und Songschreiber seit Anfang an dabei und weiß daher genau, wie XANDRIA beim Neustart klingen sollen. Wir sprachen mit ihm über die Notwendigkeit des Umbruchs, die neue Sängerin Ambre Vourvahis und den Weg der Zerstörung, den die Menschheit geht.

Xandria Logo

Hallo Marco und vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Wie ergeht es dir dieser Tage?
Sehr gerne! Ich bin etwas aufgeregt, weil unser neues Album ja bald erscheint. Wir sind sehr sehr stolz darauf und glauben, dass es etwas ganz Besonderes in der Geschichte von XANDRIA ist.

XANDRIA The Wonders Still Awaiting CoverartworkAuf „The Wonders Still Awaiting“ präsentiert sich XANDRIA im komplett neuen Line-up, nur du bist noch übrig. Beginnt nun ein komplett neues Kapitel, eine Wiedergeburt für die Band? „Reborn“ als erste Singleauskopplung war sicher auch nicht zufällig gewählt.
Das ist richtig, der Titel hat natürlich genau damit zu tun. Musikalisch ist es aber eine Fortführung, natürlich auch mit so einigen Überraschungen und vielen Dingen, die es zu entdecken gibt. Mir haben einige, die das Album schon gehört haben, gesagt, dass damit XANDRIA auf einem ganz neuen Level angekommen ist. Und das Gefühl hatten wir auch irgendwie schon als wir beim Schreiben und Aufnehmen mittendrin waren.

Du bist seit Anfang an bei XANDRIA und hast schon viele Besetzungswechsel miterlebt, allerdings nie so umfassend wie diesmal. Fühlt es sich für dich persönlich jetzt wie eine neue oder runderneuerte Band an?
Ja, schon, auf jeden Fall was die Musiker angeht, also das „physische“ Umfeld meiner musikalischen Vision sozusagen. Diese allerdings kommt ja nach wie vor vor allem von mir. Aber ich brauchte einen kompletten Neustart, um diese weiterführen zu können.

XANDRIA Kill The Sun Coverartwork
XANDRIA-Debüt „Kill The Sun“ von 2003

Wie würdest du die Entwicklung und Veränderung von XANDRIA vom ersten bis zum neuen Album beschreiben und wie blickst du aus heutiger Sicht auf die Anfangstage und die ersten Veröffentlichungen zurück?
Oh, das ist lange her, und es war ein langer Weg seitdem.  Ich denke, dass es damals mit sehr einfachen Songs angefangen hat, in denen schon ebenso viel Leidenschaft steckte, denen aber die Vielschichtigkeit und Komplexität gefehlt hat, die die Songs jetzt haben. Es passiert heute einfach viel mehr in der Musik von XANDRIA. Es war natürlich ein Lernprozess – dahin, diese ganzen Einflüsse, die zwar schon lange da sind, aber auch verarbeiten zu können. Eines ist seit dem Anfang, als ich die Songs des ersten Albums als Demos aufgenommen, aber gleichgeblieben. Ich bin immer noch genauso ein musikalischer Träumer, der einfach versucht, seine Träume Realität werden zu lassen.

Wie seid ihr beim Songwriting vorgegangen? Hast du hier den Großteil übernommen, weil du weißt, wie XANDRIA zu klingen haben? Welchen kreativen Anteil haben die Neuen an den Songs?
Ich habe die komplette Musik geschrieben, und auch den Großteil der Texte, von denen aber auch einige von Ambre geschrieben sind. Wir haben uns hier viel ausgetauscht, über die Bedeutung der Texte und die Wirkung zusammen mit der Musik, zu der sie mir auch viel wertvolles Feedback gegeben hat.

„The Wonders Still Awaiting“ kommt noch bombastischer und vor allem auch härter und düsterer als bisher rüber. War das als Ausrichtung beabsichtigt? Wie kam es dazu?
Ich denke, das hat sich ganz natürlich so entwickelt. Ich hatte beim Schreiben das Gefühl, viel freier als jemals zuvor zu sein, weil ich ganz in meinem eigenen Universum sein konnte, aber auch, weil ich viele Erfahrungen gesammelt habe, die mir dabei geholfen haben. Und so habe ich denke ich noch mehr als früher gewagt, Dinge zu tun, die mir musikalisch am Herzen liegen, aber bisher nicht so zur Geltung kamen. Dazu gehören auch härtere Gitarrenriffs und eine dunklere Atmosphäre. Ich gebe dir recht, dass das Album etwas ernsthafter und vielleicht auch tiefgehender klingt.

Das Album ist äußerst vielseitig, von Power Metal über Melodic Death bis hin zu epochalen Orchestrierungen. War diese große Bandbreite im Sound von Anfang an so geplant?
Nein, ich habe einfach aus dem Bauch heraus Ideen gesammelt und Songs daraus entwickelt. Ich mag so viel unterschiedliches, sowohl im Metal als auch in anderen Stilrichtungen, wie Rock, Folklore, und vor allem natürlich Filmmusik, bei der es ebenfalls darum geht, Stimmungen mit allen möglichen verschiedenen Zutaten zu erschaffen. Und XANDRIA ist für mich die Spielwiese, auf der ich all das ausprobiere, was ich ausprobieren will. Es ist für mich spannend, verschiedene Elemente zu einem großen Ganzen zusammenzufügen und mich dabei immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen. Das ist für mich der Kern und das Wesen von XANDRIA.

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XANDRIA; © Tim Tronckoe

Die auch oberflächlich betrachtet größte Veränderung ist immer der Wechsel einer Sängerin. Wie kam es dazu, dass Ambre Vourvahis die neue Sängerin wurde? Wie kam der Kontakt zustande, warum ist sie die aktuell beste Wahl für XANDRIA?
Wir hatten vorher bereits an einem musikalischen Projekt zusammengearbeitet, gerade in der Zeit, als ich anfing, erste neue Songideen zu haben. Von daher hat sich das sogar recht natürlich ergeben. Ich fand in ihrer Stimme alles, was ich mir für neue XANDRIA-Songs wünschte. Und so haben wir dann ihren Gesang auf meinen Ideen aufgenommen und ich war begeistert.

Bei Ambre fällt vor allem direkt auf, dass sie vergleichsweise erdiger und in mittleren Tonlagen singt, Soprangesang kommt – wie beim Titeltrack – nur sporadisch zum Einsatz, stattdessen gibt es sogar einige Growls zu hören. Welchen Einfluss hat ihre anderer Gesangsstil auf die Musik im Gesamten?
Es war mir wichtig, eine Stimme zu haben, die dich emotional direkt anspricht – wohingegen klassischer Gesang eher auf Technik fokussiert ist. Und mir war diese Vielseitigkeit wichtig; dass sie zum Beispiel auch growlen kann. Ich habe immer auch Metal gehört, bei dem das fester Bestandteil ist, und beim Gastauftritt von Björn von Soilwork auf dem letzten Album ist mir aufgefallen, dass ich das eigentlich gerne öfter benutzen würde, um härteren Parts die nötige Intensität zu verleihen. Und was könnte besser sein, als wenn die Sängerin das ebenfalls beherrscht und man keinen extra Gastsänger benötigt? Sprich, es hat sich jetzt nicht unbedingt die Art, wie ich schreibe, an die neue Stimme angepasst – sondern es hat sich beides zur richtigen Zeit getroffen und verbunden.

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XANDRIA; © Tim Tronckoe

Gerade die Sängerin ist im Symphonic Metal eine wichtige Position, Ambre ist nun schon die vierte XANDRIA-Sängerin. Befürchtest du bei so vielen Wechseln mögliche Identifikationsprobleme der Fans? Oder anders: Ist das nun auch eine Möglichkeit, neue Fans zu gewinnen, die mit dem Sopran- und opernhaften Gesang von Dianne van Giersbergen weniger anfangen konnten?
Das sind eigentlich beides Gedanken, die ich als jemand, der einfach seinem Herzen folgt, wenn es um seine Musik geht, mir nicht wirklich mache – und auch gar nicht sollte.  Ich habe immer versucht, meine musikalische Vision so zu verwirklichen, wie ich sie mir vorstelle. Da ist bei XANDRIA keine Marketingstrategie oder so etwas im Spiel. Das bedeutet, dass XANDRIA für den Hörer eine Reise mit überraschenden, immer wieder neuen Ideen und Herausforderungen darstellt, genau wie für mich beim Erschaffen der Musik, aber dafür ist sie auch ehrlich und kommt von Herzen. Ich hoffe einfach, dass es da draußen genug Leute gibt, die das Wertschätzen. Denn natürlich ist es schön, von Leuten zu hören, dass unsere Musik ihnen etwas bedeutet und ihnen etwas gibt.

Wie war es, mit dem FourForMusic bzw. Sofia Session Orchestra & Choir die Chöre aufzunehmen? Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, die Chöre bringen eine enorme Breite in den Sound ein.
Ja, das finde ich auch, es ist ziemlich gigantisch geworden, was wir mit ihnen aufgenommen haben. Wir hatten noch nie so einen großen Chor, von daher war es ein großartiges Erlebnis zu sehen, wie diese fantastischen Sängerinnen und Sänger unsere Songs gesungen haben. Wir haben davon Videos auf unsere Social-Media-Seiten gepostet, damit unsere Fans auch ein bisschen an diesem Erlebnis teilhaben können.

FourForMusic haben unter anderem Musik zur Serie „His Dark Materials“ aufgenommen, die die Musik auf dem neuen Album mit inspiriert hat. Welche weiteren popkulturellen Einflüsse gibt es auf dem Album?
Ja, der erste Song auf dem Album hatte den Arbeitstitel „Dark Materials“, weil uns die Atmosphäre irgendwie and die der Serie erinnert hat. Ähnlich war es mit „Scars“, der ein wenig „James-Bond“-Flair versprüht, allerdings ohne dass dies von Anfang an beabsichtigt war. Als wir das gemerkt haben, haben wir es allerdings noch etwas verstärkt, weil es großen Spaß gemacht hat – es hat einfach eine sehr majestätische und geheimnisvolle Atmosphäre. Ich hatte sogar aus Spaß mal den berühmten 007-Gitarrenakkord an den Schluss gesetzt, ihn dann aber letztendlich doch wieder rausgenommen, weil es nicht wie eine Parodie wirken sollte.

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XANDRIA; © Tim Tronckoe

Textlich scheint es viel um die Fantasie und Träume zu gehen. Würdest du sagen, „The Wonders Still Awaiting“ hat ein übergreifendes lyrisches Thema oder stehen die Songs eher für sich selbst?
Es zieht sich durch einige der Songs ein roter Faden, der sich auch im Titel widerspiegelt, der deshalb bewusst gewählt ist. Es ist allerdings kein Konzeptalbum, es gibt auch andere, sehr persönliche Themen, die in den Texten verarbeitet worden sind. Der Titel und die angesprochenen Songs drehen sich allerdings nicht um Fantasie und Träume, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie du es wahrscheinlich vermutet hast. Es geht um die Situation unserer heutigen Welt: Wir sind mehr denn je nahe dran, unsere Umwelt zu zerstören und auch unser zivilisatorischer Fortschritt hin zu einer Welt, in der die Menschenrechte gewahrt sind und Menschen in einer freien, offenen und pluralistischen Gesellschaft so leben können, wie sie das für richtig halten, bei gleichzeitiger Toleranz gegenüber anderen, scheint gefährdet zu sein. Denn rechtsextreme, demokratiefeindliche Kräfte machen sich die niederen Instinkte der Menschen für ihren Machtgewinn zunutze. Niedere Instinkte, die Menschen Angst haben lässt vor dem Fremden, das sie nicht verstehen, dass sie eine Mauer um sie herum bauen lassen möchte … Stichwort Nationalismus, Rassismus, Homophobie. Und diese Kräfte scheren sich nicht um die wirklichen Probleme der Menschen und auch nicht um so etwas wie die nahende Klimakatastrophe.
Die Menschheit hat einen weiten Weg hinter sich, und viele wundersame Dinge erschaffen und erforscht. Man muss aber Sorge haben, dass die Wunder, die die Menschheit in der Zukunft noch vor sich haben könnte, nicht erreichbar sein werden, wenn wir den Weg der Zerstörung wählen bzw. nicht gegen die Kräfte aufstehen, die diese Zerstörung betreiben. Es kommt wieder die Zeit, in der es nicht mehr reichen wird, zuzusehen und auf das Beste zu hoffen.
Der Titel „The Wonders Still Awaiting“ ist also genauso eine Warnung wie er eine Verheißung ist.

Kommen wir zum Abschluss zu unserem traditionellen Brainstorming. Was fällt dir zu folgenden Begriffen zuerst ein…
Aktuelles Lieblingsalbum: Haschimitenfürst – der Bobcast.
Bestes Buch-/Film-/Serien-Universum: „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams.
Etwas, das einen schlechten Tag besser macht: Gutes Essen und Gespräche zusammen mit den Menschen, die mir nahe sind.
Der beste Weg zu entspannen: Raus in die Natur. Und der „Bobcast“.
Das muss 2023 besser werden als 2022: Es gibt da sehr sehr vieles in der Welt. Denn sonst könnte 2024 schon sehr unangenehm werden, von 2040 gar nicht zu reden.
XANDRIA in 10 Jahren: Da schaue ich wiederum nur auf die Gegenwart und was jetzt gerade wichtig ist und sich richtig anfühlt und was ich dafür tun muss.

Nochmals vielen Dank für deine Zeit! Die letzten Worte gehören dir.
Vielen Dank für eure Unterstützung, also euch als Website, die die Szene supportet und mit am Leben erhält, und auch euch allen anderen da draußen! Es war schön, viele von euch auf unserer Tour letzten Herbst nach so langer Zeit wieder zu treffen, und wir hoffen, dass wir uns bald wieder sehen!

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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