Konzertbericht: Blind Guardian w/ Dawn Of Extinction

16.10.2023 München, Backstage (Werk)

Die „Metal-Archives“ mögen nur eine Homepage von Fans für Fans sein – dass BLIND GUARDIAN jedoch die dritte Band waren, die in die Datenbank des in Kanada gegründeten Portals eingepflegt wurde (die erste war Amorphis) sagt vielleicht trotzdem etwas über das Standing der Krefelder in der Welt des Metal: Aus dem Power Metal sind die GUARDIANS – gegründet immerhin bereits vor knapp 40 Jahren, wenn man die Anfangsjahre unter dem Namen Lucifer’s Heritage mitzählt – längst nicht mehr wegzudenken.

Nach ihrem Ausflug in symphonische Gefilde als Twilight Orchestra haben sich BLIND GUARDIAN mit „The God Machine“ 2022 wieder dem Metal zugewendet – und parallel ihre Livepräsenz gestärkt: Standen Hansi Kürsch und Konsorten zwischen 2017 und 2021 (natürlich auch pandemiebedingt) nur insgesamt 21 mal auf einer Bühne, gab die Band 2022 immerhin 31 Shows. 2023 machen die Herren genau so weiter. Auf einen konzertreichen Festival-Sommer lassen BLIND GUARDIAN im Herbst eine Hallen-Tour mit 13 Shows folgen.

Dass die Band damit gerade einmal ein knappes Jahr nach ihrer letzten Show ins Backstage München zurückkehrt, stört hier wirklich niemanden: Das Backstage Werk ist auch diesmal bereits vorab restlos ausverkauft – und auch um 19:30 Uhr bereits gut gefüllt.

DAWN OF EXTINCTION im Oktober 2023 in MünchenDas ist gut für DAWN OF EXTINCTION, die als einziger Support heute 30 Minuten vor dem angekündigten Veranstaltungsbeginn auf die Bühne geschickt werden. Das ist allerdings auch kein großer Verlust für all jene, die sich auf 20:00 Uhr eingerichtet hatten. Denn so motiviert die Spanier ihre Show auch angehen, können sie nicht lange darüber hinwegtäuschen, dass hier nicht mit einer musikalischen Offenbarung zu rechnen sein wird. Technisch astrein umgesetzt, liefern DAWN OF EXTINCTION einen Mix aus Thrash und Power Metal, allerdings mit einem so modernen Ansatz, dass auch Metalcore-Elemente herauszuhören sind. Dass dafür in so manchem Belang Trivium Pate gestanden haben, ist unüberhörbar – selbst im Logo lassen sich Parallelen ausmachen. Eine eigene, charakteristische Note fehlt der Musik jedoch völlig. Dass DAWN OF EXTINCTION dann noch die Technik einen Strich durch die Rechnung macht und mitten im vorletzten Song das Showintro erklingt, tut einem für die Band leid – weil es das einzige ist, woran man sich nach dieser gesichtslosen 45-Minuten-Show länger als fünf Minuten erinnern wird.

BLIND GUARDIAN im Oktober 2023 in MünchenEgal: Bereits im regen Treiben, das zwischen Bar, Merch, Toiletten und Bühne herrscht, ist die Vorfreude fast greifbar – da macht es sogar überraschend wenig, dass sich BLIND GUARDIAN bis 20:50 Uhr Zeit lassen, ehe es mit „Imaginations From The Other Side“ endlich losgeht. Und wie es losgeht: Bereits im ersten, spätestens aber im zweiten Song („Blood Of The Elves“) ist das Publikum komplett eins mit der Band. Das merkt auch Hansi Kürsch, der das auch gleich in einer seiner unnachahmlichen Ansagen im Kabarett-Stil thematisiert. Das humorige „Zwischenprogramm“ zwischen Nummern wie „Nightfall“, „Time Stands Still (At the Iron Hill)“ oder dem vom Publikum (und zwar wirklich dem gesamten! Gänsehaut!) gesungenen „The Bard’s Song – In The Forest“ ist zwar nach wie vor Geschmackssache. Dass Kürsch BLIND-GUARDIAN-Shows schon allein damit den Stempel der Einzigartigkeit aufdrückt, ist aber unbestreitbar – zumal die Ansagen zwar immer wieder über feste Floskeln auf die Songs überleiten, dazwischen aber durchaus spontan wirken.

BLIND GUARDIAN im Oktober 2023 in MünchenAuch auf das Set bezogen erweisen sich BLIND GUARDIAN als spontan, indem sie den mit „Sacred Worlds“, „Lord Of The Rings“, „Valhalla“ und „Mirror Mirror“ eh schon hochkarätig besetzte Zugabenblock ungeplant um die Oldschool-Nummer „Majesty“ erweitern. Die „spontan an der kleinen Theke“ ersonnene Idee kommt beim Publikum glänzend an und gibt der auch so schon herausragenden Show kurz vor Schluss noch ein besonderes, weil unerwartetes Highlight. Aber auch mit dem regulären Set haben sich BLIND GUARDIAN große Mühe gegeben: Gegenüber der 2022er-Setlist haben BLIND GUARDIAN sieben Songs „eingewechselt“ – darunter „Lost In The Twilight Hall“, das seit der 2015er-Tour nur noch sporadisch in den Setlists aufgetaucht ist, und das Akustik-Stück „Skalds And Shadows“, das die Band erst 2023 wiederentdeckt zu haben scheint. Zuvor war der Song seit den Touren zu „A Twist in the Myth“ 2006/2007 nurmehr bei fünf Shows zu hören gewesen. Somit stimmt heute nicht nur Qualität und Quanität – sondern auch die Exklusivität gegenüber den Shows der letzten Tour.

  1. Imaginations From The Other Side
  2. Blood Of The Elves
  3. Nightfall
  4. The Script For My Requiem
  5. Violent Shadows
  6. Skalds And Shadows
  7. Time Stands Still (At the Iron Hill)
  8. Secrets Of The American Gods
  9. The Bard’s Song – In The Forest
  10. Lost In The Twilight Hall
  11. Deliver Us From Evil
  12. Sacred Worlds
  13. Majesty
  14. Lord Of The Rings
  15. Valhalla
  16. Mirror Mirror

Wollte man einem „Normalo“ Metal näherbringen – ein Ticket für BLIND GUARDIAN wäre dafür der perfekte erste Schritt: Kaum irgendwo sonst ist der Spirit der Metal-Familie so greifbar, als wenn rund 1.500 Kehlen so innbrünstig wie einträchtig den „Bard Song“ schmettern oder zu „Valhalla“ die Fäuste recken. Auch musikalisch ist der Mix aus griffigen Riffs, flotten Soli und wuchtigen Drums so Metal, wie etwas nur Metal sein kann – was massenweise Ohrwurmmelodien und eine gehörige Portion Kitsch aber elegant kaschiert.

Kein Wunder also, dass BLIND GUARDIAN auch im Jahr 2023 noch funktionieren. Sieht man in die verklärten Gesichter im Publikum und beobachtet die enge Verbindung zwischen Band und Publikum, weiß man: Für viele hier waren (oder sind, gerade in diesem Moment) BLIND GUARDIAN die Wächter zum Tor der Metal-Welt. Da kann man es wahrlich schlechter treffen. Denn längst nicht jede Band liefert im 40. Karrierejahr live noch so ab. Chapeau!

BLIND GUARDIAN im Oktober 2023 in München

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