Festivalbericht: Tanzt! 2017

18.11.2017 München, Backstage

Zwischen altbekannt und exotisch, härteren Riffs und modernem Folk sowie vielen anderen Attributen bewegt sich das TANZT! in seiner elften Ausgabe. Einzig auf die gänzlich ruhigen Momente verzichten die Veranstalter dieses Jahr. So dominieren 2017 besonders zu Anfang und in der Mitte des Line-Ups die härteren Gitarren, bevor SALTATIO MORTIS als Headliner mehr als alle anderen Vorgänger auf dieser Position beweisen, dass auch nach dem etablierten Heimspiel von VROUDENSPIL noch lange nicht Schluss sein muss. 

Wie vor zwei Jahren wird es zu Beginn mächtig laut im Backstage-Werk, denn THE PRIVATEER eröffnen auch 2017 das TANZT! mit ihrem melodischen Folk-Metal. Die Freiburger springen als Ersatz für die Australier Lagerstein ein und knüfen nahtlos an ihre Leistung von vor zwei Jahren an. Wie schon beim sommerlichen Gastspiel beim Free & Easy 2017 fällt Sänger Pablo aus. Seinen Job teilen sich Gast-Sänger Kolai und Geigerin Clara. Während Kolai seine Death-Metal-Wurzeln weder verleugnen kann noch will oder gar muss, überzeugt sein weiblicher Gegenpart besonders durch Multitasking mit fließendem Wechsel zwischen Mikrofon und Instrument. Das bereits zahlreich anwesende Publikum nimmt die Badener Freibeuter herzlich auf, wenngleich die anspruchsvollen und vor allem knüppelharten Melodien und Riffs einige Besucher auch überfordern. Ein bisschen verhält es sich so, als ob ein Erstklässler, der gerade lesen kann, mit Goethes Faust konfrontiert wird. Der objektiven Qualität aller Musiker und vor allem dem hervorragenden Klanggewand tut dies keinen Abbruch. Wer es gerne härter mag, kommt bei THE PRIVATEER besonders in der jetzigen Besetzung voll auf seine Kosten.

Die Regensburger FUCHSTEUFELSWILD sind nicht alleine zum TANZT! gekommen, sondern haben gefühlt ihren gesamten Fanclub im Schlepptau. Das „wilde Rudel“ befeuert die Stimmung in der Halle nachhaltig und wertet die Bühnenshow unter anderem mit leuchtenden Luftballons auf. Als Contest-Gewinner 2016 beim Festival Mediaval im September noch unterstützt von El Silbador von Saltatio Mortis meistern die Füchse ihre heutige Show im Alleingang – und überzeugen. Zwar fehlt es den Kompositionen insgesamt immer noch an musikalischer Eigenständigkeit, doch besonders die Feierlaune in Kombination mit Flöten, Dudelsack und manch Extravagantem wie dem Sousaphon bei „Eisenhans“ wissen zu gefallen und erreichen immer mehr Besucher. Spätestens bei „Hüter des Waldes“ tragen nicht nur die mitgebrachten Fans die Stimmung im Backstage. Am Ende schlagen FUCHSTEUFELSWILD mit „Hafen der Seele“ nochmals ruhige Töne an und bringen damit ihren 40-minütigen Auftritt zu einem unerwartet melancholischen Ende. Durch die Energie, Spielfreude und den unaufhaltsamen Tatendrang ist mit der Combo auch zukünftig auf größeren wie kleineren Bühnen zu rechnen.

Die Innere Mongolei dürfte derzeit nur für die hartgesottensten Folk-Fanatiker musikalisch relevant sein. NINE TREASURES machen sich auf, diesen Umstand nachhaltig zu verändern. Zu fünft schrauben die Asiaten wieder mächtig am Härtegrad. Zwischen die Songs mischen sie Charme, Charisma und gebrochenes Englisch, das zwischen vielen losen Worten ab und an in Phrasen wie „Let’s Get This Fuckin‘ Party Started“ gipfelt. Metallica, Megadeth und Korpiklaani nennen die Folk-Metaller als ihre Einflüsse, das Ergebnis klingt wie ein asiatisch-inspiriertes Folk-Konglomerat aus eben jenen drei Genregrößen. Einzig Gast-Gitarrist Tim fällt optisch aus dem Rahmen, erledigt seinen Job aber ebenso stark wie alle anderen Musiker. Traditionelle Instrumente wie Morin Khuur oder Balalaika sind hierzulande kaum zu hören, umso erstaunlicher wie austariert und wuchtig die Lieder von NINE TREASURES durch das gesamte Backstage dringen – ganz ohne Dudelsack und die üblichen Verdächtigen. Die Besucher brauchen ein wenig, um die fernöstlichen Klänge einzuordnen, doch je länger der Auftritt geht, desto mehr Hörer scheint der Fünfer fernab der Heimat zu erreichen. Ohrwurmverdächtiges wie „Sonsii“ tut sein Übriges dazu, dass beim letzten Song ein erster amtlicher Circle Pit entsteht. Die fünf Musiker nehmen dies wohlwollend zur Kenntnis, lassen insgesamt aber eher ihre Musik sprechen als sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Eine ähnliche Demut gegenüber der eigenen Kunst wäre oftmals wünschenswert.

Mit DALRIADA kehrt eine Band zum TANZT! zurück, die wie viele andere Exoten in ihrer Heimat ganz andere Publikumsmengen gewohnt sind. Umso erstaunlicher, dass im Falle der Osteuropäer auch die regionale Nähe zu Deutschland nicht zu mehr Festival-Auftritten hierzulande führt. Dazu sind DALRIADA mehr als nur fleißig: In den letzten beiden Jahren hat das Septett ganze drei Alben veröffentlicht, eine Rock-Scheibe, ein Best-of und schließlich eine Akustik-Platte 2016. Nach dreijähriger Abstinenz legen die Vollblutmusiker bei ihrer Rückkehr den Fokus klar auf den folkrockig-metallischen Klänge, die von den beiden Vokalisten Laura und András gegensätzlich getragen werden. Am Keyboard und an der Saitenfraktion sind DALRIADA ebenso wie Nine Treasures und The Privateer mit Vollprofis gesegnet, wenngleich sich – wie beim Opener des heutigen Tages auch – nicht alle ausnahmslos für diese Klänge begeistern können. Laura und ihre sechs Männer überzeugen an diesem Abend primär mit einzelnen Songs, die geprägt von kreativen Melodien und Tempowechseln sind. Diese Qualität zieht sich allerdings nicht durch das gesamte Set, da oftmals die Melo-Death-Elemente zu sehr dominieren, zu denen vereinzelt die langen Mähnen fleißig rotieren. Es kristallisiert sich schnell heraus, wer mit diesem Stil warm wird und wer auch am Ende weniger unterhalten ist. Die Musiker geben jedenfalls ihr Bestes, um möglichst viele der Anwesenden für sich zu begeistern und überraschen auch durch ihre Ansagen im allerfeinsten Deutsch. An ihre letzte Rock-Show auf dem TANZT! 2013 reicht der Auftritt unter dem Strich aber nicht heran.

Mit TANZWUT erhalten deutsche Texte und Dudelsäcke wieder Einzug im Backstage. Klar ist auch, dass nun alle Besucher wissen, was sie erwartet und so herrscht in den folgenden 50 Minuten weniger Bewegung im Zuschauerraum als zuvor. Vergleichsweise lange hat es gedauert, bis Teufel und der Rest der erfahrenen Spielmannstruppe (trotz gewisser Parallelen beim Namen) erstmals beim TANZT! aufschlagen. Die Show gleicht dann einem spannenden Ritt zwischen absoluten Stimmungsgranaten wie „Meer“ und einem besonders gesanglich missglückten Opener nach dem instrumentalen Intro in Orffschen Sphären. Auch die „Merseburger Zaubersprüche“ gehen an diesem Abend gründlich daneben, dafür punkten TANZWUT in ihrem Set mit wechselnden Verkleidungen und anderen Showelementen. Insgesamt eine wohltuende Abwechslung. Auch das hymnische „Brüder im Geiste“ vom aktuellen Langspieler „Schreib es mit Blut“ überzeugt, ebenso wie „Gerüchte“ – welches Lautsprecher Teufel in seiner Ansage galant in Verbindung mit der BILD-Zeitung bringt. Auch auf die Kaltenberger Ritterspiele kommt der Bühnenveteran im Verlauf der Show zu sprechen, sind die Tanzwütigen dort in unmittelbarer Nachbarschaft doch gern gesehene Gäste. Ein traditionelles Marktstück zählt allerdings nicht zum Programm und auch auf einige Klassiker wie „Ihr wolltet Spaß“ oder „Lügner“ muss München an diesem Festival-Abend verzichten. Dafür haben die Berliner vergleichsweise viel neues Material im Gepäck wie „Reiter ohne Kopf“ oder „Wenn ich tot bin“. Vom Sound überzeugt das Ergebnis leider weniger als das Bühnenbild und die Studioversionen. So manifestiert sich schlussendlich ein gemischter Eindruck, der sich während des Auftritts bereits früh abgezeichnet hat.

VROUDENSPIL als fixer Semi-Headliner des TANZT! stellen erstmals ihren neuen Sänger Don Santo bei ihrem Haus- und Hoffestival vor. Einige Indoor- und Outdoor-Shows hat der neue Mann an den Vocals bereits auf dem Kärbholz und auch in München überzeugt er am Mikro sowie durch seine Bühnenpräsenz. Im Vergleich zu seinem Vorgänger Ratz sind einige Texte wie „In der Halle des Dattelschnapskönigs“ erstmals wirklich klar verständlich und auf die heimische Rudermannschaft ist bei „Reise nach Tortuga“ auch unter dem neuen Steuermann absoluter Verlass. Am Anfang braucht die Meute toter Narren etwas, um ihr Schiff und die Anhängerschaft gleichermaßen auf Kurs zu bringen, doch dann liefern VROUDENSPIL exakt das erwartete bunte Sammelsurium aus Folk, Ska, Punk und vielen Einflüssen ab. Nach dem Ausstieg von Bassistin Zora im August haben die Süddeutschen dazu mit Stephan von Ingrimm einen fähigen Aushilfstieftöner organisiert. So gelingt der Auftritt unter personell neuer und musikalisch altbekannter Flagge vor vielen Freunden und Weggefährten, die fröhlich zu „Püppchen“ und anderen launigen Nummern feiern. Einzig „Leviathan“ ist live ähnlich schwergängig wie die dazugehörige CD-Version und für 2018 dürften sich besonders einige langjährige TANZT!-Besucher neues Material mit der neuen Stimme wünschen. Für den zukünftigen Kurs der Kapelle – auch über die bayerischen Landesgrenzen und die eigene Komfortzone hinaus – dürfte dieser Schritt mittel- bis langfristig entscheidend sein.

Wer SALTATIO MORTIS bucht, geht spätestens seit „Zirkus Zeitgeist“ definitiv kein Risiko ein. Die Szenegröße ist inzwischen ein Garant für Stimmung und tadellosen Auftritte, stetig angetrieben von zahlreichen Totentänzern, die selbst bei einem nachmittags beginnenden Festival die Spielleute und ihren Mittelalter-Rock bis weit nach Mitternacht energiegeladen feiern. So energieladen, dass SaMo stimmungstechnisch Subway to Sally, Eluveitie, die Letzte Instanz und andere Vorgänger aus den letzten Jahren locker übertreffen. Mit Fokus auf den letzten beiden, zeitgeist-kritischen Alben erzählen Alea, Lasterbalg und Co. nicht nur von “Prometheus”, “Satans Fall” und “Eulenspiegel”, sondern auch vom viel zu vorzeitigen Einbrechen der Weihnachtszeit, übertriebener Nostalgie und den Risiken des Kapitalismus. Zwar ist die Band mit eben diesem Programm schon seit zwei Jahren auf Tour, doch Langeweile stellt sich auch bei der letzten zeitgenössischen Zirkus-Show zu keiner Sekunde ein – und ein neues Album steht schon in den Startlöchern. Bis zu dessen Veröffentlichung wissen SALTATIO MORTIS aber auch mit anderen Überraschungen und Showeinlagen zu punkten. So lässt sich Sänger Alea bei “Rattenfänger” nicht nur singend durch das Publikum tragen, sondern begrüßt zu “Eulenspiegel” auch Ella von Fuchsteufelswild auf der Bühne, die das Stück mit ihrer Flöte begleitet und gleichzeitig tatkräftig hilft, die Fans zum Mitsingen zu animieren. Es bleibt leider die einzig bandübergreifende Kooperation dieses Festivals.
Dafür lassen es sich die Südwestdeutschen sehr zur Freude vieler Traditionalisten und älterer Fans nicht nehmen, ganz nostalgisch in der Spielmannskiste zu kramen und alte wie neue Fans mit einigen Schmankerln aus dem traditionellen SALTATIO-MORTIS-Marktmusikrepertoir zu verwöhnen. Für Stücke wie den “Knöterich” oder “Totus Floreo” greift auch Alea mal wieder zum Dudelsack und Lasterbalg zur Davul. Die dadurch entstehende Dynamik auf der Bühne reißt Band und Publikum gleichermaßen mit und erinnert an die früheren Rock/Mittelalter-Konzerte der Kapelle. Als die Musiker das Konzert schließlich mit den bereits rund zehn Jahre alten “Koma” und dem zur bandeigenen Hymne erkorenen “Spielmannsschwur” beenden, ist das Backstage-Werk immer noch gut gefüllt: Die Menge singt, das Festival hat seinen krönenden Abschluss gefunden.

Am Ende haben alle Gäste des TANZT! wieder viel gehört und viel gesehen. Im Hinblick auf Experimentierfreude, Internationalität und Abwechslungsreichtum kann es das Festival inzwischen locker mit vielen Burg-Events im Sommer aufnehmen. Die konstant hohe Besucheranzahl in den letzten Jahren ist ein erfreuliches Indiz dafür, dass manchmal Mut belohnt wird und es in der Folk- und Mittelalterszene auch genügend Publikum für alles abseits von Altbekanntem gibt. Nächstes Jahr werden unter anderem Folkstone und Troll Bends Fir ihre Rückkehr nach Deutschland feiern und Ye Banished Privateers sowie Koenix ihr Debüt beim TANZT! geben. Der letzte Tanz ist demnach noch lange nicht in Sicht und das ist gut so. 

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Peter Seidel / http://www.metalspotter.de

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