Review Saltatio Mortis – Zirkus Zeitgeist

Nach dem endgültigen Durchbruch mit „Das schwarze IXI“ legen SALTATIO MORTIS auf „Zirkus Zeitgeist“ nach: Der Vorgänger lieferte im Grundriss, sozusagen im Einmaleins, bereits die Richtung für das aktuelle Album, mit welchem sich die Spielmänner endgültig von Zahlenmythologien und mittelalterlichen Märchengeschichten lösen. Wahlweise erheben sie dabei den Zeige- oder gar den Mittelfinger, um musikalisch rock-pop-folkig weiter durchzustarten. Ein immer noch zweischneidiges Schwert, welches unter dem Strich besonders dann punktet, wenn man vom Studio auf die Bühne schielt und sich gedanklich von der wachsenden Radiotauglichkeit verabschiedet.

Die musikalische Entwicklung von SALTATIO MORTIS stößt nicht überall auf Gegenliebe. Viele Vorurteile und Vergleiche werden allerdings zu vorschnell gezogen. Die Toten Hosen klingen immer noch anders als die Dudelsackformation aus Südwestdeutschland, selbst wenn „Willkommen in der Weihnachtszeit“ zumindest dezent an die Roten Rosen von 1983 bis 1998 erinnert. Lyrisch boten SaMo in der Vergangenheit eher Grund für hochgezogene Augenbrauen oder leises Gelächter – sei es Faun-eskes wie die „Galgenballade“ oder mehrfach vertonte zwischenmenschliche Barrikaden, wahlweise als falsche Freunde, Oden an die Feindschaft oder als Miststück. Naturgemäß sehen es die Musiker selbst anders, allen voran Schlagzeuger und Texter Lasterbalk. Dies bringen sie mit „Geradeaus“ nun auch erstmals musikalisch auf den Punkt, indem sie quasi ihre eigene Diskografie mit einem ausgestreckten Mittelfinger gegenüber kritischen Stimmen kombinieren. Sicherlich ihr legitimes Recht wie bei allen anderen Combos, doch fühlte sich das Septett bis dato als einziges dazu genötigt, seinen Kritikern so viel Zeit, Ressourcen und am Ende auch Geld zu widmen. Am Ende teilen die Karlsruher aber nur all jenen, die gegen sie schießen, in einem ziemlich mittelmäßigen Rocker (mit gefühlt einer Note im Refrain) mit, dass sie ebenfalls auf sie schießen – mit umgekehrter Reihenfolge der ersten beiden Vokale.
Losgelöst von allem funktionieren die Single „Wo sind die Clowns?“ und etliche andere Nummern, deren Facettenreichtum natürlich klingen: allen voran „Todesengel“ und der bunte Stil-Mix in „Rattenfänger“. Ersteres bezieht sich auf die Erinnerungen des Mengele-Opfers Eva Mozes Kor, die in einem Konzentrationslager eingekerkert war und überlebte. Die Fusion aus Lyrik und instrumentaler Ausgestaltung zählt an dieser Stelle zu den Höhepunkten auf „Zirkus Zeitgeist“. Ob nachts die Soldaten weinen oder Krieg keine Sieger kennt, ist nicht von entscheidender Bedeutung.  „Wir sind Papst“ und „Des Bänkers neue Kleider“ prangern hingegen auf unterschiedliche Weise beide an: SaMo zeigen sich wahlweise als punkige Weltbürger oder nennen riffgeschwängert Dinge beim Namen, anstatt es wie früher verklausuliert in „Habgier und Tod“ zu verpacken. Diese Direktheit und die mahnenden Worte ziehen sich wie ein roter Faden durch „Zirkus Zeitgeist“. Sogar im deutlich melancholischeren „Augen zu“ über fehlende Zivilcourage oder in „Maria“, welches am ehesten an die Marktwurzeln der Kapelle erinnert. Wo sind die Clowns nochmals?

Am Ende ist dies tatsächlich die Frage, denn SALTATIO MORTIS selbst bieten auf ihrem letzten Studioalbum viel Zeitgeist und vergleichsweise wenig Zirkus. Auf den ersten Blick Banales wie das „Trinklied“ wächst beispielsweise nur im Albumkontext oder live, ist alleinstehend jedoch weder vom Text noch vom Arrangement ein großer Wurf. Rotzige Mittelalterhymnen allein sind nicht mehr genug, aber im Zirkus erträgt man auch den x-ten Zauberer mit der zersägten Jungfrau, wenn das Drumherum passt. Dies ist der Fall. Lediglich die „Vermessung des Glücks“ und „Abschiedsmelodie“ wirken am Ende arg dick aufgetragen, nachdem „Erinnerung“ im Mittelteil bereits erfolgreich zur Raison ruft. Doch insgesamt sind die 14 Songs so unverschämt gut verpackt und gemacht, dass sie neben nimmermüden Folkjüngern auch Deutschrocker und viele andere Klientelen abholen. Mehrheitlich ist dies ein Qualitätsmerkmal, da zumindest in der Aussage immer ein gemeinsamer Nenner zu erkennen ist.

Wertung: 7.5 / 10

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