Konzertbericht: Tanzt! 2018

10.11.2018 München, Backstage

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Auch 2018 zählt das TANZT! zu den festen Institutionen in der kalten Jahreszeit im Festivalkalender der Folk- und Mittelalterszene. Zusammen mit den Eisheiligen Nächten bildet das Indoor-Event im Backstage München die ideale Ergänzung zu den Burgfestivals im Sommer, mittlerweile ist das Festival ebenso etabliert wie die großen Open-Air-Events. Dafür unterscheidet sich auch in diesem Jahr das Line-Up im Winter von den eher berechenbaren Zusammenstellungen von Mai bis August: Sieben Bands aus fünf Ländern geben alles, um das Backstage in einen Hexenkessel zu verwandeln – SCHANDMAUL als Headliner im wahrsten Sinne des Wortes.

Bereits vor zwei Jahren eröffneten die Lokalmatadoren BRACHMOND das TANZT! In der Zwischenzeit sind die Musiker rund um Frontfrau Steffi weiter emsig geblieben und einige neue Songs haben das Licht der Welt erblickt. Dies alles mündete in der Veröffentlichung des ersten vollwertigen Albums namens „Ascheregen“, das die Band in ihren rund 40 Minuten Spielzeit vor heimischer Kulisse erstmals auf einem Festival vorstellt. Das instrumentale Fundament bei Stücken wie „In meinem Namen“ oder „Blick ins Nichts“ stimmt, besonders Geigerin Becci überzeugt durch ihre Melodieführungen. Am weiblichen Gesang und auch den männlichen Backing Vocals hapert es allerdings noch – ein Eindruck, der durch den teils suboptimalen Sound noch verstärkt wird. Zu viel musikalische Eigenständigkeit darf man von BRACHMOND an diesem noch frühen Punkt ihrer Karriere auch nicht erwarten, eine gewisse Richtung ist indes zu erkennen und das TANZT! bietet ideale Bedingungen für Feuertaufen wie diese.

Die Schweizer KOENIX mausern sich schnell zu den großen Gewinnern des Abends. Die ehemaligen Des Königs Halunken sind ebenfalls bekannte Gesichter auf dem TANZT!, wenngleich sich wohl nur sehr wenige Besucher an ihre Alter Egos erinnern können. Deutlich offenkundiger dringen die Metal-Wurzeln der Musiker ans Ohr, die mit ihrem aktuellen Projekt besonders die verstaubte instrumentale Mittelalter-Schiene gewaltig beleben und gleichzeitig durch einen bunten Sprachen-Mix überzeugen. Das zeigt auch ihr Studiowerk „Dekade 1“. Live entfacht die Mischung aus Sackpfeifen, Davul, Drehleier, Flöten, Pfeifen, Bouzouki und unter anderem einer Kuhglocke als Taktgeber eine in dieser Nische kaum gekannte Energie, die das Publikum immer weiter ansteckt. Auch leise Töne wie „Hinter dem Mond“ funktionieren, bis am Ende beinahe die gesamte Halle springt und den Refrain von „Bi De Fahrende“ mitsingt. Lediglich lichttechnisch hätte diese rundum gelungene Show eine bessere Inszenierung verdient gehabt. Alles andere meistern KOENIX ganz standesgemäß.

TROLL BENDS FIR haben sich ihre Fanschar in München bereits erfolgreich erspielt und bleibenden Eindruck hinterlassen. Das beweist direkt die frenetische Begrüßung des bunten Haufens, der nach 2012 und 2013 zum dritten Mal im Backstage zu Gast ist. In den letzten fünf Jahren hat sich der Fokus der Gruppe aus St. Petersburg vom Folk-Rock etwas mehr Richtung Folk-Metal verschoben. Eine Randnotiz, denn an der Mischung aus feiertauglichen Geschichten mit mehr oder weniger mythologischem Bezug und viel Lebensfreude hat sich ansonsten nichts verändert. Frontmann Troll präsentiert sich charismatisch wie eh und je, bringt sogar einige neue Fetzen Deutsch mit und hat die Menge fest im Griff. Das belegen zum Beispiel die ersten Circle Pits des Tages und weitere Tanzeinlagen, die der Frontmann anleitet. Irgendwo zwischen Korpiklaani und Russkaja bewegen sich TROLL BENDS FIR mit ihrem Beer Folk, der an diesem Abend überraschend ohne „Bierleichen“ auskommen muss. Neben Troll am Mikro prägt vor allem Jetra an den Flöten den Auftritt der Russen, der trotz einem klaren Fokus auf Trinkfreudigkeit auch durch talentierte Musiker und gelungene Lieder überzeugt.

Zum ersten Mal rücken YE BANISHED PRIVATEERS zur Kapernfahrt nach München aus. Die Schweden haben sich im Laufe der letzten Jahre eine ordentliche Fanbase erspielt – gerade unter all jenen, denen Versengold oder Mr. Hurley und die Pulveraffen zu kommerziell geworden sind. Mit eben jenen Kapellen hat die neunköpfige Meute wenig gemein, ebensowenig mit einer kommerziellen Ausrichtung trotz Napalm Records als Label: Der Auftritt gleicht mehr einer Gesamtinszenierung und einer Zeitreise in das 18. Jahrhundert als einem Konzert. So werden Flaschen auf Köpfen zertrümmert und weibliche Piraten durchschneiden die Kehlen von ihren männlichen Gefährten. Untermalt wird dies von erdigen Shantys und Piraten-Folk der düsteren Sorte, musikalisch getragen von diversen Crew-Mitgliedern am Mikro sowie Drehleier, Akkordeon und vielem mehr. YE BANISHED PRIVATEERS bewegen sich in einem geschlossenen Kosmos und setzen darin bewusst Akzente, wie das von Magda gesungene „Annabel“, welches im klaren Kontrast zu Nummern wie „Yellow Jack“ oder „Gangplank“ steht, die den Folk-Mix mit einer Prise Punk anreichern. Die Stimmung im Backstage hält sich während des gesamten Auftritts auf einem fulminanten Level und die Nordeuropäer drängen sich ähnlich wie Troll Bends Fir 2012 für ein rasches Comeback im nächsten Jahr geradezu auf.

Nach dem Norden Europas zeigen FOLKSTONE (mit etwas Verspätung), was der südliche Teil des Kontinents zu bieten hat. In schöner Regelmäßigkeit treten die Südeuropäer die Reise aus ihrer Heimat Italien an, um beim TANZT! für ordentlich Furore zu sorgen. Nach einer fantastischen Show in der Backstage Halle 2012, die in die Annalen des TANZT! einging, knüpfen FOLKSTONE dieses Jahr an ihr letztes Gastspiel vor drei Jahren an. Im Klartext bedeutet dies eine druckvolle Performance rund um Dudelsäcke, Flöten und allerlei Variationen des Folk-Rock, der historischen Sound mit modernen Instrumenten souverän in Einklang bringt. In einer derart ausgewogenen Form ist dies hierzulande selten geworden. Dazu verlassen sich FOLKSTONE fast ausschließlich auf ihre eigenen Kompositionen und das diesjährige Set kommt ohne „Terra Santa“, „In Taberna“, „Luna“, „Il Confine“ und viele Stimmungsmacher vergangener Shows aus. Vielleicht ein kleiner Wermutstropfen für all jene, die gerne noch einmal zu diesen Stücken gefeiert hätten – für alle anderen tut die Songauswahl keinen Abbruch. Besonders wenn Lore und Roby gemeinsam an den Bühnenrand treten, zeigt sich, wie glücklich die Musiker mit sich, ihrer Band und ihrer Musik sind.

Wer gerne mehr als ein paar Worte oder Chöre mitsingen will, der hat nach längerer Pause bei VROUDENSPIL nun wieder die Gelegenheit dazu. Zwar mussten die süddeutschen Freibeuter den Release ihres Albums „Panoptikum“ auf April 2019 verschieben, das bedeutet jedoch nicht, dass es auf dem TANZT! keinen exklusiven Vorgeschmack auf die kommende CD geben kann. „Kaleidoskop“ zeigt direkt zu Beginn, wohin sich die Piraten mit ihrem neuen Sänger Don Santo bewegen. Etwas erdiger und mit Freibeuter Petz am Saxophon als weitere Nuance kommt der Opener daher. Beim TANZT! muss der folkige Achter dazu die rhetorische Frage im Text, wer bereit für ein Freudenspiel sei, nicht ernsthaft stellen. Die Mischung aus neuen Songs und die – als Entschädigung für den verschobenen Release – auf Wunsch von Fans teils entstaubten Klassiker wie „Fiebertraum“ oder „Ein unwichtiger Bösehold“ funktionieren gewohnt gut, vom Ausblick auf „Panoptikum“ bleibt neben „Kaleidoskop“ besonders „Wanderer in Schwarz“ hängen. Inzwischen sitzt Don Santo als neuer Frontmann felsenfest im Sattel und drückt VROUDENSPIL als Prince Charming seinen eigenen Stempel auf. Bereitwillig tanzt das Publikum bis zum finalen „Plankentango“ nach seiner Pfeife. Mit dem charmanten „Küss mich“ lassen VROUDENSPIL ihren Auftritt schließlich ausklingen.

Vor 15 Jahren und nur wenige Meter von der heutigen Konzertstätte entfernt haben SCHANDMAUL ihre erste DVD namens „Hexenkessel“ aufgenommen. Dieses Jubiläum wollte gebührend gefeiert werden, nur eine Woche vor der großen 20-Jahres-Show in Köln mit vielen Gästen. Fast ohne Gäste, dafür mit vielen Perlen der ersten Jahre gestalten die Mäuler nahe ihrer Heimat ihre Headliner-Show. Als Unterstützung gesellt sich temporär Akkordeonspieler Wolfgang von Vroudenspil zu den Szeneveteranen, nachdem Thomas sich auf seine Pflichten als Frontmann konzentriert und zum Beispiel bei „Der Teufel…“ die Zuschauermenge wieder zu allerlei Theater von Freeze bis Zombie-Slow-Motion animiert. Zum kleinen Jubiläum haben sich Gitarrist Ducky und Flötenspielerin Birgit in die damaligen Bühnenklamotten geschmissen. Sänger Thomas packt seinen obligatorischen Texthänger an den Anfang des Sets, meistert dafür „Die Goldene Kette“ im Gegensatz zu 2003 fehlerfrei und Neu-Geigerin Saskia unterstreicht besonders bei den instrumentalen Passagen im ersten Drittel, dass sie eine sehr gute Wahl als Nachfolgerin von Anna ist. Zu den nostalgischen Höhepunkten der Show zählen das Medley aus „Hexentanz“, „Henkersmahlzeit“ und „Gebt Acht“, „Waldmär“ und das sehr lange nicht gehörte „Sichelmond“ im Zugabenblock. SCHANDMAUL haben sich für ihr Jubiläums-Set aus alten Zeiten wirklich Mühe gegeben, ohne einfach ihre Festival-Show des Sommers leicht zu modifizieren. Ein „Trinklied“ oder ein „Wandersmann“ hätten den Narrenkönig vielleicht zum alleinigen Herrscher des Abends gemacht, gerade weil „Bunt und nicht braun“ – wie Thomas selbst sagt – für die Narren in der Menge sowieso selbstverständlich und beispielsweise „Hexeneinmaleins“ am Ende in diesem Rahmen entbehrlich ist. Mit „Willst Du“ findet das TANZT! 2018 schließlich sein wohlverdientes, ruhiges Ende – 15 Jahre später ohne Micha Rhein und eine „extreme Variante“, sondern ganz im Stil von Schandmaul in aktueller Form.

Nach sieben größtenteils auf Party getrimmten Bands macht sich ein Großteil der Menge im nicht ganz ausverkauften Backstage Werk recht fix auf den Heimweg. Mit viel Nostalgie und einer besonderen Show mobilisieren SCHANDMAUL als verdienter Headliner die letzten Kräfte des Publikums, welches davor besonders von KOENIX mehr als nur positiv überrascht wurde und mit YE BANISHED PRIVATEERS wieder einmal neue, hoffnungsvolle Piraten in München begrüßen konnte. Einen echten Ausfall findet man indes im gesamten Billing nicht, dafür eine Pluralität an Musik aus aller Welt und Menschen, die die Liebe zum Folk verbindet. Dieses Image transportiert das TANZT! seit 12 Jahren wie kaum ein anderes Festival. Abgerundet wird das musikalische Programm von einigen Marktständen und Autogrammstunden mit allen Bühnenkünstlern zum Anfassen.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Peter Seidel / http://www.metalspotter.de

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