Konzertbericht: Tarja w/ Leaves Eyes, Kells

2011-05-06 Backstage, München

Tarja Turunen – einst gleichermaßen Gesicht wie Stimme der finnischen Vorzeigemetaler Nightwish, nun die Frontfrau ihrer eigenen Band, die sie schlicht nach ihr selbst benannt hat. Im Frühsommer 2011 stellte die Finnin nebst Begleitung ihr neuestes Werk „What Lies Beneath“ auf ausgedehnter Deutschlandtour vor. Doch bevor die Sopranistin selbst die Bühne des Münchner Backstage Werks betrat, durften sich zwei andere Sängerinnen am Female Fronted Symphonic Metal versuchen.

Im Fall der Franzosen namens KELLS ging das bewährte Konzept mit ansehnlicher Frontfrau umringt von mehreren Stromgitarren und Schlagzeug allerdings nicht auf. Selbst in der begrenzten Spieldauer von knapp 30 Minuten gab es trotz französischem Gesang zu viel symphonischen Metal nach Schema F, so dass man bereits nach einer Viertelstunde an sich alles gehört hatte, was die Westeuropäer zu bieten haben. Ähnlich scheint es Wikipedia zu sehen: Dort wurde der Kells-Bandartikel mangels Relevanz gelöscht. Für die Musikwelt könnte bald Selbiges gelten. Im Nachhinein ist es doppelt dreifach schade, dass A Life Divided, die eigentlich an dieser Stelle vorgesehen waren, ihren Auftritt in München kurzfristig absagen mussten.

LEAVES EYES (mit der durch Bänderriss gehandicapten Frontfrau Liv Kristine) gestalteten ihren Auftritt deutlich ansprechender und weniger plakativ: Auch auf dem neuesten Album „Meredead“ erinnert der Musikstil vereinzelt noch an die frühen Werke von Theatre of Tragedy, bevor Liv diese Band wegen künstlerischen Differenzen verlassen musste. Die meisten Leaves Eyes-Stücke werden dominiert vom ihrem Gesang und den Growl-Passagen ihres Ehemannes Alexander Krull (Atrocity). Besonders hervorzuheben hierbei: Das neue „Take The Devil In Me“ und das ebenfalls auf „Meredead“ enthaltene Mike Oldfield-Cover „To France“.
Durch das angenehme Zusammenspiel der weiblich/männlichen Gesangparts sowie einen sichtlich motivierten Atrocity-Frontmann gerieten die 45 Minuten erstaunlich kurzweilig und Leaves Eyes empfahlen sich – auch gemessen an den Publikumsreaktionen – für weitere Supportauftritte. Dann gerne wieder mit einer gesunden Liv Kristine, deren Bewegungsspektrum sichtlich eingeschränkt war. Allerdings konnte ihr Mann durch seine Bühnenpräsenz dies problemlos kaschieren . Worüber aber selbst der starke Auftritt von Alex Krull nicht hinwegtäuschen konnte, waren die äußerst auffälligen Synthie-Elemente, die akustisch ein komplett anderes Bild als optisch entwarfen.

Bevor TARJA die Bühne betraten, wurde diese durch einen weißen Vorhang verhüllt. Dort wurde noch bevor der erste Ton erklang mittels Videobeamer das Cover von „What Lies Beneath“ mit dem markanten blauen Auge der Sängerin projiziert. Nach einem kurzen Instrumentalintro ertönte relativ überraschend die Stimme der Ex-Nightwish-Frontfrau und sie sang das gesamte erste Lied „Anteroom of Death“ tatsächlich verborgen hinter Stoff. Eine höchst ungewöhnliche Idee, wenngleich die Schattenspiele mit ihrer langen schwarzen Mähne und den verschiedenen Instrumentalisten durchaus einen gewissen Reiz hatten.
Anschließend war es vorbei mit den Experimenten und Tarja rockte, tanzte und moshte sich sogar quer durch ihre 90-minütige Show, in der sie mehrfach ihr Outfit wechselte, was wiederum geschickt durch beeindruckende Schlagzeugsoli oder andere Instrumentalpassagen kaschiert wurde. Sprachen der weiße Vorhang und die wechselnde Bühnenbekleidung eher für die zu erwartende Diva aus Nordeuropa, so präsentierte sich Tarja auf der Bühne als überaus sympathisch, nah und vor allem stimmgewaltig. Beinahe mühelos sang sie ihre beiden Vorgängerinnen an diesem Abend in Grund und Boden, ohne dabei penetrant ihre zweifellos hervorragende Stimme in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr lachte sie und genoss die zahlreichen Hände, die ihr von den ersten Reihen des sehr gut gefüllten Backstage Werks entgegen gestreckt wurden. Nur einmal blitzte etwas mehr Ernst und Tarjas Hang zum Perfektionismus durch, als so ziemlich alle Musiker ihren Einsatz bei „Little Lies“ verpassten und sie kurzentschlossen den Song noch einmal von vorne spielen ließ.
Mit „The Siren“ und „End Of All Hope“ wagte sie sich indes sogar in ihre musikalische Vergangenheit zurück. Besonders an diesen beiden Stücken wurden auch die Unterschiede zwischen Tarja und Nightwish deutlich: Mehr klassisch und weniger modern/verspielt wirkten ihre Neuinterpretationen. Dies gilt auch für das gesamte Konzert, welches dennoch (oder gerade deswegen?) extrem metallastig und kurzweilig blieb, aber nur selten dauerhafte musikalische Ausrufezeichen setzen konnte wie z.B. „I Feel Immortal“. Dieser Song verweilte genau wie „We Are“ aus dem Akustikpart in der Mitte mühelos länger im Ohr. Alles andere wurde routiniert und engagiert präsentiert, erwies sich aber als wenig langlebig und eben ohne den letzten Baustein für die musikalische Ewigkeit.
Aber auch Nightwish haben die musikalischen Olymp nicht über Nacht erklommen, so dass man nach einem insgesamt sehr überzeugenden Konzert gespannt und hoffnungsfroh auf die Zukunft von Tarja und Co. blicken darf. Vielleicht verzichtet sie in Zukunft beispielsweise auf das slowakische Orchester, dessen markanter Einfluss bei der erstklassigen Studioproduktion live leider nur über Band ansatzweise nachempfunden werde konnte.

Setliste Tarja:
01. Anteroom Of Death
02. My Little Phoenix
03. I Feel Immortal
04. Dark Star
05. Little Lies
06. Underneath
07. The Siren
08. Higher
09. We Are
10. Minor Heaven
11. The Archive Of Lost Dreams
12. Ciaran’s Well
13. Crimson Deep

14. End Of All Hope
15. Die Alive
16. Until My Last Breath

Publiziert am von und Uschi Joas

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