Festivalbericht: Wacken Open Air 2014

31.07.2014 - 02.08.2014 Wacken

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Oh je, einen Erlebnisbericht über das Wacken Open Air 2014 schreiben? Das kann doch nur schief gehen. Ja, ich war da, auch wenn man das in manchen Metaller-Kreisen heutzutage kaum noch sagen darf. Übrigens nicht zum ersten Mal, sondern seit 2003 nahezu immer. Dennoch – in Zeiten, in denen ein neues, vom Underground angehauchtes und doch auf Hochglanzpapier gedrucktes Printmagazin mancherorts mit dem Spruch „Kein In Flames, kein Wacken“ beworben wird und im Editorial des ehrwürdigen Rock Hard ein Bericht über das Wacken-Festival als möglicher Aufhänger für kontroverse Reaktionen gewertet wird, gerät man fast unter Rechtfertigungsdruck, dass man sich da noch hintraut.

Und natürlich sind einige der nahezu reflexartig geäußerten Kritikpunkte korrekt. Da ihr sie genau wie ich schon tausendmal gelesen habt, nur kurz im Schnelldurchgang: Kommerzialisierung, nahezu grenzenloses Wachstum, Events abseits der eigentlichen Musik („Ballermannisierung“), zu viele Nicht-Metal-Bands, zu viele Nicht-Metal-Fans, zu viele schräge Aktionen („Metal Bible“). Das alles ist richtig und auch ich gehe lieber über einen Campingplatz, auf dem man noch Heavy Metal hört. Dem Flair ist es abträglich, wenn die Nachbarn abwechselnd die Böhsen Onkelz, AC/DC und die Cantina-Band hören. Wo Volbeat das höchste der Gefühle ist, hat wohl wirklich ein Wechsel der Besucher stattgefunden.

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Von Klimbim und Nützlichem

Warum also, die berechtigte Frage, geht man da noch hin? Das lässt sich gut am diesjährigen Festival zeigen. Der erste Punkt ist, dass Professionalisierung eben nicht immer schlecht ist. Dem Wacken hat sie eine nahezu perfekte Infrastruktur beschert. Auf dem Campingplatz gibt es an vielen Stellen Verkaufsstände, an denen zu fairen Preisen Supermarktartikel verkauft werden. Die Abdeckung mit Bier auf dem Festivalgelände ist ebenfalls vorbildlich. Trinkwasser gibt es nahezu überall rund um die Uhr umsonst. Die Dixies sind verdächtig sauber und gerüchteweise gilt das auch für die Wassertoiletten. Es gibt morgens frische Brötchen von einem echten Bäcker zu kaufen. Die Merchandise-Verkaufsfläche sucht an Auswahl und Umfang ihresgleichen, ebenso die Fressmeile, die gutes Essen in jeder Form und Farbe bietet. Zu wissen, dass es einen äußerst schnell reagierender Rettungsdienst gibt, ist auch nicht zu verachten.

Sicher, man mag das alles überflüssig finden oder als Sekundärtugenden ansehen. Aber man kann es auch einfach schätzen. In dieser Hinsicht war das Festival dieses Jahr – wie schon seit ca. fünf Jahren – wieder einmal vorbildlich. Zudem entwickelt sich das Wacken jedes Jahr weiter. Die nun vorgezogenen Einlasskontrollen sorgen wirklich für einen besseren Zufluss zum Gelände und minimieren so auch die Risiken gefährlicher Engführungen. Ebenfalls positiv zu vermerken ist, dass das Klimbim auf den Festival immer noch reduziert wird. Hatten die Veranstalter seit dem Epizentrum des unsinnigen Drumherums 2007/2008 schon die dämlichen Wet-T-Shirt-Contests wieder abgeschafft, wurde inzwischen auch der Comedy-Faktor deutlich runtergeschraubt. Als kleiner Wermutstropfen bleibt leider, dass auch dieses Jahr wieder Wrestling zwischen den Nebenbühnen stattfindet, und die „Ehrlich Brothers“ die wohl größte Bühnenzeitverschwendung seit der letzten Abba-Tour darstellen. Immerhin wird es ihnen mit ordentlich Buhrufen und vielen Online-Schmähungen gedankt.SDC11050

Zur Sache: die Musik

Kommen wir nun aber zum Kern eines Festivals: der Musik. Und hier könnte man erwarten, dass das Festival sich seinen immer mainstreamigeren Besuchern anpasst. Die große Überraschung: Dem ist gar nicht so. Sicherlich gibt es immer wieder Ausfälle und Konzessionen im Booking, aber vom Grundsatz her haben sich die bestätigten Bands nicht allzu sehr verändert, sieht man einmal von der Tatsache ab, dass man es als Freund härterer Musikarten laufend schwerer hat. Aber welches Festival bietet denn überhaupt noch die Rundumbedienung aller Genres? So waren auch dieses Jahr mit einer halben Ausnahme alle Headliner über den Kommerzialisierungszweifel erhaben. Zuvor durften am Mittwoch die Nachwuchsbands im WACKEN METAL BATTLE ran, und das inzwischen über den ganzen Tag. Sich hier einfach vorbehaltlos hinzustellen und zuzuhören zahlt sich Jahr für Jahr mehr aus. Ebenfalls erwähnenswert war die Glam-Rock-Covershow von JOHN DIVA AND THE ROCKETS OF LOVE – John Diva, der selbst an einigen der größten Hard-Rock-Klassikern aller Zeiten mitgeschrieben hat, präsentiert eine großartige Show mit Mitsinggarantie – genau richtig, um sich auf das Festival einzustimmen!

Donnerstag

Den absoluten Tiefpunkt des Festivals gibt es dann zum Glück schon am ersten „echten“ Tag – STEEL PANTHER, die ihre unoriginelle Musik immer noch mit denselben platten Sexwitzen aufhübschen müssen, über die wir im schlimmsten Fall das letzte Mal in der achten Schulklasse gelacht haben. Die Kritik geht hier freilich gleichermaßen an die Band wie an das Publikum. Wenn sich junge Frauen und noch jüngere Mädchen zu derbsten Machosprüchen um die Wette ihre Tops vom Leib reißen und auch noch brav lächeln, während ein Sänger, der schmieriger nicht sein könnte, salopp unterstellt, die Mädels hier seien eben „easy to fuck“, dann fühlt man sich als halbwegs zurechnungsfähiger Mann im falschen Film. Die Talsohle erreicht die Show schließlich mit Witzen über Sex im Kindesalter. Klar, verklemmt, Spielverderber, Spießer, reine Show, Kunstfiguren, Ironie, Postironie – verschont mich mit halbgaren Rechtfertigungen. Ach so, zwischendurch benutzen die Typen auch noch Instrumente. Das ist aber kaum nötig und es achtet eh niemand drauf, machen die meisten Konzertbesucher doch nur den Giraffenhals nach der nächsten Flasherin.

Immerhin, danach muss man nur noch kurz die Ehrlich Brothers ertragen und dann geht es steil bergauf. So sorgen erst SAXON und später ACCEPT für Planübererfüllung. Erstere wirken zwar durch ihre Streicherunterstützung etwas gehemmt, sodass der Druck hinter dem Auftritt fehlt. ACCEPT hingegen sind eine Wucht, die die Energie ihrer jüngsten Alben auch live transportieren kann. Als besonderes Schmankerl servieren sie ihr ganzes „Restless And Wild“-Album, das auch von Mark Tornillo gesungen überzeugen kann. Die Publikumsreaktionen zeugen zudem davon, dass sich irgendwo auf dem Festival doch eine fünfstellige Zahl an Metallern befindet, die mit dieser grundehrlichen Musik noch etwas anzufangen vermag.SDC11060

Freitag

Der Freitag beginnt erstaunlich früh mit einer Legende: Schon als zweite Band des Tages treten SKID ROW auf. Die US-Amerikaner rehabilitieren nach den Schäden des Vortags mit einer straighten und guten Performance das Genre des Glam Metals spielend. Der Schwerpunkt liegt – wie wohl auch vom Publikum gewollt – auf dem Debütalbum. Es tut mir leid, Sebastian Bach, aber die Jungs brauchen dich gar nicht. Den Rest des Tages über warten die meisten ohnehin auf MOTÖRHEAD. Frontmann Lemmy hat schließlich nach dem abgebrochenen Gig letztes Jahr noch eine Rechnung offen. Ohne den Vorfall nur zu erwähnen, liefern MOTÖRHEAD sodann eine Show mit erstaunlich vielen langsamen Songs, die gerade deshalb nicht als volle Entwarnung gewertet werden kann. Dabei hat Lemmy seine alte Souveränität eindeutig wieder: Von Doro mit den freundlich gemeinten Worten bedacht „We love you, Lemmy! Wacken loves you!“ erwidert er schlicht „Hm? Okay … next song is called ‚Aces Of Spades'“. A’right!

Danach schieben sich SLAYER auf die Bühne. Die Thrash-Veteranen sind wahrlich keine Dauergäste beim Wacken Open Air und ziehen entsprechend viele Menschen vor die Bühne. Die Show ist ganz überwiegend auf die alten Hits ausgelegt und erschöpft bei nicht wenigen Besuchern die Reserven. Beim folgenden Auftritt von KING DIAMOND – er debütiert in Wacken – zeigt sich indes wieder die Publikumsstruktur. Nicht wenigen dürfte der Däne schlicht unbekannt gewesen sein. Entsprechend einfach ist es, einen guten Platz zu bekommen und einer durchchoreografierten Show beizuwohnen, die von der besonderen Stimme des wieder genesenen KINGs lebt. Die Shock Rocker W.A.S.P. spielen im Anschluss dieselben 15 Songs, mit denen sie seit ungefähr 15 Jahren durch die Welt touren. Wie immer haben sie Videoleinwände im Gepäck und geben sich live keine Blöße. Aber Überraschungen jeglicher Art bleiben aus.

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Samstag

Auch der Auftritt des DEVIN TOWNSEND PROJECT ist nichts für die Deutschrock-Fans des Festivals. Progressives Symphonic Irgendwas gibt es auf die Ohren und einen unglaublich gut gelaunten DEVIN TOWNSEND zu bestaunen. Seine Bühnenansagen, gerne auch mal mitten in den Songs, muss man einfach gehört haben – wer ihn noch nicht kennt: nachholen! Weniger überraschend und viel kalkulierter dagegen der Auftritt von MEGADETH, der einmal mehr auf die Klassiker der Bandgeschichte und natürlich Dave Mustaine zugeschnitten ist. Mit einer an und für sich gelungenen, aber etwas unpersönlich wirkenden Show absolvieren auch diese US-Amerikaner ihr Debüt auf dem norddeutschen Acker.

SDC11068TOBIAS SAMMET’S AVANTASIA haben mit 120 Minuten den längsten Slot des ganzen Festivals – leider verschwendet der Namensgeber aber 15 davon mit einer Bandvorstellung und fünf weitere mit der Beschimpfung der an der Nebenbühne wartenden KREATOR-Fans, wobei er das an sich unredliche Anliegen geschickt dadurch tarnt, dass er sie auffordert, ihn zu beschimpfen. Zeit dermaßen wegzuwerfen ist wohl ein Luxus, den man sich nur erlauben kann, wenn man ein gutes Dutzend hochkarätiger Musiker auf der Bühne hat. Gespielt wird ein reduziertes Set der letzten Welttournee ohne Neuerungen und mit einer routinierten Performance. Noch glatt polierter wirkt im Anschluss der Auftritt der (beinahe) a-cappella-Metaller VAN CANTO, die zwar zahlreiche Gastsänger im Gepäck haben (André Matos, Tarja Turunen, Chris Boltendahl), aber leider auch eine Weltneuheit präsentieren. Denn was ist langweiliger als ein Drumsolo? Richtig, ein Drumsolo mit zwei Drummern. Selbst wenn der zweite Jörg Michael heißt, ist das die beste Methode, Druck aus einer Show zu nehmen. So können VAN CANTO dieses Mal trotz oder eben wegen der vielen Gäste wenig Charme entfalten. Schade, hier wäre vermutlich weniger mehr gewesen.

Was bleibt?

So zweifelhaft wie sein Ruf ist dieses Festival nicht. Sicher, die Vorteile mit der hervorragenden Infrastruktur sind mit einem gewissen Anteil an Festivaltouristen erkauft. Irgendwoher muss das Geld ja kommen. Und auch der Anteil an Party-Metal-Bands wird wohl konstant bleiben (2015: Sabaton). Deshalb kann man sich jetzt schon auf die irritierten Gesichter freuen, wenn im nächsten Jahr die Reunion von SAVATAGE gefeiert werden soll – für traditionsbewusste Metaller kann es kaum etwas Schöneres geben, aber der Tourist wird sich am Kopf kratzen. Da die Festivalbetreiber aber jedes Jahr wieder gute und sehr gute Szenebands ausgraben, dem Nachwuchs viel Platz einräumen und bei den Headlinern bisher wenig Konzessionen gemacht haben, ist es dennoch ein Festival, zu dem man immer wieder fahren kann. Und vielleicht wird es dann bei SAVATAGE wenigstens nicht so ein Gedränge.

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Publiziert am von Marc Lengowski

Ein Kommentar zu “Wacken Open Air 2014

  1. Sehr sehr schön geschrieben. Ich kann mich – gerade was das Schlussfazit angeht – dir voll und ganz anschließen. Wacken ist wirklich ein tolles Festival. Zwar gibt es viele Party-Touristen, aber jeder muss für sich das Beste daraus machen.

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