Review Dark Suns – Orange

DARK SUNS waren noch nie musikalischer Fast Food. Dass sich dies vom Progressive Metal-Opus „Grave Human Genuine“ zu „Orange“ nicht auf einmal ändern würde, nur weil das Album als frisches, unbedarftes Progressive Rock-Album beworben wurde, war wohl schon zuvor klar und so sollte es nicht wundern, dass es auch die aktuelle Scheibe der Leipziger ihre Zeit brauchen würde, um beim Hörer in die Gänge zu kommen.

„Orange“ war für mich eines dieser Alben, bei welchen man die ersten drei bis vier Hördurchgänge erst mal mit einem fetten Fragezeichen im Gesicht vor den Boxen sitzt: Worauf wollte die Band hinaus, wie hört man diese Songs richtig an? Der bluesige, groovende Hard Rock Deep Purples ist es nicht, auch nicht das Lyrische, Erhabene früher King Crimson und auch nicht die meditativen Instrumental-Eskapaden von Yes. Auf den ersten Blick. Doch, wie sich schnell herausstellt, sind alle diese Komponenten durchaus reichlich vorhanden, nur eben in einer unerwarteten Weise zusammengeschweißt. Denn eine Progressive Metal-Band, die einen Koloss wie „Grave Human Genuine“ geschaffen hat, wirft eben nicht mal schnell alle Trademarks in Sachen Songwriting über Bord, um sich vergleichsweise verständlicheren Strukturen des Classic / Prog Rock zu widmen. So sind die meisten Songs auf „Orange“ immer noch eher Konstrukte als ausgewählte Elemente aus Jam-Sessions, die Spontanität vielleicht nicht ganz so präsent, wie sie im Vorfeld angepriesen wurde. Und dennoch, das konkrete Hörvergnügen wächst im Vergleich zum in diesem Kontext deutlich unterkühlt wirkenden „Grave Human Genuine“ deutlich an. Wenn in einem Song wie „Ghost“ fette Hammond-geschwängerte Riffs an Pink Floyd-inspirierte Gitarrensoli gekoppelt werden, ergibt das doch eine deutlich lässigere Atmosphäre als bewusst steril und experimentell gehaltene Soundlandschaften. Apropos Experiment, auch dieses kommt auf „Orange“ nicht zu kurz, nur eben in deutlich anderen Manifestationen. So nimmt sich etwa „Vespertine“ erst mal eine gute Minute Zeit, skurrile Klangkulissen vom Charakter von King Crimsons „Moonchild“ aufzubauen, um dann mit latent Fusion-lastigem Soundbild doch noch auf die abgehobene Unbeschwertheit von Yes in Form eines mehrstimmigen Refrains überzuleiten. Überhaupt stellt dieser Song mit ebenfalls in bester karmesinroter Manier eingebrachtem jazzigen Saxophon, das sich zuletzt in diversen Skurrilitäten verliert, ein klares Highlight des Albums dar.

Aber was rede ich, noch beim Schreiben stellt sich wieder mal heraus, dass man sehr vorsichtig damit sein sollte, auf einem DARK SUNS-Album Höhepunkte auszumachen, überrascht die inzwischen fünfköpfige Truppe doch an allen Ecken und Enden mit mehr oder weniger bekannten Klangbildern der Rockmusik und integriert diese in ihren eigenen Sound, ohne an Identität zu verlieren. Anspieltipps braucht es da nicht wirklich, jeder Song zeigt an irgendeiner Stelle alle Qualitäten, die diese Scheibe ausmachen: Seien es nun die (eben doch) bluesigen Rhythmusriffs, die trippigen Sequenzen, für die sich häufig die Hammond verantwortlich zeichnet oder verworrene Gitarrenpassagen – alles wird einem nach dem ein oder anderen Hördurchgang vollkommen plausibel auf einem Haufen präsentiert, obwohl die meiner Meinung nach immer noch nicht simplen Songstrukturen und vor allem die oftmals extremen Geschwindigkeitswechsel dies eigentlich nicht erlauben sollten. Aber doch, die Atmosphäre ist dynamisch, unheimlich vielfältig im Stil und dennoch konsistent. Damit stecken DARK SUNS sogar so manche alteingesessene Prog-Band in die Tasche.
Was die Leipziger aber vor allem in die Tasche stecken, ist das aktuelle Retro Rock-Umfeld, allem voran „Road Salt Two“ der einstigen Vorbilder Pain of Salvation. Vielleicht ist tatsächlich die Zeit gekommen, dass sich die Schweden den musikalischen Weg zeigen lassen sollten und nicht mehr andersherum – der Vergleich dieser beider Alben untermalt nochmal deutlich, wie peinlich stupide und uninspiriert „Road Salt Two“ geworden ist.

DARK SUNS gehen nicht die Wege anderer musikalischer Neuerer wie Sólstafir oder Ulver – während die einen einfach ihren ureigenen Stil in endlosen jamorientierten Songs präzisieren und die anderen den Prog Rock durch moderne elektronische Spielereien zeitgemäß halten, schafft es „Orange“, die komplette Bandbreite des Progs in einer Progressive Metal-Kulisse zu interpretieren. Das klingt erst irritierend, dann viel zu konstruiert, aber relativ schnell kapiert man doch, worauf DARK SUNS hinauswollten. Und, dass sie es da auch klar hingeschafft haben. Für einen derartigen musikalischen Coup, eine Menge traditioneller Elemente komplett frisch klingen zu lassen, verdienen die Jungs Respekt. Gerade angesichts dessen, dass das Album jeden Hördurchgang immer, immer cooler wird. Man sollte ja vorsichtig damit sein, einer Band zweimal hintereinander 10/10 Punkten zu geben, aber nachdem DARK SUNS 2008 ja doch in einem gewissermaßen anderen Genre unterwegs waren, sollte man es hier schon mal tun dürfen.

Wertung: 10 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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