Review Nine Inch Nails – Ghosts I-IV

  • Label: The Null Corporation
  • Veröffentlicht: 2008
  • Spielart: Ambient

Innerhalb von drei Monaten nahm NINE-INCH-NAILS-Mastermind Trent Reznor gemeinsam mit seiner rechten Hand Atticus Ross eine Art Kompilation instrumentaler Stücke auf, die im März 2008 unter dem recht unspektakulären Titel „Ghosts I-IV“ auf den Markt gekommen sind.

Der Kontrast zwischen dem, was die beteiligten Musiker in ihrer Vergangenheit für Arbeiten veröffentlichten und wie die vier einzelnen „Ghosts“ klingen, könnte größer kaum sein: Mit Alan Moulder holten sich NINE INCH NAILS den Produzenten von Marilyn Mansons Debüt „Portrait Of An American Family“ (1995) an Bord, mit Adrian Belew den Sänger und Gitarristen der Prog-Rock-Giganten King Crimson und mit Brian Viglione den Schlagzeuger der Punk-Kabarett-Gruppe The Dresden Dolls.

„Ghosts I-IV“ klingt allerdings an keiner Stelle auch nur ansatzweise nach einer der genannten Bands, geschweige denn ist das Sammelsurium von insgesamt 36 Songs ähnlich zu dem, was NINE INCH NAILS bisher unters Industrial liebende Volk brachten.

„Ghosts I“
Während es sich bei den ersten beiden Tracks noch um verträumte, sehr ruhige Songs handelt, gesellen sich bei dem dritten Lied ein wenig mehr Tonspuren dazu und in Song Nummer vier sogar die obligatorische Gitarre. In Zusammenspiel mit dem fünften Song entsteht auf „Ghosts I“ erstmalig ein gewisser Nine-Inch-Nails-Flair, wenn auch eher minimalistisch als eindeutig.

Letzteres gelingt NINE INCH NAILS erst mit Song Nummer acht, der am ehesten dem nahe kommt, wofür Reznors Herzensprojekt zuletzt stand. Die restlichen Tracks hingegen sind klassische, ruhige Ambient-Nummern, dich sich zum easy listening hervorragend eignen, aber nicht charakterstark genug sind, um in Erinnerung zu bleiben.

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„Ghosts II“
Während die ersten neun Songs größtenteils nur zaghaft ihren Weg aus den Lautsprechern fanden, werden NINE INCH NAILS mit dem zweiten Teil der „Ghosts“-Reihe ein wenig kantiger – ein klein wenig. Ein stimmungsvolles Klavier, düstere Loops: Es scheint, als sei „Ghosts II“ der böse Zwilling seines Vorgängers.

Das Klavier zieht sich auch durch die nächsten Tracks und bietet somit den Wiedererkennungswert, den „Ghosts I“ hat vermissen lassen. Holt Reznor wie in Track zwölf noch seine Gitarre heraus, wird das Ambient-Projekt düsterer als auf den ersten neun Songs.

Mit dem 14. Lied kommt (endlich!) Melodik ins Spiel; ein cooler Track, der zwar ebenfalls so minimalistisch gehalten wurde wie die Songs zuvor, aber einem kreativen Songaufbau verdächtig nahe kommt. Nachdem Track Nummer 15 locker aus einem Steam-Punk-Spiel stammen könnte, wandeln NINE INCH NAILS mit dem 16. Song auf den Arcade-Sound-Spuren, die seit jeher gerne für Remixe verwendet werden.

Nach dem sich langsam aufbauenden, einen deutlichen Interlude-Charakter besitzenden Lied 17 bricht mit dem 18. Track das Finale von „Ghosts II“ an; dem Teil der Kompilation, der nicht grundlegend anders ist als „Ghosts I“, aber dennoch facettenreicher.

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„Ghosts III“
Finally, Industrial is back! Und nicht nur das, auch in puncto Rhythmik schlagen NINE INCH NAILS wortwörtlich neue Töne an. Während sich der 20. Track als erste der 36 Nummern mit Steigerung herauskristallisiert, wartet der 21. Song mit einer coolen Dynamik auf – „Ghosts III“ liefert im ersten Drittel mehr ab als „Ghosts I“ in Summe.

Auch auf „Ghosts III“ bleiben NINE INCH NAILS zwar dem Motto treu, dass jeder Part nur um die 25 Minuten Spielzeit, verteilt auf neun Songs, beträgt, aber die Weiterentwicklung zu „Ghosts II“ und besonders zu den ersten neun Tracks ist deutlich hörbar.

So kantenlos „Ghosts I“ noch war, so brachial werden in „Ghosts III“ Brüche herbeigeführt, so kratzig klingen die Samples hier. Eine Nummer wie Song 23 ist völlig befreit von Struktur, wohingegen der 24. Track dank Drum-Patterns eine gewisse Geradlinigkeit erhält. Der vorletzte Song überrascht mit Charakter; NINE INCH NAILS verflechten hier einzelne Tonspuren zu einem druckvollen Aufbau, ehe das 27. Lied den dritten Zyklus der „Ghosts I-IV“-Reihe ein wenig mit Jam-Session-Charakter beendet.

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„Ghosts IV“
Der erste Teil war etwas zu gediegen, der zweite brachte endlich etwas Schwung, will heißen Melodik und Rhythmik in die Tracks und im dritten Teil verbanden NINE INCH NAILS eben genau diese Punkte noch mit Atmosphäre. Von Kapitel zu Kapitel steigerten sich die Songs, wurden greifbarer, umfassender, dynamischer. Dieser Logik folgend, könnte sich der abschließende Teil „Ghosts IV“ somit zum Klassenprimus mausern.

Mit 34 Minuten Spielzeit ist das Finale der Quadrologie der längste und glücklicherweise tatsächlich der spannendste Teil. Die Ingredienzien der letzten beiden Teile wurden hier zusammengewürfelt und heraus gekommen sind smoothe Ambient-Nummern (Track 29), schleppende, gitarrenlastige Tracks mit Tiefgang (Song 31) und beatorientierte, sanft stampfende Lieder (Track 32, 33).

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Als NINCH-INCH-NAILS-Fan erwartet man bei Trent Reznor stets das Unerwartete, immerhin hat der US-Amerikaner ebenso eine Industrial-Rock-Institution wie „Pretty Hate Machine“ (1989) als auch das sehr synth- und electronicalastige „With Teeth“ (2005) aus seinen Ärmeln geschüttelt.

Nicht verwunderlich also, dass Reznor ein Jahr nach Veröffentlichung des Konzeptalbums „Year Zero“ (2007) mit „Ghosts I-IV“ schon wieder einen gänzlich anderen Weg eingeschlagen und rein instrumentalen Ambient auf vier Silberlinge gepresst hat.

Ob ihm dieses Wagnis gelungen ist? Natürlich, schließlich kann ein Multiinstrumentalist mit den kompositorischen Fertigkeiten eines Reznors schlichtweg nichts Unhörbares produzieren. Die Geister scheiden sich eher an der Frage, ob „Ghosts I-IV“ für jeden taugt, der zuvor sehr gerne NINE INCH NAILS hörte.

Auch wenn viele Trademarks eingeflossen sind, ist „Ghosts I-IV“ unterm Strich der Exot in der Discografie, mit dem sich kaum neue Fans gewinnen lassen bzw. diese wieder von Bord gehen, sobald sie die vorherigen Alben gehört haben. Dennoch: Bitte riskiert ein Ohr, ihr eingefleischten NIN-Fans und open-minded Hörer dort draußen, denn versteht man „Ghosts I-IV“ als kreative Blaupause eines experimentierfreudigen Reznors, kann man seinen Spaß damit haben – eben weil dieses Experiment durchaus gelungen ist.

Wertung: 7 / 10

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