Review Tenhi – Väre

TENHI ist sicher keine Band, auf die man so ohne weiteres stößt. Dazu kommt, dass das Coverartwork des 2001er-Werkes „Väre“ beinahe ebenso unscheinbar daherkommt wie die Musik der Herrschaften von den 1000 Seen. Schemenhaft ist ein Baum dargestellt, auf weißen Untergrund, so dass die CD leicht zu übersehen wäre. Glücklich kann man sich also schätzen, wenn man die Ausnahmeband dennoch für sich entdeckt. Das Debüt „Kauan“ wurde zu Recht in der Fachpresse abgefeiert, präsentiert es doch handgemachte, ehrliche Musik vom Feinsten. Entsprechend hoch war die Spannung, ob der Nachfolger „Väre“ das Niveau würde halten oder sogar toppen können. Um es gleich vorweg zu nehmen: wer „Kauan“ mochte, wird „Väre“ lieben. Jedoch sollte man sich folgende Warnung zu Herzen nehmen: TENHI meinen es gut mit ihren Hörern, sie erwarten aber auch, dass es sich im Gegenzug ähnlich verhält. Will meinen, „Väre“ verlangt Zeit und Konzentration, es ist keine Musik, die man eben nebenbei hört und dabei Geschirr spült oder die Steuererklärung anfertigt oder andere Dinge tut, die vom Wesentlichen ablenken würden, nämlich der Musik.

Und dieser wollen wir uns auch zuwenden, um nicht noch mehr einleitende Worte zu verschwenden, wo es doch soviel Positives zu den Klängen zu sagen gibt. Etwas verwundert mag man sich vielleicht die Augen reiben, das geschwindigkeitsmäßig schon sehr überschaubare „Kauan“ wird hier quasi in Slowmotion angeboten. Der Opener „Vastakaiun“ beginnt mit Percussion, panflötenartigen Tönen und schließlich einem einsamen Piano. Nun ist man ja nicht unbedingt des Finnischen mächtig und die freundlicherweise angefertigte englische Übersetzung der Texte gibt auch nicht allzu viel her, aber alleine von der Sprache der Musik fühlt man sich mitten hineinversetzt in den nordischen Frühling, der mit gewaltigen Schöpfungen das Erwachen der Natur ankündigt. Auch wenn nach etwa zwei Minuten klassische Bandinstrumente wie Schlagzeug oder Flöte und auch Gesang dazukommen, erkennt man sehr schnell, dass „Väre“ mit „Kauan“ nicht mehr viel zu tun hat. Wie scheue Kobolde huschen die Instrumente durch das Lied, sie tauchen kurz auf wie Irrlichter über einem einsamen Moor und verschwinden schon wieder, bevor man sie richtig wahrgenommen hat und schon sind acht Minuten vergangen. In der Retrospektive erscheint „Vastakaiun“ daher eher wie eine schamanische Dichtung denn wie ein Rocksong. Überhaupt wird hier alles sehr viel spärlicher eingesetzt und dennoch packen sie alles, was sie haben, in ihre Lieder. Herz, Seele und eigen Fleisch und Blut. Vielleicht ist die Instrumentierung deshalb so spärlich, ganz so, als ob jeder Ton mit einem Stück Leben bezahlt werden müsste. Ein hervorragendes Beispiel ist „Suortuva“, welches mit einer fast als eingängig zu bezeichnenden Violinenmelodie beginnt, welche in ein schmerzliches Wehklagen desselben Instrumentes mündet. Unterstützt wird es, als ob TENHI nicht so schon außergewöhnlich genug wären, durch ein Udu (nachschagen und erklären), welches die Melodie quasi im Bass mitspielt und der unglaublich berührenden Tonabfolge eine ungeahnte Tiefe verleiht. Der Mittelpart ist gekennzeichnet durch eine Klangcollage der einzelnen vertretenen Instrumente, welche nicht nur geborene Romantiker zum Träumen einlädt. Eigentlich kaum zu glauben, dass sich diese Lieder aus einfachen Experimentierphasen entwickeln (eventuell kann sich vorstellen, dass „Pink Floyd“ ihrer Zeit ähnlich an die Arbeit gegangen sind), aber Experimentieren ist wohl der Begriff, der den meisten Musikliebhabern bei diesen Tönen sofort in den Sinn kommt. Jeder Physiklehrer wäre wohl froh, wenn seine Experimente ähnlich erfolgsorientiert zu einem Ergebnis kommen würden.

Trotz aller Lobhudeleien fällt es dennoch nicht ganz leicht, ein der CD würdiges Fazit zu ziehen. „Väre“ ist auf der einen Seite genauso TENHI wie es „Kauan“ war und doch ist es etwas völlig anderes. Während „Kauan“ durch massivste Qualität in der Breite überzeugte, stechen auf „Väre“ mit den angesprochenen „Vastakaiun“ und „Suortuva“ zwei kleine Hits auf, aber zumindest auch „Vilja“ und „Yötä“ kann man ohne den kleinsten Anflug schlechten Gewissens als herausragende Highlights bezeichnen. Das soll freilich nicht heißen, dass das restliche Liedgut schlecht wäre, diese vier Songs sind aber quasi die Sahnehäubchen auf einem tollen Album. Konnte man auf „Kauan“ teilweise wirklich eingängige Melodien en masse ausmachen, verklausuliert sich „Väre“ durch die äußerst schamanistische Ausrichtung, die das Hören so interessant macht und etliche Entdeckungen auch nach vielen Durchläufen noch garantiert. Lieber Hörer, gebe TENHI also etwas von Deiner Zeit, Du wirst es nicht bereuen!

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Jan Müller

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert