Review Thief – Map Of Lost Keys

  • Label: Prophecy
  • Veröffentlicht: 2019
  • Spielart: Electronic

Unabhängig davon, ob man nun gläubig ist oder nicht, besteht doch kein Zweifel daran, dass die Religion im Lauf der Geschichte zahlreiche Künstler, Architekten und Musiker zu großartigen Werken inspiriert hat. Sogar im Black Metal, der sich meist als Gegner der Kirche präsentiert und doch ohne ebenjene wohl nicht einmal existieren würde, hat man inzwischen die Musik der Kapellen in Form von Chorgesängen und Orgeln für sich entdeckt. Im weitesten Sinne mag man auch THIEF, das experimentelle Musikprojekt von Dylan Neal, der zuvor bei den Avantgarde-Black-Metallern Botanist das Hackbrett spielte, als Auswuchs dieser modernen Renaissance der Kirchenmusik betrachten. Dabei könnte THIEF stilistisch von dem traditionellen Verständnis von Metal kaum weiter entfernt sein.

Obwohl Neal über seine Arbeit mit Botanist und seine Kollaboration mit Prophecy, einem Label, dessen Roster zu großen Teilen aus Black-Metal-Bands besteht, klare Bezüge zum schwarzen Genre hat, hört man diese seinem zweiten Album „Map Of Lost Keys“ nur wenig bis gar nicht an. Schreigesang, Gitarrenriffs und Blast-Beats sind in der Musik von THIEF nonexistent. Stattdessen werden die aus den verschiedensten Ländern zusammengetragenen und demnach mitunter sogar ziemlich exotisch klingenden, sakralen Gesänge hier mit jeder nur erdenklichen Form elektronischer Musik vermischt. Das Ergebnis ist ein Album voller Gegensätze, die doch auf ungeahnte Weise miteinander harmonieren, ein Album, das an Vielseitigkeit kaum zu überbieten und doch über die vollen 41 Minuten seiner Laufzeit hinweg in sich stimmig ist.

Einen einzelnen Track als repräsentativen Anspieltipp auszuwählen, ist schlichtweg unmöglich – es könnte ebenso gut jeder wie keiner sein. Mal verdingt THIEF sich mit ätherischen Ambient-Sounds („Gouging Out A Cave In Empty Sky“), mal dringt das Projekt in aggressive Industrial-Bereiche vor, wie etwa auf dem qualvoll ausgezehrten „Frost Breath“, und im von hektischen Rhythmen gezeichneten „Holy Regicide“, dessen Refrain sich fast schon schmerzhaft in die Gehörgänge bohrt, wähnt man sich sogar im Drum-And-Bass-Sektor. Zu den absoluten Höhepunkten des Albums zählen außerdem „Desert Djinn“, dessen ungewöhnliche Kombination aus lässigen Trip-Hop-Beats und zutiefst erhabenen Chören erstaunlich gut funktioniert, sowie „With Love, From Nihil“ mit seinen geradezu verstörend albtraumhaften, abgehackten Streicher-Samples.

Über all diesen synthetischen Verstrebungen schwebt Neals bemerkenswert intimer Gesang, der je nach Stimmung schwermütig, ausgelaugt oder sogar grotesk verfremdet klingt und damit die Inhalte seiner gleichermaßen spirituellen und persönlichen Texte nachvollziehbar zum Ausdruck bringt. Im abschließenden Siebenminüter „Spirit Archery“ fasst THIEF all seine textlichen und musikalischen Kontraste noch einmal zusammen: Während die Strophen geradezu himmlisch klingen, beschwört Neal im Refrain mit tief verzerrten Vocals und dröhnenden Bässen noch einmal die sinistre Stimmung herauf, welche die übrigen Tracks allesamt mehr oder weniger präsent in sich tragen.

Selbst für die Verhältnisse eines so eklektisch aufgestellten Labels wie Prophecy ist THIEF ein ausgesprochen sonderbares Projekt, das wohl so manchen Fan der sonstigen Veröffentlichungen des Labels vor den Kopf stoßen wird. Gerade dieser Aufgeschlossenheit gegenüber Unkonventionellem seitens Prophecy ist es jedoch zu verdanken, dass das Label mit „Map Of Lost Keys“ eines der ganz großen, wenn nicht sogar das größte musikalische Highlight des Jahres zu Tage befördert hat. Dem Amerikaner ist auf seinem zweiten Album mit der Vereinigung des Profanen mit dem Geistlichen das scheinbar Unmögliche und damit ein Werk gelungen, das selbst Hörer, die mit Electronic- und Kirchenmusik sonst nichts anzufangen wissen, in Staunen zu versetzen vermag.

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Wertung: 9 / 10

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