thief - the 16 deaths of my master

Review Thief – The 16 Deaths Of My Master

  • Label: Prophecy
  • Veröffentlicht: 2021
  • Spielart: Electronic

Mit „Map Of Lost Keys“ (2019) hat Dylan Neal alias THIEF das vermeintlich Unmögliche möglich gemacht und das Profane mit dem Sakralen vereint. Das zweite Album des ehemaligen Botanist-Hackbrettspielers, auf dem er in bahnbrechender Weise liturgische Gesänge in den Kontext unterschiedlichster Electronic-Stilrichtungen setzte, war die denkbar modernste Form einer spirituellen Erfahrung. Für die inmitten der COVID-19-Pandemie entstandene Nachfolgeplatte „The 16 Deaths Of My Master“ hat Neal sich nun – vielleicht aus Sehnsucht, vielleicht in freudiger Erwartung – von den vor dem Lockdown mit THIEF gespielten Live-Shows inspirieren lassen. Das Ergebnis klingt – wenig verwunderlich – um einiges weltlicher als seine ersten beiden Werke.

Wer „Map Of Lost Keys“ gerade wegen seiner visionären Kontraste beeindruckend fand und mit synthetischer Musik ansonsten nicht viel am Hut hat, wird den mit seiner einstündigen Laufzeit deutlich umfangreicheren Nachfolger erst einmal befremdlich finden. In den ersten und letzten Tracks der Platte verzichtet THIEF nahezu gänzlich auf zeremonielle Klänge und dazwischen dienen die beschwörenden Chöre und anderen Samples größtenteils der hintergründigen Stimmungsmache. Im Gegenzug macht Neal umso mehr Gebrauch von der künstlerischen Freiheit, die das zeitgenössische Musikspektrum hergibt.

Eine immerzu knurrende Synthesizer-Grundierung lässt „The 16 Deaths Of My Master“ mächtig und aggressiv klingen, während THIEF die Rhythmik der vielseitigen Beats und pumpenden Bässe komplexer denn je gestaltet („Teenage Satanist“). Ruhepausen wie das sphärische Ambient-Stück „Life Clipper“ gibt es nur wenige, es dominieren klanggewaltige Stücke wie die von einer unglaublich bedrohlichen Orgel vereinnahmte Trip-Hop-Nummer „Scorpion Mother“. Angesichts der kryptischen, zugleich aber auch oft ungewohnt direkten und wütenden Texte, die sich um abgründige Themen wie Drogensucht und Rebellentum drehen, hat Neals Hinwendung zu harscheren Sounds durchaus einen erkennbaren Zweck.

Auch seiner Stimme entlockt der Einzelkünstler seine bislang intensivsten, aber auch kreativsten Töne. So lässt er seinen teils jammervollen („Fire In The Land Of Endless Rain“), teils hypnotischen („Crestfaller“) Gesang etwa in „Gorelord“ von einer Sekunde zur nächsten in dämonische Screams umschlagen („Gorelord“). Neals protzige Performance in „Night Spikes“ kann man getrost als blasphemischen Gangsta-Rap bezeichnen. Die abgehackten, leise hallenden Gesangsschnipsel im dynamischen, von kalten Klangflächen durchzogenen „Apple Eaters“ würde man gar einer Billie Eilish zutrauen – eine gar nicht so abwegige Parallele, zeichnet Produzent John Greenham doch sowohl auf deren Hit-Debüt „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ (2019) als auch hier für das Mastering verantwortlich.

Paradoxerweise ist die künstlerische Weiterentwicklung, die THIEF auf „The 16 Deaths Of My Master“ manifestiert, zugleich faszinierend und dezent enttäuschend. In seinen besten Momenten klingt das Album größer, vielschichtiger und freigeistiger als alles, was der Solomusiker zuvor veröffentlicht hat. Durch den vielfältigeren Einsatz elektronischer Sounds und verschiedener Gesangstechniken, aber auch organischer Instrumente wie Gitarre, Cembalo und Orgel hat Neal, der die Musik im Übrigen allein und fast ausschließlich in seinem Apartment aufgenommen und gemixt hat, sich völlig neue Möglichkeiten des Ausdrucks eröffnet. Dennoch vermisst man in den herkömmlicheren Electronic-Tracks („Wing Clipper“, „Grave Dirt“) mitunter das Besondere oder auch nur packendes Songwriting. Vielleicht hätte THIEF gut daran getan, seinem Meister ein paar Tode weniger zuzufügen.

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Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

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