Und sonst so … November & Dezember 2019


Metal ist eines der der lebendigsten Genres, die es gibt. In der Folge ist es bei der mittlerweile enormen Zahl an Veröffentlichungen schier unmöglich geworden, sämtliche Alben in ausführlichen Reviews vorzustellen. In unserer Rubrik „Und sonst so …“ kommen deswegen in Form von Kurz-Kritiken ein paar der Alben zur Sprache, die trotz Zeitmangel und Überangebot nicht unter den Teppich fallen sollten.


Eskimo Callboy - Rehab

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ESKIMO CALLBOY waren eine relativ verrückte Metalcore-Kapelle, was nicht nur anhand ihres Namens zu belegen ist. Auf ihrem Studioalbum „Rehab“ zeigen sie sich aber zahmer und teils mit angezogener Handbremse, was den Spaß an der Platte deutlich schmälert. Die ersten sechs Songs rattern in belangloser Alternative-Rock-Manier mit leichter Trance-Untermalung weitgehend an einem vorbei. Keine großartigen Wutausbrüche, Screams nur als kleine Randnotiz. In der zweiten Hälfte flackern diese Ansätze zumindest auf. „Supernova“ mit Bläser-Einsatz oder der Songwriter-/Core-Hybrid „Nice Boi“ überzeugen etwas mehr. Im Großen und Ganzen nähern sich ESKIMO CALLBOY leider dem belang- und zahnlosen Rock an, der ihre vorher oft richtige Mischung aus Härte und Melodik nur selten zulässt. Mehr Songs im Stil von „We Are The Mess“ oder „MC Thunder“ wären wünschenswert, ja eigentlich ein Muss gewesen.

[Christian Denner]


Coldplay - Everyday Life

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COLDPLAY haben Musikfans vier Jahre auf ihr achtes Studioalbum „Everyday Life“ warten lassen. Die 16 Songs wurden in zwei Kapitel unterteilt, die sich „Sunrise“ und „Sunset“ nennen. An ihrem grundsätzlichen Stil haben die Briten nicht viel verändert. Entschleunigter, beinahe sphärischer Pop-Rock trifft auf teils genrefremde Elemente. Was den Musikern besonders gut gelingt, ist das Besinnen auf die Anfangstage ihrer Karriere. Viele Titel erinnern an die ersten beiden Longplayer „Parachutes“ und „A Rush Of Blood To The Head“, was auch einige Art-Rock-Tendenzen mitschwingen lässt. Neben diesem bewährten Stil orientieren sich COLDPLAY an Gospel („Broken“), Jazz („Arabesque“) oder Ambient/Post-Rock („Bani Adam“). Wer bisher kein Freund der Briten war, wird es mit „Everyday Life“ wohl auch nicht werden. Für Fans, denen Teile der letzten Releases zu poppig waren, ist es wieder ein Schritt in die richtige Richtung. Stillstand scheint für Chris Martin und seine Kollegen ein Fremdwort zu sein.

[Christian Denner]


Hootie & The Blowfish - Imperfect Circle

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Es gibt Bands, die auch nach über 30 Jahren nichts an ihrem Stil verändert haben und gerade dadurch die Herzen und Gehöre ihrer Fans erfreuen. HOOTIE & THE BLOWFISH sind so ein Phänomen, die mit ihrer 1994 erschienenen Debüt-Single „Hold My Hand“ wohl den besten Song ihrer Karriere ablieferten. Auch im Jahr 2019 erinnern viele Titel ihres sechsten Studioalbums „Imperfect Circle“ an den Hit aus den 90ern. Radiofreundlicher Alternative Rock wird mit Elementen aus Blues und Country angereichert. Vor allem Darius Ruckers soulige Stimme umschmeichelt die Seele mit ihrer Wärme und ihrem unverwechselbarem Timbre. Wer HOOTIE & THE BLOWFISH kennt, der weiß was ihn mit den 13 neuen Songs erwartet. Das ist in diesem Fall in keiner Weise negativ. Die Band macht mit ihrer leichten Kost viel Spaß und erinnert an eine Musikära, die fast in Vergessenheit geraten ist. Die Rockmusik der 90er hatte viele schöne Seiten und „Imperfect Circle“ lebt sie mit jedem Ton.

[Christian Denner]


Infinitas - Infernum

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Mit „Infernum“ legen die Schweizer INFINITAS ihr zweites Full-Length und den ersten Teil der „Memoria“-Trilogie vor, die die Geschichte des 2017er Debüts „Civitas Interitus“ weiter erzählt. Aufgenommen und produziert wurde das neue Album bei Tommy Vetterli (Coroner, ex-Kreator) im New Sound Studio. Mit insgesamt fünf Interludes kommen die 13 neuen Stücke auf knapp 52 Minuten Laufzeit, die vor allem durch die Mischung aus harten Riffs und der im Kontrast stehenden Geige bestechen. Gesanglich stehen sich harsche Screams und ausdrucksstarke weibliche Clean-Vocals gegenüber. INFINITAS legen ein spannendes Werk vor, das sich qualitativ glücklicherweise über das Cover-Artwork erhebt und vor allem mit seinen Langstücken „Afanc“ und „Lilith“ punkten kann. Auch „Tiamat“ mit Gastsänger Chrigel Glanzmann (Eluveitie) ist ein Kleinod, das sich hören lassen kann.

[Christian Denner]


Hideous Divinity - Simulacrum

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2019 war ohnehin ein wahnsinnig starkes Jahr für Technical Death Metal. Kurz vor Jahresende legen jedoch die italienischen HIDEOUS DIVINITY noch mal ordentlich nach und setzen sich zusammen mit ihren ebenfalls in Rom ansässigen Kollegen von Hour of Penance an die Spitze der diesjährigen Beiträge in diesem Genre. Ebenso wie deren zwei Wochen früher erschienenes Werk “Misotheism” knüppelt auch HIDEOUS DIVINITYs “Simulacrum” erbarmungslos alles nieder, bleibt dabei aber stets filigran und über die 40 Minuten Laufzeit durchgehend spannend. Ein Tech-Death-Geniestreich.

[Simon Bodesheim]


Schammasch - Hearts Of No Light

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Mit dem Triple-Album “Triangle” hatten SCHAMMASCH 2016 ein starkes Werk auf die Beine gestellt, das sich geschickt in den “Sophisticated German Black Metal” von Bands wie Secrets of the Moon einzureihen verstand. Nach einem eher ernüchternden Intermezzo mit der Ambient-Black-/Doom-Metal-EP “The Maldoror Chants: Hermaphrodite” sind die Schweizer nun zu ihrem progressiven Black Metal zurückgekehrt. Doch so wirklich zünden will auch auf “Hearts Of No Light” nur wenig. In den besten Momenten erreicht das Album zwar durchaus das Niveau von “Triangle”, in den schwächsten strauchelt die Platte aber mit wenig gelungenen Experimenten. So etwa mit “A Paradigm Of Beauty”, das den Hörer mit enorm nervigem Clean-Gesang belästigt, oder mit dem abschließenden 15-Minüter “Innermost, Lowermost Abyss”, der auch nicht so recht weiß, was er zwischen Ambient-Track, Tribal-Getrommel und Akustikgitarrenstück eigentlich sein will und deshalb vorsichtshalber einfach mal alles auf einmal ist. Nur eben nicht gut. Mag das alles zwar wesentlich stimmiger sein als die letzte EP, wird “Hearts Of No Light” dem zweifellos vorhandenen Talent, das SCHAMMASCH auf “Triangle” noch demonstriert hatten, dennoch leider – trotz einiger wirklich toller Songs – nicht so ganz gerecht. Schade.

[Simon Bodesheim]


Mortuary - The Autophagous Reign

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Trotz ganzer 30 Jahre des Bestehens ist “The Autophagous Reign” erst das sechste Album der französischen Band. Wenn man allerdings eine solche Qualität abliefert, sollte das verzeihbar sein. MORTUARY spielen ihren thrashigen Death Metal gekonnt und haben ihn auch angemessen fett produzieren lassen. Wie so oft sind auch hier die kürzesten Songs die gelungensten, doch auch die längeren Tracks mit einer Laufzeit von fünf bis sieben Minuten können sich hören lassen. Ein rundum gelungenes Album, auch wenn hieran nichts einzigartig oder innovativ ist.

[Simon Bodesheim]


Riverside - Acoustic Session (EP)

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RIVERSIDE haben vier Songs aus ihrem Repertoir als Unplugged-Versionen neu eingespielt und als EP unter dem Namen „Acoustic Session“ veröffentlicht. Daran lässt sich auch nur wenig aussetzen, teilweise funktionieren die Songs in dieser Form sogar besser. Schöner wäre es deshalb gewesen, wenn die Band sich noch zwei oder drei andere Stücke vorgenommen hätte, statt eher sinnbefreit jenen Ambient-Track mit auf die EP zu packen, der auf der letzten Tour in der Umbaupause vom Band abgespielt wurde und schon dort eher langweilte. Und der mit seinen neun Minuten auch gleich mal ein Drittel der kompletten Laufzeit einnimmt. Eine Fehlentscheidung, die die potenziell sehr tolle EP letztlich den Status eines Pflichtkaufs kostet.

[Simon Bodesheim]


ADE - Rise Of The Empire

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Drei Jahre nachdem die noch immer unbegreiflicherweise ziemlich unbekannten, italienischen Symphonic-Death-Metaller ADE Catos Forderung aufgegriffen haben, dass Karthago zerstört werden müsse, kehren sie nun mit “Rise Of The Empire” zurück, um erneut die ereignisreiche Geschichte ihrer Heimatstadt Rom musikalisch aufzuarbeiten. Und noch immer erzeugen ADE mit ihrer Musik eine einzigartige Atmosphäre, indem sie mit genrefremden, traditionellen Instrumenten auf eine antike Stimmung abzielen und erweisen sich damit als eine der spannendsten modernen Death-Metal-Bands. Mag auch nicht jeder Song auf “Rise Of The Empire” ein Überhit sein, lässt sich die durchgehend starke Performance schwer leugnen.

[Simon Bodesheim]


Mechina - Telesterion

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(Symphonic Metal / Industrial Metal / Extreme Metal) „Telesterion“ führt die epische Sci-Fi-Saga die MECHINA für ihre Musik entworfen haben, nach dem letzten, hervorragenden Kapitel „As Embers Turn To Dust“ weiter. Doch so richtig wollte das Album nicht zündern – auch nicht bei der treuen Fangemeinde des Projekts, sodass inzwischen bereits eine Art Einigkeit darüber herrscht, dass es sich hier um das bisher schwächste Werk der Band handelt. Den Songs fehlt die Zugkraft, die massiven orchestralen Elemente wirken dieses Mal eher erdrückend statt bereichernd und selbst der wundervolle Gesang von Mel Rose wird hier in Langweilern wie “Realm Breaker” verbraten. Das hat das Sci-Fi-Symphonic-Industrial-Extreme-Metal-Projekt auf dem Vorgänger wesentlich besser hinbekommen. Immerhin ein würdiger Hit ist MECHINA auf “Telesterion” gelungen: Der Kracher-Track “Tyrannos”.

[Simon Bodesheim]


Immanifest - Macrobial

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“Macrobial” dürfte eines der schwierigsten Alben sein, die man 2019 zu hören bekam. Schwierig deshalb, weil der Technical/Symphonic Death Metal der US-Amerikaner IMMANIFEST derart kompliziert und hyperaktiv daherkommt, dass es mehrere Durchläufe braucht, bis hier wirklich etwas hängenbleibt. Das ist auch gleichzeitig die große Schwäche der Platte. IMMANIFEST jedoch retten sich über die hervorragenden Einzelteile, aus denen die Songs aufgebaut sind. Auch wenn die Formation diese arg beliebig zusammensetzt und ihre Musik dadurch eben unnötig anstrengend und verworren macht, lässt sich schwer bestreiten, dass die Band in der Lage ist, großartige Riffs mit tollen Symphonic-Arrangements zu komponieren.

[Simon Bodesheim]


Prag 83 - A Fire's Blessing (EP)

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Nach seiner im Mai veröffentlichten Wahnsinns-EP “Énoument” hat der deutsche Musiker hinter PRAG 83 mit einer weiteren kleinen EP nachgelegt. Obwohl auch “A Fire’s Blessing” mit seinen geschmackvollen Clean-Gitarren-Arrangements und dem melancholisch-ruhigen Gesang durchaus zu gefallen weiß, erreicht die Dark-Neofolk-Platte nicht ganz die Klasse der Vorgänger-EP. Wunderschön ist aber auch die Musik auf dieser Veröffentlichung, auch wenn man zusätzlich zum perfekt auf die EP passenden Cover des Townes-Van-Zandt-Songs “Nothin’” vielleicht doch noch gern einen weiteren Original-Song des talentierten Songwriters hinter PRAG 83 gehört hätte.

[Simon Bodesheim]


Second To Sun - Legacy

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Die russische Metal-Band mit der erstaunlich hohen Release-Rate hat nach ihren beiden 2018er-Alben schon wieder die nächste Platte veröffentlicht. Der musikalische Ansatz, ihren Black Metal modern und progressiv aufzuziehen, gefällt auch auf „Legacy“ sehr. Dennoch kann auch dieses Album nicht wirklich begeistern. Auf jeder der bisherigen Platten von SECOND TO SUN finden sich ein paar sehr coole Tracks wieder, aber nie genug, dass ein Album als Ganzes mal wirklich heraussticht. Vielleicht sollten die Russen sich doch einfach mal mehr Zeit nehmen, ihre Songs wirklich gut auszuarbeiten statt auf möglichst hohe Durchsatzrate zu setzen. Sonst wird für SECOND TO SUN immer das Prinzip “Masse statt Klasse” gelten.

[Simon Bodesheim]


Publiziert am von Christian Denner und Simon Bodesheim

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