Review Angra – Best Reached Horizons

ANGRA teilen sich zusammen mit einem brasilianischen Atomkraftwerk den Namen der Feuergöttin aus der brasilianischen Mythologie. Und tatsächlich: In den besten Phasen ihrer nunmehr 20-jährigen Bandgeschichte verfügten sie über vergleichbare Energiereserven wie die beiden Namenspartner. Momentan kann man das freilich nicht behaupten – fehlt doch seit Mai 2012 ein aktiver Sänger. Jetzt, zum Jubiläum, rappelt sich die Band auf und veröffentlicht ihr erstes Best-of unter dem Titel „Best Reached Horizons“. Im Januar soll die Reise auch live weitergehen, wenn die Brasilianer zum ersten Mal mit ihrem zukünftigen Vokalisten auftreten werden.

Wer noch auf der Suche nach einem repräsentativen Überblick über das Werk der Band ist, bevor sie wie Phoenix aus dem Abklingbecken wieder aufersteht, wird mit „Best Reached Horizons“ eine gute Gelegenheit finden. Der technische Vorteil dieses Best-ofs liegt in der Labeltreue der Musiker um Gitarrist Rafael Bittencourt: Sämtliche Alben wurden bisher über SPV/Steamhammer veröffentlicht, so dass keine Lizenzprobleme die Kompilation stören. Entsprechend breit ist die Auswahl auf den beiden CDs: Jedes Studioalbum wurde mit zwei Titeln bedacht, das großartige Debüt gar mit vieren. Bis auf „Evil Warning“ (1994) haben es zudem alle EPs mit je einem Track auf „Best Reached Horizons“ geschafft. Für die Auswahl also: Daumen hoch!

Interessant ist bei Best-ofs stets die Anordnung der Lieder: in klassisch-konventioneller Art und Weise chronologisch oder kreativ neu arrangiert? Hier gehen ANGRA auf Nummer sicher. Die Reihenfolge entspricht der Genese der Lieder, sieht man einmal von der Platzierung der einzigen Live-Nummer auf dem Album ab, des über 13-minütigen „Carolina IV“. Zudem wurde auf eine gute Aufteilung der CDs geachtet: CD1 enthält die Phase mit dem brasilianischen Ausnahmesänger Andre Matos, CD2 die Werke mit dem (zumindest auf Scheibe) nicht minder guten, aber eben ganz anderen Eduardo Falaschi.

Dies erlaubt einen verlässlichen Überblick über die Veränderungen im Stil der Band: Anfangs spielte sie den bei Südamerikanern so unglaublich beliebten European Power Metal, was dadurch unterstrichen wurde, dass ihr Debüt in Kai Hansens Studio in Hamburg aufgenommen und von Charlie Bauerfeind und Sascha Paeth produziert wurde – deutlicher geht die Anlehnung nicht. Später schlichen sich immer wieder progressive Elemente in die Musik (gut zu hören z. B. bei „Hunters And Prey“) und auch vor poppigen Melodiebögen machte man nicht Halt („Carolin IV“, natürlich auch in der Coverversion von Kate Bushs „Wuthering Heights“). In späteren Jahren, besonders mit dem zu etwas tieferem und rauem Gesang fähigen Falaschi am Mikrofon, gab es einen sanften Stilwechsel: Angra erlauben sich seitdem etwas härtere Passagen (z. B. auf „Spread Your Fire“) und klingen insgesamt erwachsener, wie die Songs des großartigen Albums „Aurora Consurgens“ (2006) belegen. Eine nette, letztlich aber auch belanglose Coverversion von Led Zeppelins „Kashmir“ rundet die insgesamt 20 Tracks starke Kompilation schließlich ab.

Fazit: ANGRA sind eine der besten südamerikanischen Power-Metal-Bands, die allerdings in ihrer starken Anlehnung an die europäische Spielart der 90er-Jahre sicher nicht jedermanns Geschmack treffen werden. Wen das nicht schreckt und wer die verschiedenen Facetten der Band auf einen Blick kennen lernen will, trifft mit diesem Best-of eine gute Wahl.

Keine Wertung

Publiziert am von Marc Lengowski

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