Mit ihrer Band DYMNA LOTVA bekommen sie gerade erst internationale Aufmerksamkeit – da haben die in Polen lebenden Belarussen und ihr von dort stammender Drummer bereits das nächste Eisen im Feuer: HANGOVER IN MINSK. Im exklusiven ersten Interview zum neuen Projekt sprechen wir mit Komponist Jauhien und Sängerin Nokt über Herzen aus Glas und Kühe in Bars – und erfahren nebenbei noch, wie es zu dem neuen Projekt kam, wie sie es so schnell zu einem Debüt-Album gebracht haben und was man sich künftig von beiden Bands erwarten darf.
Ihr habt die Band auf dem Rückweg vom Dark Easter Metal Meeting 2024 gegründet – wie kann man sich das genau vorstellen?
Jauhien: Das ist ganz einfach. Ich erkläre das mal. Stell dir vor, du fährst verkatert in einem Van. Ihr wollt etwas Hintergrundmusik laufen lassen. Aber es sollte etwas sein, das dich nicht mit Schwere oder Geschwindigkeit erdrückt. Aber es muss trotzdem die Art von Musik sein, die du liebst. Zum Beispiel Black Metal. Du fängst an, verschiedene Songs von Spotify abzuspielen, aber in diesem Zustand gefällt dir gar nichts. Alles ist entweder zu schnell oder zu schwer, irgendetwas passt einfach nicht. Irgendwann fängt man an zu diskutieren, welche Art von Musik wir brauchen. Und im Scherz kommt man zu dem Schluss, dass es einen speziellen „Hangover Metal“ geben muss. Dann fängt der Witz an, sich zu konkretisieren – und da sind wir.
Nokt: Ich persönlich erinnere mich daran, dass jemand den Satz „We are hangover endorsers“ sagte und ein anderer meinte, dass das ein tolles T-Shirt sein könnte. Aber so ein Merch-Konzept passt nicht zu DYMNA LOTVA. Jetzt haben wir solche T-Shirts.
Ich habe gelesen, dass euer Schlagzeuger währenddessen geschlafen hat und dann vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Wie hat er reagiert?
Jauhien: Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass er es ernst genommen hat. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Dummheiten man sich auf Tour einfallen lassen kann. Er hat nur so etwas gesagt wie: „Ah. Okay.“ Und ist wieder eingeschlafen.

Ihr wart auf dem Weg nach Warschau, wo ihr derzeit lebt – warum dann HANGOVER IN MINSK?
Nokt: Weil es eine Möglichkeit ist, alle daran zu erinnern, woher wir kommen – auch uns selbst. Es ist eine Hommage an unsere Heimatstadt. Es ist ein Weg, dem Namen eine Einzigartigkeit zu verleihen. Und schließlich gefällt uns einfach der Klang des Namens. Außerdem haben sich die meisten Geschichten, die auf dem Debütalbum erzählt werden, in Minsk abgespielt.
Eine spontane Idee wie diese ist das eine – aber dann innerhalb eines Jahres ein ganzes Album zu schreiben, aufzunehmen und zu veröffentlichen … und das mit beeindruckend guter Musik, das ist schon eine Leistung. Wie habt ihr das geschafft?
Jauhien: Vielleicht haben die Jungs es eher als Scherz aufgefasst, aber mir gefiel die Idee. Und im April/Mai habe ich Musik geschrieben, die mehr oder weniger zum Konzept passte. Später habe ich die Demos aufgenommen und sie den Jungs gezeigt. Wir haben entschieden, dass wir sie veröffentlichen müssen, aber nicht übereilt. Die Aufnahme des nächsten Albums von DYMNA LOTVA hatte eigentlich Vorrang. Aber als Michael uns zum Dark Easter Metal Meeting 2025 eingeladen hat, war klar, dass wir bis dahin alles fertig aufgenommen und veröffentlicht haben mussten. Und von diesem Moment an lief die Arbeit auf Hochtouren. Mit Blut und Schweiß haben wir die Deadline eingehalten.
Würdet ihr sagen, dass ihr euer Ziel erreicht habt – ist „Party Is Over“ das Album geworden, das ihr verkatert im Bus anwerfen würdet?
Jauhien: Vielleicht ist das Album nicht ganz so geworden, wie wir es uns im Bus vorgestellt haben. Es ist besser geworden. Ich persönlich habe mir das Album mit einem Kater angehört – ich mag es.
Nokt: Für mich persönlich ist es eher ein Album zum Trinken geworden. Wirklich verkatert will ich etwas Sanfteres hören. Aber es ist kein angenehmer europäischer Kater, es ist ein HANGOVER IN MINSK!

Musikalisch erinnert mich das Album mit seinen kurzen, extrem eingängigen Melodien sehr an Lifelover, stellenweise aber auch an Shining oder Harakiri For The Sky. Der Gesang wiederum lässt an Onielar/Bethelehem denken. Sind das Bands, die ihr auch als Einfluss für dieses Projekt nennen würdet?
Jauhien: Ich würde wahrscheinlich Vanhelga, Shining und Psychonaut 4 als mögliche Einflüsse nennen. Außerdem habe ich Shining und P4 als Beispiel dafür gehört, dass man auch bei DSBM einen guten Sound machen kann und sollte. Am Rande bemerkt: Es ärgert mich wirklich, dass moderner DSBM zu einer Art Brummen und Furzen verkommen ist, obwohl Klassiker wie Silencer wirklich guten Sound haben.
Nokt: Beim Gesang und Konzepten habe ich normalerweise keine Zielsetzung, ich mag es nicht, die Arbeit oder den Sound von jemandem zu wiederholen. Man kann viele Zitate finden, von Lana Del Rey bis hin zu einem kurzen TikTok-Trend. Vielleicht ähnelt meine Stimme manchmal einer anderen Sängerin, einfach weil wir zum gleichen Genre gehören, und man ist immer jemandem ähnlich. Aber ganz ehrlich, ich mag es nicht, mit meinen Kolleginnen verglichen zu werden. Wenn wir über die allgemeine Stimmung sprechen, könnte HANGOVER IN MINSK vielleicht zu „Lifelover/P4/Vanhelga ohne Drogenthemen“ passen.
Das Album hat ein ziemlich beeindruckendes Artwork – wie kam es zu dem Cover mit dem Glasherz als Weinglas?
Nokt: Normalerweise habe ich eine Idee für ein Cover, bevor die Albumaufnahme beginnt. Aber in diesem Fall war das überhaupt nicht so. Wir haben die Idee nicht sofort gefunden, sondern es hat lange gedauert, bis wir ein Konzept gefunden hatten, die allen gefallen hat. Es blieb nur sehr wenig Zeit. In einem Moment habe ich mir gerade Pinterest-Bilder zum Thema Alkoholismus angeschaut. Da sah ich eine Skizze eines Glases, das wie ein anatomisches Herz geformt war. Da kam mir die Idee, dass es ziemlich konzeptionell wäre, ein solches Glas zu zerbrechen. Den anderen hat die Idee gefallen.
Wie ist das Bild entstanden – es sieht aus wie eine echte Fotografie?
Nokt: Das ist ein echtes Foto, und die Kernidee war eben, dass es ein echtes Foto sein sollte. Es ist sehr einfach, so etwas zu zeichnen, aber dann geht der Witz verloren. Und es war sehr schwierig, ein solches Foto zu machen. Es ist das teuerste und komplizierteste Cover in unserer Geschichte. Zunächst einmal braucht man ein echtes Glas in Form eines anatomischen Herzens. Wir hatten nicht einmal erwartet, eines zu finden. Wir haben schließlich ein handgefertigtes Glas aus Spanien bestellt. Zweitens muss man den Moment des Zerbrechens fotografieren, es geht um Millisekunden. Das ist nicht besonders schwierig, aber man braucht eine spezielle Ausrüstung und einen Profi, der weiß, wie man damit arbeitet. Das kostet Geld. Drittens muss das Glas schön zerbrechen. Das ist nicht so einfach, wie es scheint. Am Ende wurde das Glas mit einer Pistole zerschossen. Unser Freund aus dem Kalinouski-Regiment (übrigens derselbe, der in dem ‚Live!“-Video von DYMNA LOTVA mitgespielt hat) hat uns dabei sehr geholfen. Und da das Glas nicht billig war, wurde das Cover in einem einzigen Versuch aufgenommen. Das Video vom Shooting findet ihr übrigens auf unseren sozialen Netzwerken.
Wie sieht es mit dem Konzept des Albums aus: Bilden die Songs in der Albumreihenfolge eine „Chronologie des Rausches“, wie es Urfaust mit „Teufelsgeist“ getan haben, oder geht es eher lose um die Themen Rausch und Kater?
Nokt: Die Songs sind getrennt und unabhängig voneinander entstanden, aber in der Postproduktionsphase haben wir sie in eine logischere Reihenfolge gebracht. Also ja, jetzt ist es eine Chronologie des Rausches, wohl direkt nach dem vorherigen Rausch: Wir beginnen also mit einem Kater und enden mit dem Beginn des neuen. Versuch mal, das Album auf Repeat zu hören – „Farewell“ kommt ganz logisch nach „Party Is Over“.

Ich mag den Songtitel „Morning Mourning“ – aber ich bin auch beeindruckt, dass noch niemand auf diesen Titel gekommen ist. Wann hattet ihr die Inspiration dazu?
Nokt: Ich bin eine Eule, ich habe mein ganzes Leben lang den Morgen gehasst. Dieser Satz ist also nicht neu für mich, ich benutze ihn schon seit Jahren.
„The Cow Was Stolen From The Bar“ wirft auch Fragen auf …?
Jauhien: Uhh. Das ist ein Insider-Song.
Nokt: Die Kuh ist immer in unseren Herzen!
Ihr habt auch ein paar Gäste auf dem Album – Déhà und Kim Carlsson. Wie kam es zu diesen beiden Gastbeiträgen?
Nokt: Wir kennen Déhà schon sehr lange: Ich war 2018 oder 2019 Gastsänger bei „The Penitent“, dann war er Schlagzeuger bei DYMNA LOTVAs letztem Album, mischte das Album von Absence Of Life, einem Projekt unseres Ex-Gitarristen, ich nahm wieder einige Vocals für ihn auf … er ist ein guter Freund und fantastischer Sänger, also war es naheliegend, ihn einzuladen. Wir alle lieben es, mit ihm zu arbeiten. Was Kim angeht – wir haben ihn letzten Herbst bei The Sinister Feast getroffen. Es war eine große Überraschung, dass er unsere Musik kannte. Nach unseren Shows haben wir ein paar Bier zusammen getrunken – okay, eine Menge Bier! Wenn wir ihn dort nicht getroffen hätten, hätten wir uns vielleicht nicht getraut, eine so berühmte Person einzuladen. Also fragten wir Prophecy einfach nach seiner E-Mail, und ich schrieb ihm so etwas wie „Es ist Nokt, wir haben zusammen getrunken, lasst uns ein Lied über Bier singen!“
Eure „richtige“ Band, DYMNA LOTVA, gibt es nun schon seit zehn Jahren – und bisher seid ihr der Band auch alle treu geblieben. Jetzt wird die Aufmerksamkeit für DYMNA LOTVA immer größer. Ist das der richtige Zeitpunkt, um eine zweite Band zu gründen?
Jauhien: Wie ich bereits gesagt habe, ist es nicht so, dass wir uns den Zeitpunkt für das zweite Projekt ausgesucht haben. Es hat sich einfach von selbst ergeben. Ich denke nicht, dass HANGOVER IN MINSK in irgendeiner Weise mit DYMNA LOTVA in Konflikt geraten kann.
Nokt: Aus meiner Sicht ist jetzt der beste Zeitpunkt. DYMNA LOTVA wird bekannter, aber nicht zu berühmt – wir haben keine zweimonatige Welttournee, wir können uns Zeit für ein anderes Projekt nehmen. Wir sind bereits erfahren genug, um zu wissen, wie man effektiv an einem neuen Projekt arbeitet. Und jetzt haben wir zum ersten Mal in unserem Leben einen Booking-Manager, sodass wir Festivals und Shows für DYMNA LOTVA nicht mehr selbst buchen müssen, sodass die Zeit, die wir damit verbracht haben (eine Menge Zeit und Mühe!), jetzt für etwas anderes frei geworden ist. Das Gleiche gilt für die Veröffentlichung von Musik in digitaler und physischer Form – jetzt haben wir Prophecy, die das für DYMNA LOTVA machen, sodass wir das nicht mehr selbst machen müssen. Sieht so aus, als wäre der Moment perfekt für etwas Lustiges.

Ist es vielleicht sogar strategisch gut, mit mehreren Bands breiter aufgestellt zu sein, oder Festivals Doppelshows mit zwei Projekten anbieten zu können, wie es verschiedene Bands jetzt machen?
Jauhien: Doppelshows auf Festivals sind super und praktisch. Wir gehen sowieso auf das Festival und geben Geld für die Anreise aus. Außerdem hilft die eine Band der anderen, was die Promotion angeht.
Nokt: Stimmt, Doppelshows sind ein tolles Konzept. Nur besser an verschiedenen Tagen.
Ihr habt eure erste Show auf dem Dark Easter Metal Meeting 2025 gespielt – wir können davon ausgehen, dass es nicht eure letzte sein wird – also werdet ihr HANGOVER IN MINSK ernsthaft weiterführen?
Nokt: Ja, natürlich! Wir haben die HANGOVER IN MINSK-Show zu sehr genossen, um jetzt damit aufzuhören. Diesen August werden wir die erste polnische HANGOVER IN MINSK Show auf dem Niech Cisza Milczy Festival spielen, und HANGOVER IN MINSK ist bereits für Österreich gebucht.

Im Gegensatz zu DYMNA LOTVA wurde das Album nicht bei Prophecy veröffentlicht, sondern über Mork Stork Productions. Wie kam es dazu?
Nokt: Wir wollten das Album unbedingt noch vor dem Dark Easter Metal Meeting herausbringen. Leider ist eine so schnelle Veröffentlichung bei keinem großen oder mittelgroßen Label möglich. Aber wir arbeiten sehr gerne mit Prophecy zusammen, also vielleicht für die nächste HANGOVER-Veröffentlichung … wer weiß? Martin Koller hat gesagt, dass er die Musik mag.
Was passiert jetzt – werdet ihr als Nächstes wieder Material für DYMNA LOTVA oder für HANGOVER IN MINSK schreiben, oder wird das jeweils spontan entschieden?
Jauhien: Die Musik für DYMNA LOTVA ist bereits für mehrere Alben im Voraus geschrieben worden. Es gibt also im Moment keine Notwendigkeit, etwas Neues zu komponieren. Deshalb konzentriere ich mich jetzt, was das Komponieren angeht, mehr darauf, neues Material für HANGOVER IN MINSK zu schreiben. Aber was die Produktion angeht, machen wir gerade ein DYMNA-LOTVA-Album. Der größte Teil des Albums ist bereits aufgenommen!
Lass uns das Interview mit einem kurzen Brainstorming beenden. Was kommt euch als Erstes in den Sinn, wenn ihr die folgenden Begriffe hört?
Jauhien/Nokt zusammen:
Deutschland: Gutes Bier und eine Menge toller Festivals
Streaming: Ohne Spotify lässt es sich nur schwer leben
Papst Leo XIV: Katzen mit BHs auf dem Kopf
Black Metal: Schönheit
Rotwein: Kann man auf Tour gut mit Cola mischen.
HANGOVER IN MINSK in zehn Jahren: ALCOHOLISM IN WARSAW
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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