Interview mit Fernando Ribeiro von Moonspell

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MOONSPELL waren noch nie dafür bekannt, künstlerisch auf der Stelle zu treten – daran änderte sich auch mit ihrem zwölften Album „1755“ nichts. Für die musikalische Umsetzung ihres Konzepts über das große Erdbeben von Lissabon haben die portugiesischen Gothic-Metaller vermehrt auf symphonische Elemente, Growls und Texte in ihrer Landessprache gesetzt. Im folgenden Interview mit Sänger Fernando Ribeiro könnt ihr mehr über die Hintergründe der Platte, die Entwicklung der Band und die Ausrichtung des kommenden Albums lesen.

Zuerst mal herzlichen Glückwunsch: Dieses Jahr wurden MOONSPELL 25 Jahre alt! Wie fühlst du dich, wenn du dir das vor Augen führst?
Danke dir. Ich habe da offensichtlich gemischte Gefühle, so wie ich sie von Anfang an hatte. War es das wert, ist es das wert? 25 Jahre können entweder zu lang oder zu kurz erscheinen, das kann man nicht so genau sagen und es kommt auf den jeweiligen Tag an, ob ich nun auf der Bühne stehe oder in ein Flugzeug gezwängt bin. Es ist ein schwieriges Leben, in dem man ständig nach Kreativität streben und zugleich eine Fangemeinde erhalten muss. Alles, was ich sagen kann, ist, dass es nicht langweilig ist und dass ich damit noch nicht durch bin, aber ich bin nicht der Richtige, wenn es darum geht, zu feiern oder sich wegen irgendetwas gut zu fühlen. Ich hasse die Vorstellung, mich deswegen „besonders“ zu fühlen, denn ich bin nicht besonders. Es ist einfach passiert und das Leben geht weiter.

Ein Vierteljahrhundert ist eine beträchtliche Zeitspanne. Wenn du zurückblickst, fällt dir da etwas ein, das du bereust bzw. das du lieber anders gemacht hättest?
Ja, das ist es wirklich. Natürlich geht es mir so, wie jedem menschlichen Wesen. Musiker oder nicht, du hattest sicher auch schon mal den Wunsch, hier und da etwas zu ändern oder einen anderen Weg zu gehen. Aber das wäre wohl schummeln und ich überdenke nie, was wir bisher getan haben. Wenn etwas passiert ist, dann aus gutem Grund.

Was war für dich der Punkt, an dem klar wurde, dass ihr euch als Band fest etabliert habt und dass ihr im Metal groß rauskommt?
Im Gegensatz zu den Leuten und Fans fühlt es sich für mich nicht so an, als wären MOONSPELL etabliert. Ich weiß das, weil ich jeden Tag viele Stunden für die Band aufwende, um zu versuchen, Pläne und Strategien zu entwickeln und darüber hinaus Wege zu finden, die Band beständiger zu machen und unser Songwriting und unsere Texte zu verbessern. Ich nehme das alles nicht für selbstverständlich, natürlich haben wir loyale Fans, aber nicht so eine riesige Masse wie die Anführer der neuen Metal-Generation wie Arch Enemy, Sabaton und Nightwish. Es gibt gute und schlechte Dinge daran, aber letztlich sind wir einfach MOONSPELL und in gewisser Weise ist unsere Geschichte zu verrückt, als dass man sie mit irgendeiner band, die ich kenne, vergleichen könnte.

Die Wahl fällt dir vermutlich schwer, aber welches MOONSPELL-Album ist dein persönlicher Favorit?
Ich würde sagen, „Irreligious“, wenn ich eines auf eine verlassene Insel mitnehmen müsste. Das Album hatte alles: inspirierte Texte, gute und einprägsame Songs und die vollständige Akzeptanz einer Menge, die nach einer Mischung aus Metal und Gothic ohne viele Zwischenschritte gierte. Es ist schwer, auf derselben Wellenlänge wie die gesamte Fangemeinde zu agieren, aber damals haben wir einen Volltreffer gelandet.

Für eure aktuelle Platte „1755“ habt ihr euch wieder etwas Besonderes ausgedacht. Ihr befasst euch darauf mit dem großen Erdbeben von Lissabon. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen und warum gerade jetzt?
Der 1. November 1755 war jener Tag, an dem Portugal durch die Zerstörung Lissabons die Möglichkeit bekam, in Sachen gesellschaftlicher Gerechtigkeit und religiöser Offenheit zu Europa aufzuschließen. Es war, als wäre Portugal von den Beben, Feuern und Tsunamis gewaltsam aus dem Mittelalter gegriffen und endlich ins später 18. Jahrhundert geschleudert worden. Brutal, aber faszinierend. In den Klassenzimmern unseres Landes lernen wir alle diese Geschichte von Tod und Wiedergeburt und für mich war das immer ein großartiges Konzept. Ich muss zugeben, ich habe ein paar Jahre damit gewartet, aber jetzt, da Portugal von schlimmen Bränden und schlechten politischen Entscheidungen gestraft wird, scheint alles um uns herum dieses Album hervorgebracht zu haben. Das Erdbeben ist sehr symbolisch, aber die wahre Geschichte ist schlicht, dass Lissabon zugrunde ging und sich aus der Asche erhob, durch Hoffnung, Anstrengung und wahren Glauben, der zuvor an die Angst vor Gott verschwendet worden war.

Inwiefern, denkst du, hat sich das Erdbeben in weiterer Folge auf die Gesellschaft von Lissabon ausgewirkt?
Sie hat sich dadurch komplett verändert, sie bewegte sich langsam von einer Gesellschaft, in der das Volk nichts wert war, hin zu einer gerechteren Gesellschaft, wenn man bedenkt, dass es damals noch die Monarchie gab. Das Erdbeben forderte unglaublich viele Tode und erschütterte den Glauben der Menschen, nicht nur an Gott, sondern auch an seine irdischen Stellvertreter. Zu dieser Zeit waren neue Ideen in Portugal auf dem Vormarsch, man versuchte, sich von dem Griff der Kirche und der Krone zu lösen und die Katastrophe war eine tragische Gelegenheit, sie umzusetzen. Gleich nach dem Erdbeben wurde beispielsweise die erste Kanalisation gebaut, weil die Leute realisierten, in was für furchtbaren Zuständen sie lebten und dass diese auch zu den Toden beigetragen hatten.

Passend zum Textkonzept singt ihr diesmal durchgehend auf Portugiesisch. Denkst du, dass dies womöglich ein paar, vielleicht auch neue Hörer abgeschreckt oder irritiert hat?
Das hat mich nicht gekümmert, um ehrlich zu sein. Wir versuchen, all unsere wichtigen Entscheidungen vor dem Hintergrund des künstlerischen, kreativen Aspekts der Band zu treffen und meistens weiß man nicht, wie die Fans reagieren werden, aber genau das ist für mich das Spannende daran, Musik zu machen. Man muss einen schmalen Grat beschreiten, anstatt auf der Stelle zu treten. Ich denke, das fördert die Kreativität und ich weiß, dass manche Fans sich an diesem und jenem stören, aber es ist eben eine Entscheidung und wir haben uns für dieses Konzept entschieden. „1755“ machte für uns einfach nur auf Portugiesisch Sinn.

Auch musikalisch habt ihr euch mal wieder neu ausgerichtet. „1755“ ist sehr symphonisch und abgesehen von den Chören gibt es kaum Klargesang. Ersteres passt natürlich zum apokalyptischen Konzept, aber warum war es euch auch wichtig, wieder mehr Growls einzusetzen?
Als Sänger habe ich versucht, mich in die Stimmung an diesem grauenvollen Tag zu versetzen. So wie ein Synchronsprecher, der einen Film synchronisiert oder wie ein Geschichtenerzähler. Ich dachte mir, dass die Menschen in dem Chaos wohl vor allem Dialoge mit Gott geführt haben, wie auch mit sich selbst und es wurde viel geschrien. Wir haben versucht, den Gedanken der Lebenden Raum zu geben, sie waren gewalttätig und panisch, also singe ich nicht viel, sondern konzentriere mich diesmal auf rhythmisches Screaming.

Der Opener ist eine rein symphonische Version von „Em Nome Do Medo“. Warum habt ihr gerade diesen Song für den Auftakt neuinterpretiert?
Ich habe mir schon immer gedacht, dass dieser Song von „Alpha Noir“ eine neue Herangehensweise für MOONSPELL ermöglichen könnte, an der wir uns noch nicht versucht haben – harter Metal mit portugiesischen Texten. Als ich über „1755“ nachdachte, stellte ich mir vor, dass „Em Nome Do Medo“ die perfekte Brücke darstellen würde, einerseits zwischen dem, was wir zuvor getan hatten, allerdings mit einem neuen Gesicht, und andererseits dem neuen Album. Wir wollten es nicht einfach wiederholen, also haben wir Jon Phipps für die Orchestrierung engagiert und er hat diese fantastische Version kreiert, die perfekt als Vorgeschmack auf das, was folgt, funktioniert.

Auf „In Tremor Dei“ habt ihr Paulo Bragança als Gastsänger. Warum habt ihr den Klargesang da nicht einfach selbst übernommen und wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Wir hatten das Gefühl, dass die Geschichte auch auf Fado angewiesen war. Einen beißenden, harten, schmerzhaften Fado, nicht den, den die Touristen heutzutage in den Straßen von Lissabon zu hören bekommen. Wir haben Paulo zu seiner Blütezeit getroffen, als er der führende Fado-Musiker in Portugal war. Wir haben ihn immer für seinen Mut bewundert, Fado zu verändern und ihn dabei purer und weniger kommerziell zu gestalten. Dann ist er in Ungnade gefallen und man hat ihn für elf Jahre aus den Augen verloren, aber ich hörte seine Stimme in meinem Kopf, als wir „In Tremor Dei“ schrieben und ich machte mich daran, ihn aufzuspüren, was ich dann auch tat. Er lebte in Dublin und er kannte MOONSPELL, er liebt dunkle Musik, Metal und Gothic, was jetzt, da wir ihn kennen, keine Überraschung ist. Mit ihm zu arbeiten, war ein großer Erfolg für uns und er hat dem Song, den wir zusammen gemacht haben, wirklich etwas Besonderes verliehen.

Auch der Abschlusstrack ist etwas Besonderes: ein Cover von „Laterna Dos Afogados“ von den brasilianischen Alternative-Rockern Os Paralamas Do Sucesso. Warum habt ihr gerade diese Nummer gecovert und inwiefern passt das zum Konzept der Platte?
„Laterna Dos Afogados“ ist im Original von der großen brasilianischen Band Os Paralamas Do Sucesso. Viele sehen da keine Verbindung, aber dafür sind wir ja da. Um diese Verbindungen zu ziehen und die Dinge mit anderen Augen zu sehen und mit anderen Ohren zu hören, bevor wir sie den Fans präsentieren. Dieser Song wurde in Portugal durch eine Seifenoper populär und viele haben ihm deshalb allzu leichtfertig keine Beachtung geschenkt. Tatsächlich hat der Song aber eine außergewöhnliche, traurige Note und Texte, die auch auf Portugiesisch sein könnten. Er erzählt von den Dorfbewohnern, von den Frauen der Fischer, die beim licht warten, um zu sehen, ob sie vom Meer wiederkommen. Ich hätte wirklich keinen besseren Abschluss für das Album finden können.

Welcher Track auf „1755“ ist denn dein persönlicher Favorit und warum?
„Todos Os Santos“. Ich liebe den Drive, den der Song hat, die rhythmischen Screams und die Tatsache, dass die Lyrics, die davon erzählen, wen die Erlöser letztlich nicht retten, auch im Licht aktueller Ereignisse gelesen werden können.

Ihr habt jetzt musikalisch und thematisch schon so einiges ausprobiert. Gibt es irgendetwas Bestimmtes, das ihr in Zukunft noch ausprobieren wollt?
Ich hoffe es und wir arbeiten daran. Was Musik und Texte angeht, bin ich sehr produktiv, denn von all den Dingen, die ich für die Band tue, ist das meine liebste Beschäftigung. 2019 wird also sicherlich ein neues Album bringen und es wird ganz anders als „1755“, weniger aggressiv und theatralisch, eher stimmungsvoll und melodisch.

Was sind eure nächsten Pläne für MOONSPELL?
Wir bringen am 17. August eine DVD heraus, eine ziemlich coole Napalm Records Edition von einer großen Show, die wir in Lissabon gespielt haben, bei der wir „Wolfheart“, „Irreligious“ und „Extinct“ aufgeführt haben, zusammen mit tollem Aufzeichnungen von auf und hinter der Bühne. Wir arbeiten auch an einigen Editionen älterer Alben, im August kommt auch eine „Wolfheart“ LP mit dem originalen Artwork heraus. Wir spielen hier und da ein paar Festivals und Shows in Portugal und dann kommt eine Tour in Nordamerika mit Amorphis, Dark Tranquillity und Omnium Gatherum.

Kommen wir langsam zum Ende. Gehen wir nun noch unser traditionelles Metal1.info-Brainstorming durch:
Lieblingsband aus Portugal: Bizarra Locomotiva
Katalonien: Da fragst du mal besser Madrid, was zur Hölle da abgeht.
Umweltschutz: Zwei Seiten der menschlichen Münze, der Zerstörer und der Retter.
Black Metal: In den 90ern, gern.
#metoo: #befair
MOONSPELL in zehn Jahren: Fischen und Lesen oder nachmittags auf Festivals spielen?

Nochmals herzlichen Dank für deine Antworten. Die letzten Worte gehören dir:
Danke für das Interview. Kommt uns doch bei einer unserer Shows besuchen und bleibt unter dem Zauberbann!

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