Interview mit Tom Gabriel Fischer von Triptykon

„Ich nehme nichts als gegeben an, ich verfalle nicht meinem eigenen Mythos“, sagt Tom Gabriel Fischer immer dann, wenn andere sich an seiner Stelle im Glanz ihrer Leistungen sonnen würden. So auch jetzt, wo parallel ein Re-Release der legendären HELLHAMMER-EP „Apocalyptic Raids“ und die Veröffentlichung des endlich vollendeten und von TRIPTYKON auf dem Roadburn 2019 aufgeführten „Requiem“ anstehen.

In Teil 2 des Interviews – ganz social-distancing-konform via Skype geführt – sprechen wir über Live-Alben im Allgemeinen, die einzigartige „Requiem“-Show von TRIPTYKON im Speziellen und cholerische Zwerge.

Teil 1 des Interviews dreht sich um die Folgen der Corona-Krise, den Re-Release von HELLHAMMERs „Apocalyptic Raids“ und Veröffentlichungspläne von TRIUMPH OF DEATH.

Gerade im Metal haben Live-Mitschnitte ja einen hohen Stellenwert, viele Bands wollen unbedingt irgendwann eine Live-CD oder gar -DVD herausbringen. Wie erklärst du dir das?
Im Pop oder Hip Hop kommt so viel vom Band oder Sampler. Wenn du da ein Live-Album machen würdest, klingt das ja genauso wie das Studioalbum, außer dass man noch etwas Publikum hört. Beim Metal ist das völlig anders. Da muss man tatsächlich spielen und alles ist echt. Bei den meisten Bands zumindest … obwohl ich auch hier unangenehme Trends bemerke. Dazu kommt, dass in unserer Szene einige Live-Alben Geschichte geschrieben und das Genre geprägt haben – Veröffentlichungen, die Live-Alben kultig werden ließen. Wie Judas Priest mit „Unleashed In The East“ oder Blue Öyster Cult mit „On Your Feet Or On Your Knees“ oder das Live-Album von Thin Lizzy und so weiter. Das hat dazu beigetragen, dass Live-Alben bei uns höheres Ansehen genießen als in anderen Szenen.

Wie stehst du generell zu Live-DVDs/Blu-rays? Schaust du die wirklich an? Ich habe etwa ein ganzes Regal voll – aber dass ich mal eine davon einlege und mir ein Konzert am Fernseher ansehe, passiert total selten …
Das ist leider so. Das ist bei mir auch so. Das ist unangenehm, das zuzugeben, aber es ist komischerweise Realität. Das hängt wahrscheinlich auch mit der Übersättigung zusammen. In den 1980ern war das noch anders: Wenn man da ein VHS-Tape von einer Band hatte, hat man das mit Freunden sehr oft geschaut. Heute, da man mit YouTube und so quasi an der Bushaltestelle ein Konzert auf dem Handy sehen kann, ist das Bedürfnis natürlich viel kleiner, mal eine DVD einzulegen. Das ist eigentlich sehr schade. Ich habe auch viele Live-DVDs und schaue die viel zu wenig. Das ist schon ein bisschen enttäuschend, ja.

Diese Diskrepanz finde ich beeindruckend – dass so viel Geld in Live-DVDs gesteckt wird, für aufwendigste Produktionen, und dass Fans sie dann offensichtlich auch kaufen – aber keiner schaut sie an. Manchmal habe ich das Gefühl, Musik-DVDs sind eher ein Sammlerstück als ein Gebrauchsgegenstand.
Zumindest nach dem, was ich von meinen Industriepartnern höre, werden die aber auch nicht mehr so gekauft und es wird immer schwieriger, das Geld für eine solche Produktion aufzutreiben. Weil es eben nicht mehr so läuft wie in den 1980er- oder 1990er-Jahren. Das ist eigentlich schade, weil das ja auch Zeitdokumente sind! Natürlich sieht man Konzerte auf YouTube, aber meistens ist der Sound scheiße oder es gibt nur eine Kamera. Und wer weiß, ob diese ganzen Files in 20 Jahren noch da sind, ob diese Geschichte bewahrt wird oder ob sie dann einfach verschwindet. Bei einer DVD hast du immerhin die Gewissheit, dass einige dieser DVDs überleben werden und dass man Geschichte bewahren kann. Wie das in der heutigen Zeit ist, ist hingegen fraglich.

„Inzwischen kann ich gar nicht mehr beurteilen,
ob es gut geworden ist oder nicht.“

Die perfekte Überleitung auf ein Live-Zeitdokument, dem du entgegenfiebern dürftest: Das „Requiem“ von TRIPTYKON. Wie groß ist die Vorfreude, vielleicht auch Nervosität, verglichen mit einer „regulären“ Veröffentlichung?
Das macht eigentlich überhaupt keinen Unterschied. Im Gegenteil: Es herrscht eine gewisse Erleichterung. Das waren jetzt zwei Jahre Arbeit, es war ein sehr komplexes Projekt. Es war nicht immer Spaß, sondern schwierig, das Ganze adäquat umzusetzen. Das Mischen der ganzen Spuren war sehr kompliziert aufgrund der großen Anzahl involvierter Musiker, das war unheimlich viel Material. Das Schneiden für die DVD, das Zusammenstellen des Artworks, weil es so viele verschiedene Versionen gibt … das hat das Gefühl, dass es etwas Spezielles ist, etwas eliminiert – obwohl es natürlich etwas Spezielles ist! Aber für mich war es einfach extrem viel Arbeit, deshalb ist es inzwischen wie ein anderer Release. Obwohl es natürlich in Wirklichkeit ein absolut einzigartiger Release in meinem Leben ist. Aber ich kann es inzwischen auch nicht mehr beurteilen: Ich habe zuerst ein Jahr lang musikalisch an dem „Requiem“ gearbeitet, dann kamen intensive Proben dazu, dann die Aufführung – eine Live-Premiere, das Ganze wurde ja noch nie aufgenommen, noch nie gespielt. Dann das Mischen, das Artwork … inzwischen kann ich gar nicht mehr beurteilen, ob es gut geworden ist oder nicht. Vielleicht ist es auch eine Katastrophe. Ich bin der allerletzte, der das weiß.

Aber bist du zumindest für dich zufrieden?
Na ja … ich … (macht eine Pause) Ich weiß, wo die Schwachstellen sind. Sagen wir es so.

Also du siehst noch welche und bist keiner von den Künstlern, die etwas Abgeschlossenes als „fertig“ und damit „perfekt“ ansehen? Haderst du mit etwas?
Na ja, es war eine schwierige Zeit in meinem Privatleben, als ich das „Requiem“ geschrieben habe, und leider konnte ich das nicht vertagen, weil ja geplant war, das „Requiem“ auf dem Roadburn Festival aufzuführen. Deswegen herrschten strikte zeitliche Limits. Ich habe wie gesagt fast ein Jahr lang daran geschrieben, es gibt inzwischen acht verschiedene Versionen dieses Requiems. Gleichzeitig hatte ich an anderen Fronten Dinge zu bereinigen, zum Beispiel eben diese Mia-Geschichte, die sehr, sehr unangenehm war – und unnötig (siehe Teil 1). Ich weiß nicht … es war schwierig, die hundert verschiedenen Dinge, die da abliefen, alle unter einen Hut zu bringen. Ich persönlich erkenne schon Sachen, die ich inzwischen wahrscheinlich anders machen würde. Aber jeder Mensch weiß, dass man nicht alles immer unter idealen Umständen machen kann. Das ist einfach die Realität. Als Perfektionist fällt mir aber schwer, das zu akzeptieren. Die Leute, die es bislang gehört haben, sind alle begeistert. Ich finde es ziemlich gut, aber ich habe ja nicht zuletzt meine eigene Plattenfirma gegründet und produziere meine eigenen Platten, um absolute Kontrolle zu haben und alles gut zu machen. Aber es gibt schon einige Details, die ich heute vielleicht anders machen würde – das geht zurück bis zum Songwriting.

Du hast die vielen Artwork-Versionen gerade schon angesprochen. Was für eine Bedeutung hat das Bild in dem Kontext, woher stammt es?
Das Bild ist von einem Freund von mir, dem italienischen Künstler Daniele Valeriani. Ich bewundere ihn schon länger, und wir haben schon viel über eine Zusammenarbeit gesprochen. Er stellte dann vor einigen Jahren dieses „Bloodangle“-Bild fertig und hat es mir gezeigt – und ich wusste sofort, instinktiv: Das muss auf das „Requiem“! Das war so passend. Ich hatte etwas Schemenhaftes im Kopf und das traf es genau. Er fühlte sich geehrt und war begeistert, dass wir endlich mal zusammenarbeiten. So ist das entstanden.

„Irgendwie tragen wir dieses ‚Requiem‘ sowieso immer mit.“

Das „Requiem“ wurde bisher nur dieses eine Mal aufgeführt – wird es dabei bleiben?
Für mich war vor allem die Fertigstellung wichtig. Das war ein Projekt, das wir mit CELTIC FROST 1986 begonnen haben, und uns war immer wichtig, das eines Tages fertigzustellen. Inzwischen ist Martin gestorben und ich habe es auch in seiner Erinnerung fertiggestellt und ihm gewidmet. Das war für mich der primäre Punkt. Natürlich gibt es Diskussionen, ob man es nochmal aufführt. Das ist heidenteuer und auch logistisch sehr schwierig. Es gibt einige Möglichkeiten, das eventuell einmal noch irgendwo aufzuführen, wenn man die richtigen Umstände findet. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das noch mehr als einmal stattfindet, wenn überhaupt. Auf Tour gehen mit Orchester ist ohnehin so gut wie unmöglich. Das hat sogar eine Riesenband wie Emerson, Lake & Palmer, als die damals in den 1970er Jahren mit Orchester auf Tour gegangen sind, bankrott gemacht. Das ist nicht realistisch. Was man machen könnte, ist, dass man den ersten Teil „Rex Irae“ ohne Orchester live spielt. Das geht, weil die Klassiker da relativ wenig spielen – und das ist ein kultiger Song. Da bräuchte man eigentlich nur eine Sängerin und die haben wir ja ab und an dabei. Es wäre möglich, dass man quasi einen Teil live spielt. Und „Winter“, der letzte Teil des Requiems, ist ja bei unseren Konzerten sowieso immer das Outro. In Zukunft wird natürlich die Live-Aufnahme unser Outro, nicht mehr die Studioaufnahme. Also irgendwie tragen wir dieses „Requiem“ sowieso immer mit.

Dann gibt es ja noch Hoffnung für alle, die diesen Roadburn-Gig verpasst haben …
Hier hast du genau, was wir vorher besprochen haben: Die DVD, die beiden Special-Editions beigefügt ist, existiert. Das ist ein Live-Dokument, denn das ist kein Konzert, das man ohnehin noch hundertmal sehen wird.

Du hast vorher schon gemeint, dass die vor uns liegende Zeit vermutlich eher eine kreative Zeit wird. Wie weit seid ihr bei TRIPTYKON – oder verschiebt sich da auch etwas wegen Corona?
Bei uns wäre es sowieso spät im Jahr geworden, bis wir aufnehmen. Bei uns wird sich nichts verschieben. Aber selbstverständlich gibt uns das mehr Zeit für die Arbeiten am nächsten Studioalbum, ganz klar.

Ist das bereits fertig geschrieben oder was ist da der Stand?
Es existieren unzählige Songs in ganz verschiedenen Stadien der Komplettierung.

Dein Bandkollege bei TRIPTYKON, V. Santura, hat gerade mit „Spectres From The Old World“ das nächste Dark-Fortress-Album veröffentlicht. Hast du es schon gehört – und wenn ja, wie gefällt es dir?
Ich habe zwei Songs gehört. Ich habe das Video gesehen und einen anderen Song gehört. Ich finde es ganz okay.

Kann sein, dass du dich da gerade sehr diplomatisch ausdrückst?
Ja, ich meine, ich muss ganz ehrlich sagen: Ich halte Dark Fortress für eine der besseren Black-Metal-Bands. Ich habe sie mit „Seánce“ entdeckt und war begeistert. Weil es eben nicht nur ein Geholze, eine Blast-Beat-Orgie ist, sondern weil es Musik ist und die Songs variieren und gut geschrieben sind. Das ist extrem interessant. Das haben Dark Fortress immer beibehalten. Ich habe ja auch selbst einmal als Gastsänger bei ihnen mitgewirkt (im Song „Baphomet“ von „Eidolon“, A. d. Red.) und bin definitiv Fan! Leider ist die Band über die Jahre, was das Line-up angeht, etwas zerfleddert worden – da verliert man natürlich auch ein bisschen an Charakter. Das passiert jeder Band. Ich weiß, dass das neue Album für Victor sehr wichtig war. Aber ich sollte mir wirklich kein Urteil erlauben, ich habe es noch nicht ganz gehört. Die zwei Songs fand ich aber ziemlich okay, was soll ich sagen.

„Völlig unangebrachter, unreifer Nonsens.“

Okay – eine letzte, nicht mehr ganz ernste Frage zum Abschluss: In deinem Skype-Profil steht „Collector Of Choleric Dwarfs“. Was willst du uns damit mitteilen?
Ach, das ist nur ein kleiner Insider-Scherz zwischen mir und Ravn, dem Sänger von 1349. Der Witz ist ur-ur-alt. Das ist noch aus der Zeit, als CELTIC FROST auseinandergefallen sind. Ein gewisses Bandmitglied, das ich damals für den Zerfall verantwortlich gemacht habe, habe ich damals unter Freunden „cholerischen Zwerg“ genannt, und das natürlich dann auch als Gag ins Englische übersetzt, weil ich damals sehr oft mit Ravn geskypt habe. Es ist also eigentlich ein völlig unangebrachter, unreifer Nonsens. Aber dieser Satz beschreibt eigentlich meine ganze Persönlichkeit perfekt: völlig unangebrachter, unreifer Nonsens. Das bin ich.

Das ist ein schönes Schlusswort – darf ich das so mit reinnehmen?
Natürlich!

Tom G. Fischer und Metal1-info-Chefredakteur Moritz Grütz (2019)

Teil 1 des Interviews dreht sich um die Folgen der Corona-Krise,
den Re-Release von HELLHAMMERs „Apocalyptic Raids“ und
ob TRIUMPH OF DEATH eine Veröffentlichung planen.

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

6 Kommentare zu “Triptykon

  1. Klar, warum nicht. Man tut, was man kann ;) Und es ist ja eine berechtigte Frage die sicher auch viele andere Leser interessiert, die es bis hier runter geschafft haben ;) Liebe Grüße

  2. Tolles Interview. Ich mag diese ausführlichen Dinger bei euch, die nicht nur die Standardantworten zu Neuveröffentlichungen abklappern, sondern auch mal tiefer gehen – wenn es der Gesprächspartner zulässt!

      1. Hallo Moritz,
        schließe mich dem Vorredner an, tolles Interview (beide Teile), du hättest Tom aber noch fragen können ob er noch imer vorhat die Celtic Frost Biografie Are You Morbid? erweitert wiederzuveröffentlichen. Davon hört man länger nichts mehr.
        Die Original-VÖ ist seit Jahren nur zu Mondpreisen zu bekommen und so ehrlich wie Tom hier antwortet ist das Buch auch geschrieben. Dazu noch sehr unterhaltsam. Gilt auch für Only Death is Real, die Hellhammer-Bio.

        1. Danke für die netten Worte. Weil mich das selbst interessiert, habe ich deine Frage an Tom weitergegeben. Hier seine Antwort:

          „“Are You Morbid“ ist tatsächlich in Arbeit, doch wie alles Andere musste das Manuskript die letzten zwei Jahre hinter dem „Requiem“-Projekt anstehen.“ Tom G. Fischer

          Es wird also kommen, es ist aber wohl auch noch etwas Geduld gefordert. Ich hoffe, dir damit weitergeholfen zu haben.

          Bleib uns als Leser treu
          Moritz

          1. Hallo Moritz,
            hätte jetzt nicht erwartet, dass du gleich nachfragst, aber Danke! Ich bin glücklicher Besitzer beider Bücher, finde aber die sollte man der breiten Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Tom ist einer der ganz wenigen Musiker der etwas relevantes (oft auch kontroverses) zu sagen haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert