Konzertbericht: Anti-Flag w/ The Homeless Gospel Choir, The Creepshow

22.01.2020 München, Backstage Werk

Gefühlt sind ANTI-FLAG ständig auf Tour. Egal ob Festivals, Support-Slots oder Headline-Shows, die Jungs aus Pittsburgh kennen das Wort Urlaub nicht. Umso besser für die Fans, kommen sie auf diese Weise doch häufig in den Genuss, ANTI-FLAG live sehen zu können. Das geht heute mit etwas Zeit und Glück sogar zweimal, nachdem Sane und Chris #2 bereits am Nachmittag im Rahmen eines kleinen Akustik-Gigs im Optimal Records Store zu sehen waren, ehe es nun mit dem Rest der Band im Backstage Werk zur Sache geht. Im Gepäck haben ANTI-FLAG dabei THE CREEPSHOW und THE HOMELESS GOSPEL CHOIR, mit dem die Band schon mehrmals auf Tour war.

So startet der Abend mit der Ein-Mann-Protest-Band THE HOMELESS GOSPEL CHOIR. Nur mit einer Akustik-Gitarre bewaffnet aber einer großen Portion Hingabe bestreitet Derek Zanettis seine Show und wird nicht müde zu erwähnen, dass seine Songs Protest-Songs sind. Zanettis ist fast so etwas wie der Schützling von Chris #2. Dieser produzierte auch die letzten beiden Alben von THE HOMELESS GOSPEL CHOIR und steht auch heute wieder am Bühnenrand. Die Musik von Zanettis orientiert sich stark an den klassischen Protest-Songs von Bob Dylan oder Woody Guthrie, mit starken Texten und starken Botschaften. Zwar zünden die Songs nicht unbedingt bei jedem im Publikum, sind aber dennoch eine stimmige Eröffnung des Abends.

Ganz anders geht es nach der Umbaupause bei THE CREEPSHOW zu. Die Kanadier um Frontfrau Kenda spielen eine wilde Mischung aus Horror-Punk, Rockabilly und Ska und sorgen damit für ordentlich Stimmung im Backstage. Auch die herrlich trashigen Texte um Zombies, Tod und Horror sorgen für ein breites Grinsen im Gesicht. Die Energie der Truppe ist beeindruckend, vor allem Kenda und Kontrabassist Sickboy sorgen für den ein oder anderen Action-Moment auf der Bühne. Der charismatischen Frontfrau mit unglaublichem Bewegungsdrang fressen die Fans sowieso schnell aus der Hand. Gerade der Kontrast zur Hauptband des heutigen Abends verleiht dem Auftritt von THE CREEPSHOW noch das gewisse Etwas.

Während der Umbaupause ist die Spannung im Publikum fast greifbar. Wer noch nie eine ANTI-FLAG-Show erlebt hat, wird die extreme Vorfreude auf das kommende wohl nicht ganz nachvollziehen können. Dann ist es aber endlich soweit und die Punk-Ikonen eröffnen mit „Christian Nationalist“ ihr Set. Sofort entbrennt ein Moshpit und die Fans gehen steil. Die neue Scheibe „20/20 Vision“ ist zwar erst vor kurzem erschienen, das Publikum zeigt sich aber bereits sehr textsicher und grölt jede Zeile mit. Fronter Justin Sane grinst wie immer über beide Ohren, während Bassist Chris #2 voll unbändiger Energie über die Bühne fegt. Mit dem folgenden Klassiker „The Press Corpse“ reißen ANTI-FLAG auch den letzten Zweifler mit und schon ist sie wieder da, diese spezielle und ausgelassene Stimmung einer Show der Amerikaner. Dies mag auch am oft beschworenen Gemeinschaftsgeist liegen, den Justin Sane dem Publikum, seinen „Brothers and Sisters“, immer wieder ans Herz legt.

Songtechnisch bedienen ANTI-FLAG heute sowohl alte als auch neue Fans. Neben Material vom neuen Album („20/20 Vision“, „Hate Conquers All“, „The Disease“) kommen auch Klassiker („I’d Tell You But“, „Turncoat“, „Fuck Police Brutality“) und lange nicht mehr gehörtes („Stars And Stripes“, „The Smartest Bomb“) voll zur Geltung. Obwohl das Backstage Werk nun nicht gerade klein ist, scheint während des gesamten Konzerts vor allem im tieferen Teil der Halle akute Platznot zu herrschen. Alles springt, mosht, tobt und schreit durcheinander und feiert den Sound von ANTI-FLAG als gäbe es kein Morgen. Und die Jungs danken es ihren Fans mit immer neuer Energie und großer Spielfreude.

Wie immer ist der Zugabenteil nochmal ein absolutes Highlight. Während bei „Cities Burn“ die ganze Halle aus vollem Herzen „Woho-ho“-Chöre anstimmt, die sicherlich noch zwei Straßen weiter zu hören sind, holen ANTI-FLAG für „The Brandenburg Gate“ nochmal THE HOMELESS GOSPEL CHOIR auf die Bühne. Gemeinsam performen die Musiker den Track, der fast schon eine Art Bandhymne geworden ist. Aber halt, da fehlt doch noch etwas! Und richtig, ihren wichtigsten Song haben sich ANTI-FLAG für den Schluss aufgehoben. Chris #2 muss gar nicht lange bitten, wie ein eingespieltes Team machen die Fans Platz für das Schlagzeug von Pat Thetic und das Mikro. Als dann die ersten Töne von „Die For The Government“ erklingen rastet München ein letztes Mal aus. Auch wenn es ANTI-FLAG einmal nicht mehr geben sollte, dieser Song wird bleiben.

Schweißgebadet und mit ein paar blauer Flecke mehr verlassen die Münchner Fans das Backstage Werk nach einem mehr als gelungenen Abend. Auch wenn ANTI-FLAG rein dem Alter nach inzwischen zu den alten Hasen gehören, kann sich so manch junge Band eine große Scheibe von den Punkern abschneiden. Diese Stimmung und Energie und gleichzeitig einen so klaren politischen Standpunkt macht den Jungs so schnell keiner nach. Aber auch THE HOMELESS GOSPEL CHOIR und THE CREEPSHOW haben gute Shows abgeliefert und sicherlich den ein oder anderen Fan dazugewonnen. Nächstes Jahr gerne wieder!

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